piwik no script img

Flugzeugabsturz auf TwitterCrash @ Schiphol

Am Mittwoch stürzte in Amsterdam eine Passagiermaschine ab. Erfahren konnte man das aus den Nachrichten. Oder beim Bloggingdienst Twitter. Der war schneller, aber auch wirklich besser?

Waren 250 Leute an Bord oder doch nur 124? Bild: screenshot/twitter.com

Ein Flugzeug der Turkish Airlines stürzte am Mittwoch Vormittag beim Landeanflug auf den Amsterdamer Flughafen Schiphol in den Niederlanden ab. Die Maschine vom Typ Boeing 737-800 war um kurz nach acht Uhr in Istanbul gestartet und sollte um 10.31 Uhr in Amsterdam landen. Bei schlechter Sicht stürzte das Flugzeug mit 127 Passagieren und sieben Besatzungsmitgliedern an Bord jedoch kurz vorher auf ein Feld neben der Landebahn. Dabei zerbrach es in drei Teile, fing aber kein Feuer. Neun Menschen starben, mehr als 50 wurden verletzt, zum Teil schwer.

Kurz nachdem um 10.59 Uhr die erste Agenturmeldung von dem Flugzeugunglück über den Nachrichtenticker lief - also eine knappe halbe Stunde nach dem Unglück -, setzte sich die Mikro-Blogging-Plattform Twitter in Bewegung. Twitter ist ein Onlinedienst, dessen Benutzer Kurzbotschaften (sogenannte Tweets) mit maximal 140 Zeichen Länge abschicken.

Alles, was je getwittert wurde, kann im Internet wiedergefunden werden. Und weil die Twitter-Botschaft auch mit dem Handy ins Netz übertragen werden kann, wird aus dem zufällig zum Augenzeugen gewordenen Twitter-Nutzer ein rasender Reporter, unser erster Mann vor Ort. Um seine Augenzeugenberichte zu finden, braucht man nur einen Suchbegriff, und kann live mitlesen, was passiert.

Wer am Mittwoch als Suchbegriff zum Beispiel "Schiphol" eingab, landete bei Twitter-User und Augenzeuge "nipp". Vier Minuten vor der ersten Reuters-Meldung setzt "nipp" folgende Botschaft ab: "Airplane crash @ Shiphol Airport Amsterdam!!" Kurz danach: "Dont know about survivors." Dann scheint sich nipp dem Geschehen zu nähern: "A lot of ambulances are arriving at the crash site", twittert er, und: "From here (few hundred metres away) the crashed plane looks to be in a very bad condition."

Das Flugzeug sähe schlecht aus, Krankenwagen kämen gerade an. Für ein ordentliches Foto sei er zu weit weg, und jetzt wolle auch schon CNN mit ihm telefonieren. Er ist nicht der einzige, der über das Flugzeugunglück twittert. Im Gegenteil: In der Onlinecommunity verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer.

Erste unscharfe Fotos werden verlinkt, und immer wieder tauchen neue Hypothesen auf: Alle Passagiere sind tot. Alle Passagiere haben überlebt. 80 Passagiere sind tot. Das Flugzeug ist total kaputt. Das Flugzeug sieht eigentlich noch ganz okay aus. Während die großen Nachrichtenagenturen die türkische Regierung zitieren, es gäbe keine Toten, werden auf Twitter Zweifel laut: Bei CNN sei doch ganz klar zu erkennen gewesen, wie Leichen geborgen werden. Das Unglück ist erst eine Stunde her.

So spannend es ist, unmittelbar nach dem Absturz auf Twitter zu verfolgen, was in Amsterdam passiert (oder zu passieren scheint), so wenig befriedigend ist die Twitter-Berichterstattung auf Dauer. Wer zwei Stunden nach dem Unglück eine Meldung einer großen Nachrichtenagentur liest, ist umfassend informiert über das, was in Amsterdam passiert ist.

Bei Twitter ist das anders: Es geht eher um die Faszination, am Ball zu sein und zu bleiben. Immer wieder werden neue Informationssplitter gepostet, aus denen sich erst nach und nach ein Gesamtbild ergibt. Spannend, wenn man es zeitnah verfolgt. Letztendlich bedeutet dies jedoch eigentlich nur eine Verlängerung des Ereignisses: Seit das Flugzeug abgestürzt ist, hat sich der Lauf der Dinge nicht noch mal geändert. Nur was wir darüber wissen. Informationen brauchen immer eine gewisse Zeit, bis sie vollständig übermittelt worden sind. Daran ändern auch die Tweets nichts.

Als vor drei Monaten Terroristen durch Bombay zogen, wurde ebenfalls getwittert. Anders als bei einem abgeschlossenen Vorgang wie dem Flugzeugabsturz gestern war der nachrichtliche Wert der Tweets aus Bombay durchaus hoch: Der Weg der Terroristen durch die Stadt war so leichter nachzuzeichnen.

Am Mittwoch konnte Twitter zwar früh berichten, aber die beiden wichtigsten Fragen (Wie viele Menschen sind tot? Warum ist das Flugzeug abgestürzt?) blieben offen. So ist Twitter keine neue Form des Journalismus, sondern eine andere Art zwischenmenschlicher Kommunikation.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!