Folgen der Exzellenzinitiative: Licht aus für Geisteswissenschaften

Die Uni Göttingen muss nach dem Willen der rot-schwarzen Landesregierung sparen: Nächstes Jahr soll das Lichtenberg-Kolleg schließen.

Die historische Sternwarte in Göttingen beleuchtet bei Nacht

Aus heiterem Himmel kommt das Aus: Das Göttinger Lichtenberg-Kolleg in der historischen Sternwarte Foto: Johannes Poets/Wikimedia Commons

Hamburg taz | Am Göttinger Marktplatz steht ein kleiner bronzener Mann. Experimentalphysiker war Georg Friedrich Lichtenberg und auch scharfsinniger Denker im Zeitalter der Aufklärung, wie auf einer Tafel neben der Figur zu lesen ist. Kaum eine andere Universität im Norden zehrt so sehr wie die Göttinger Uni von der eigenen, durch die Aufklärung geprägten Vergangenheit mit seinen berühmten Forschenden.

Auch das geisteswissenschaftliche Kolleg der Uni trägt Lichtenbergs Name. Doch damit ist bald Schluss: Im kommenden Jahr soll, trotz internationalen Protestes, ausgerechnet das Lichtenberg-­Kolleg den Sparzwängen zum Opfer fallen. Expert:innen sehen das als Folge struktureller Probleme der Exzellenzinitiative.

Erst 2008 wurde das Lichtenberg-Kolleg gegründet. Damit wollte die Göttinger Uni die eigenen Geistes- und Sozialwissenschaften mit internationalen Wissenschaftler:innen vernetzen, um neue Forschungsfelder zu erschließen oder die eigenen Forschungsthemen zu erweitern. So stehen derzeit noch Menschenrechtsdebatten, die Aufklärung, Modern Jewish Studies und politische Ideengeschichte als die vier Forschungsschwerpunkte im Fokus.

Außerdem arbeitet das Kolleg derzeit an einer wissenschaftlichen Neu­edition der Anne-Frank-Tagebücher zusammen mit weiteren internationalen Forschungseinrichtungen. Auch kamen am Kolleg zuletzt einige bedrohte Wissenschaftler:innen unter, die in Deutschland Schutz suchten.

Aufbau erst durch Exzellenzinitiative

Anlass der Gründung war, dass sich die Uni 2007 bei der bundesweiten Exzellenzinitiative durchgesetzt hatte und fortan viel Geld erhielt, um sich zu einer Elite-Uni zu entwickeln. Im Zuge dessen finanzierten der Bund und das Land viele neue Professuren, um die Forschung auszubauen – und sie ­finanzierten auch den Aufbau des Lichtenberg-Kollegs.

Offener Brief an die Uni-Leitung

„Die Bedrohung des Kollegs ist ein direkter Angriff auf die aufklärerischen Werte, die die Universität seit Langem pflegt“

Damit sollte, im Sinne der Exzellenzstrategie, vor allem wissenschaftlich vielversprechender Nachwuchs hervorgebracht werden. Die sogenannten Junior Fellows konnten bislang unter diesem Schirm für 18 Monate an ihren jeweiligen Projekten arbeiten.

Für Andreas Keller, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und dort zuständig für Hochschulen und Forschung, ist die Schließung ein typisches Beispiel für die strukturellen Probleme der Exzellenzinitiative: Das Kolleg arbeite nicht schlecht oder sei überflüssig, sondern es fehle einfach an Geld zur Weiterfinanzierung.

„Mit der Exzellenzinitiative wird viel Geld für Projekte ins System gepumpt, aber es fehlt dann an einer langfristigen Finanzierung“, sagt Keller.

Fördergelder blieben aus

Denn schon ab 2012 war Göttingen seinen Titel wieder los – die Fördergelder blieben dann aus. „Das Kolleg wurde nach dem Auslaufen der Förderung aus dem Universitätshaushalt weiterfinanziert, wofür nicht unerhebliche eigene Mittel eingesetzt werden mussten “, sagt Unisprecher Romas Bielke. Ganz ähnlich mussten laut Keller bundesweit Unis in den vergangenen Jahren ihre mit viel Geld eingerichteten Institutionen wieder schließen.

Die rot-schwarze Landesregierung hat vor vier Wochen in ihrem Haushaltsplan für das kommende Jahr für den Wissenschafts- und Kulturbereich Einsparungen in Höhe von 32 Millionen Euro beschlossen. Knapp 25 Millionen Euro sollen die Hochschulen im Land dazu beitragen. Wegen der enormen Ausgaben für die Bekämpfung der Corona-Epidemie sei dieser Schritt nicht zu verhindern.

Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) hatte erklärt, es gebe dazu „keine wirkliche Alternative“. 3,3 Millionen Euro muss die Uni Göttingen nächstes Jahr und ab dann dauerhaft einsparen.

Dass es nun die Geisteswissenschaften zuerst trifft, ist kaum überraschend. Zuletzt reduzierte die Uni bereits die Studiengänge an der Fakultät. „Die Schließung des Kollegs ist dabei nur eine Maßnahme unter vielen“, betont dagegen Bielke. 770.000 Euro sollen dadurch eingespart werden. Dabei müsse die Uni eigentlich dringend Geld investieren. „Allein im Bereich Bauen und Sanieren fehlen der Universität mit ihren zahlreichen historischen Gebäuden weit über eine halbe Milliarde Euro“, sagt Bielke.

„Nachricht aus heiterem Himmel“

Martin van Gelderen kam 2012 nach Göttingen, um die Leitung des Kollegs zu übernehmen. „Die Nachricht ist aus heiterem Himmel gekommen“, sagt van Gelderen. Andererseits, sagt er, sei es nach dem Verlust des Exzellenzstatus und zwei erfolglosen Neubewerbungen kaum überraschend, dass die Uni ein Projekt stoppt, das für den Ausbau des Exzellenzstatus erst geschaffen wurde.

Das aber wirft Fragen über die Nachhaltigkeit der Exzellenzpolitik der Hochschulpolitik im Ganzen auf, die seit Jahren besonders von Studierenden vehement kritisiert wird.

120 Wissenschaftler:innen haben einen Protestbrief an die Uni-Leitung unterzeichnet. „Die Bedrohung des Kollegs ist ein direkter Angriff auf die aufklärerischen Werte, die die Universität seit Langem pflegt“, kritisieren die Unterzeichner:innen, die aus Russland, Argentinien, den USA und vielen weiteren Ländern kommen.

Gebracht hat der Protest nichts mehr: Nachdem auch der Senat der Hochschule den Plänen zur Schließung zugestimmt hat, ist das Aus nun endgültig besiegelt. Im September kommenden Jahres soll das Kolleg dann schließen – auch wenn einige Forschungsprojekte noch gar nicht abgeschlossen sind.

Laut van Gelderen braucht es bis zur Fertigstellung der neuen Edition der Anne Frank-Tagebücher noch rund zwei Jahre. Wie und ob dies nun beendet werden kann, ist derzeit noch unklar. Ursprünglich war für die kommenden Jahre angedacht, das koloniale Erbgut in Göttingen und Deutschland tiefer zu erforschen. „Durch den internationalen Austausch hätte das Kolleg Erfahrungen aus anderen Ländern transferieren können“, sagt van Gelderen.

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