Folgen deutscher Asylpolitik: Einladung von der Diktatur
Zwei Asylsuchende in Berlin und Eberswalde haben sich das Leben genommen, wohl aus Angst vor Abschiebung. Initiativen kritisieren Anhörungspraxis.
Alpha Oumar Bah lebte mehr als drei Jahren in Berlin in einer Geflüchtetenunterkunft und verdiente seinen Lebensunterhalt bei einer Reinigungsfirma. Der Flüchtlingsrat und die an der Erklärung beteiligten Vereine fordern „eine genaue Aufarbeitung der Umstände seines Todes und dessen Zusammenhang mit dem psychischen Druck und der Auswegslosigkeit durch die aktuelle Berliner Abschiebepolitik“.
Ein Sprecher der Innenverwaltung wollte auf Anfrage keinen Zusammenhang zwischen den Anhörungen, einer möglicherweise drohenden Abschiebung und dem Suizid sehen. Der junge Mann sei noch im Asylverfahren gewesen und daher aktuell vor Abschiebung geschützt. „Mithin kann er auch keine Aufforderung zur Vorsprache bei der Delegation erhalten haben.“ Die bei der Delegation vorgeführten Berliner Fälle seien „fast ausschließlich“ Straftäter gewesen.
Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseelsorge.de besuchen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, mit Seelsorger*innen zu chatten.
Wenige Tage zuvor hatte sich in Eberswalde ein Mann aus Tschad, Salah Tayyar, das Leben genommen. Sein Asylantrag war abgelehnt worden. Im April hätte er noch einen Termin vor Gericht gehabt, aber er habe wohl nach acht Jahren in Deutschland keine Chance mehr auf einen rechtlich sicheren Aufenthalt gesehen, erklärte die Gruppe Barnim für alle, die für Sonntag eine Kundgebung organisiert hatte. Laut Medienberichten nahmen daran rund 200 Menschen teil.
Nationalitätenzuordnung per Dialekt
Die Guinea-Anhörungen in Berlin hatten schon vor dem Selbstmord für scharfe Kritik gesorgt. Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte bei einem Pressetermin im Görlitzer Park erklärt, der Delegation würden „Dealer“ ohne Papiere vorgestellt, damit diese zügig abgeschoben werden könnten. Auf Kritik stieß nicht nur die Wortwahl, sondern auch die Praxis der „Botschaftsanhörung“ selbst. Wie oft bei solchen Delegationen sei auch hier unklar, mit welcher Legitimation die Mitglieder arbeiteten, erklärte Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin. Auch sei die Praxis, Menschen anhand ihrer Sprache, des Dialekts und teils auch wegen ihres Aussehens einer Nationalität zuzuordnen überaus fragwürdig.
Das findet auch Balde Aissatou Cherif vom Verein Guinée Solidaire. Die Beamten aus Guinea seien gar nicht in der Lage, jeden Dialekt, jede Sprache richtig einzuordnen, die zudem oft über Landesgrenzen hinweg gesprochen würden. „Sie haben keine Qualifikation mich zum Beispiel zu beurteilen“, sagte sie. Zudem herrsche in Guinea eine Diktatur. „Willkürliche Übergriffe gegen Zivilist*innen und Demonstrant*innen, ethnische Auseinandersetzungen oder exzessive Gewaltanwendung von Sicherheitskräften sind dort an der Tagesordnung“, erklärte sie.
Vorigen Dienstag fand nach den Anhörungen eine Sammelabschiebung nach Guinea statt, laut Balde Aissatou Cherif vom Verein Guinée Solidaire waren 22 Gunieer aus ganz Deutschland betroffen, laut Innenverwaltung ein Berliner Fall, dieser sei ein Straftäter gewesen. Wie Nora Brezger vom Flüchtlingsrat berichtete, war offenbar auch ein Mann aus Mali dabei, der fälschlich als Guineer „definiert“ worden war.
Hierzulande habe daher schon die Ankündigung der Delegation Panik in der guineischen Community ausgelöst, sagt Cherif. Nicht wenige Geflüchtete mit Duldung seien aus Angst vor Abschiebung untergetaucht, auch Freunde von Alpha Oumar Bah aus dem Heim. „Aber der junge Mann hatte Arbeit und wollte das nicht.“ Freunde hätten ihr berichtet, dass er wegen der Situation viel geweint habe.
„Er war am Limit! Er wollte auf keinen Fall zurück, seine Familie in Guinea hat alles auf ihn gesetzt, er hat jeden Monat Geld überwiesen.“ Das wisse sie von Oumar Bahs Vater, den sie am Wochenende telefonisch über den Tod seines Sohnes informieren musste. Cherifs Verein sammelt nun über eine Onlineplattform Geld für die Überführung des Leichnams und zur Unterstützung seiner Familie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin