Folge des Klimawandels: Halb Bihar steht unter Wasser

In Indiens Armutsstaat Bihar hat die Flut 3,5 Millionen Menschen obdachlos gemacht. Ein Ende der Katastrophe, die offenbar durch den Klimawandel verursacht wurde, ist nicht in Sicht.

Es ist die schwerste Flut seit über fünfzig Jahren. Bild: dpa

DELHI taz Als vor zwei Wochen unerwartet heftige Regenfälle über dem verarmten nordindischen Bundesstaat Bihar niedergingen, stellten sich die Menschen wie mittlerweile jedes Jahr während des Monsunregens auf Hochwasser ein. Doch auf die Katastrophe, die danach folgte, war niemand vorbereitet. Denn der Kosi, einer der größten Flüsse Bihars, brach im nördlich gelegenen Nepal aus seinem Bett aus und suchte sich 120 Kilometer weiter östlich einen neuen Lauf. Unmengen von Wasser stürzten in die Ebene und setzten innerhalb kürzester Zeit den halben Bundesstaat unter Wasser. Die Flut zerstörte 250.000 Häuser, vernichtete die Ernte und machte 3,5 Millionen Menschen obdachlos.

Anhaltende heftige Regenfälle und immer größere Wassermassen aus dem Hochgebirge drohen jetzt weitere Landstriche zu zerstören. Die letzten Verbindungsstraßen in die Region könnten bald für Wochen unbefahrbar werden. Auch in Nepal sind zehntausende Menschen obdachlos geworden. Und in Bangladesch, wohin das Wasser fließt, kommt es schon zu ersten Überschwemmungen.

In den überfluteten Gebieten Bihars herrscht Verzweiflung. Aufnahmen indischer Nachrichtensender zeigen Menschen, die versuchen zu erfahren, was aus Angehörigen und Bekannten geworden ist. Hunderte Dörfer sind komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Dort sitzen immer noch mehr als eine halbe Million Menschen fest. Viele von ihnen haben sich auf die Dächer der wenigen nicht komplett überfluteten Häuser gerettet und warten zum Teil schon seit Tagen auf Hilfe. Wütende Dorfbewohner aus der am schlimmsten betroffenen Region Madhepura berichten, sie hätten nicht gewusst, wo sie vor den Wassermassen Schutz suchen sollten und hätten keine Hilfe erhalten.

Die indische Armee wirft aus Flugzeugen Säcke mit Getreide und Reis über den Dörfern ab, die von der Außenwelt abgeschnitten sind. Mehr als 100 Zeltlager wurden für die Flüchtlinge aus der Region errichtet. Die Armee versucht auch, mit über 800 Booten zu den Betroffenen vorzudringen. Am Samstag kenterte ein Boot, auf das sich mehr als 50 Menschen gedrängt hatten. Nur 32 überlebten.

Eine vergleichbare Flutkatastrophe hat es in Bihar in den vergangenen 50 Jahren nicht gegeben. Indiens Premierminister Manmohan Singh flog vergangene Woche in die betroffene Region. Er sprach angesichts der immensen Zerstörung von einer "nationalen Katastrophe." Offiziell sollen 80 Menschen in den Fluten ums Leben gekommen sein. Doch Beobachter berichten, sie hätten bereits in einzelnen Dörfern Dutzende Tote gesehen. Somit sind Hunderte Opfer zu befürchten.

Ein Ende der Katastrophe ist nicht in Sicht. Denn anders als bei normalen Monsunüberschwemmungen dürfte es dieses Mal bis zum Ende der Regenzeit im Oktober dauern, bis der Kosi wieder in seinen alten Lauf gedrängt werden kann. Danach wird es wohl Wochen dauern, bis das Wasser vollständig abzieht und die Gegend wieder bewohnbar wird.

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) warnt wegen mangelnder sanitärer Anlagen in den Flüchtlingslagern vor dem Ausbruch von Seuchen. Im benachbarten Bundesstaat Uttar Pradesch sollen bereits mehr als 180 Menschen an Enzephalitis gestorben sein.

Ein weiteres Problem ist die Sicherheitslage. Bihar ist eine der ärmsten Regionen Indiens und leidet auch in normalen Zeiten unter einer hohen Verbrechensrate. Ausländischen Besuchern wird empfohlen, den Bundesstaat wegen zahlreicher Raubüberfälle nur unter Polizeischutz zu bereisen. Nun mehren sich Berichte, wonach Kriminelle verlassene Dörfer plündern. In zahlreichen Fällen sollen Flutopfer unter vorgehaltener Waffe ausgeraubt worden sein.

Vorwürfe werden laut, die Landesregierung habe zu wenig unternommen, um die Region vor Fluten zu schützen. Mitglieder eines gemeinsamen Arbeitskreises mit nepalesischen Behörden hätten nicht reagiert, als sie in den vergangenen Monaten immer wieder Warnungen erhalten hätten, die Dämme des Kosi drohten zu brechen.

Doch der Hauptschuldige dürfte der Klimawandel sein. Denn seit einigen Jahren fällt der Monsunregen immer heftiger aus. Dieses Jahr kam es schon während der Trockenzeit im April entlang der indischen Westküste zu heftigen Niederschlägen. Im südlichen Bundesstaat Kerala etwa zerstörte der Regen einen Teil der Ernte. Selbst alte Menschen in der Region berichteten, sie hätten so ein Wetterchaos noch nie erlebt.

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