Folgen der Entführung Trinh Xuan Thanhs: Höchst ungewöhnlich
Ein vietnamesischer Exilant wird entführt – mitten in Berlin. Wie reagiert die Bundesregierung? Hier die wichtigsten Antworten.
1. Wie reagierte das Außenministerium auf die Entführung?
Für Verhältnisse des Auswärtigen Amtes: ziemlich deutlich. Zunächst hatte es die Bundesregierung zwar noch diplomatisch versucht. Auf Anfrage der taz gab das Amt am Dienstag keinen Kommentar ab. Da lief noch ein Ultimatum, dass das Ministerium der vietnamesischen Regierung gestellt hatte: Bis Mittwochmittag sollte der Entführte zurück nach Deutschland gebracht werden. Als das nicht geschah, sprach der Sprecher des Außenministeriums das Thema am frühen Nachmittag von sich aus in der Regierungspressekonferenz an. Weder verschwurbelt noch vorsichtig, sondern, wie er selbst sagte, „wirklich in aller Deutlichkeit“. Das macht er sonst eher selten.
2. Verbannt das Auswärtige Amt öfter Diplomaten?
Nein. Bei Fehlverhalten ausländischer Diplomaten hat die Bundesregierung verschiedene Möglichkeit: Sie kann den entsprechenden Botschafter zu einem Gespräch einberufen, sie kann über diplomatische Kanäle auf die Abberufung des betreffenden Diplomaten drängen oder sie kann der entsprechenden Botschaft die Akkreditierung von weiterem diplomatischen Personal verweigern. Dass das Auswärtige Amt wie in diesem Fall einen Diplomaten öffentlichen zur Persona non grata erklärt und ihn zur Ausreise binnen 48 Stunden auffordert, ist zwar zulässig, aber höchst ungewöhnlich.
3. Wie wird die Bundesregierung weiter vorgehen?
Der Sprecher des Außenministeriums hat am Mittwoch angekündigt, „gegebenenfalls weitere Konsequenzen auf politischer, wirtschaftlicher sowie entwicklungspolitischer“ zu ziehen. Seit 2011 besteht eine offizielle strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und Vietnam, in diesem Rahmen unterstützt die Bundesrepublik zum Beispiel Maßnahmen im vietnamesischen Justizsystem. Das Land erhält hunderte Millionen Euro aus dem Budget der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, zudem ist Deutschland innerhalb der EU der wichtigste Handelspartner. Kein Zweifel: Konsequenzen in diesen Bereichen würden den Vietnam viel stärker treffen als die Bundesrepublik.
4. Kommen die mutmaßlichen Täter vor Gericht?
Falls alle Verantwortlichen als Diplomaten in Deutschland akkreditiert waren, wird das schwierig. Die diplomatische Immunität würde sie normalerweise vor einer Strafverfolgung schützen, die Ausweisung ist dann schon die schwerste Strafmaßnahme. Ganz abgesehen davon: Sind die Verantwortlichen zurück im Vietnam, haben deutsche Behörden ohnehin keinen Zugriff auf sie. Es sei denn, der BND würde ein Entführungskommando … nein, eigentlich nicht.
5. Gab es ähnliche Vorfälle schon früher?
Von einem „präzedenzlosen und eklatanten Verstoß gegen deutsches Recht und gegen das Völkerrecht“ spricht das Auswärtige Amt. Ganz richtig ist das nicht: Schon früher begingen ausländische Geheimdienste in Deutschland Verbrechen. Der ukrainische Nationalistenführer Stepan Bandera wurde 1959 im Auftrag des KGB bei einem Blausäureattentat in München getötet. Der jugoslawische Geheimdienst ließ bis 1989 dutzende Dissidenten in der Bundesrepublik ermorden. Und Sicherheitsbehörden aus der DDR und der Sowjetunion verschleppten hunderte Menschen aus West-Berlin in den Osten. Dann gibt es da natürlich auch noch Entführungsfälle in anderen Ländern – zum Beispiel durch die CIA, die nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 mutmaßliche Dschihadisten aus zahlreichen Staaten verschleppte.
6. Wie hat die Bundesregierung damals reagiert?
Naja. Von den jugoslawischen Geheimdienstmorden zum Beispiel wussten deutsche Regierungsvertreter seit den 1970er Jahren. Sie hielten aber still, um die Beziehungen zur Regierung in Belgrad nicht zu gefährden. Im Fall der CIA-Entführungen bemühten sich zumindest weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb um eine Strafverfolgung.
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