Flughafen-Desaster in Berlin: Muss Wowereit weg?
Am Samstag muss sich Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit einem Misstrauensvotum stellen. Ein Pro und Contra zur Notwendigkeit seines Abgangs.
JA:
Klar, diese Woche hält Berlins Bürgermeister noch durch. Die Fraktionen der rot-schwarzen Koalition haben sich darauf verständigt, ihm beim Misstrauensvotum am Samstag noch einmal den Rücken zu stärken. Trotzdem, es ist nur noch eine Frage von Monaten, bis er das Feld räumen muss. Die Ära Wowereit endet schleichend. Aber sie endet. Und das ist auch gut so.
Rot-schwarz trat 2011 an als Koalition der Infrastruktur: Auf den Ausbau des Flughafens und der Stadtautobahn wollten SPD und CDU den Fokus legen. Jetzt erweist sich der Flughafen als totaler Flop und die ganze Welt lacht.
Anders als die Berliner CDU war Klaus Wowereit seit einem Jahrzehnt an den Flughafen-Planungen beteiligt. Er saß nicht nur im Aufsichtsrat, er war seit 2003 auch der Chef des Gremiums, das für die Kontrolle der Geschäftsführung verantwortlich ist. Als solcher hat er vollständig versagt. Wie sonst ist zu erklären, dass der Flughafen eine Eröffnung vier Wochen vor Termin absagt – um sie später erneut und um Jahre verschieben zu müssen?
Selbst wenn man Wowereit zugute hält, dass ein Projekt dieser Größenordnung nur schwer zu überschauen ist: Er holte auch nicht die richtigen Leute, die ihn vor dem Fiasko hätten warnen können. Er signalisierte nicht, dass die Kontrolle einer solchen Baustelle zu viel ist für ihn, den Politiker im Hauptberuf. Stattdessen machte er den Flughafen zur Chefsache.
Natürlich trifft Wowereit nicht allein die Schuld. Im Aufsichtsrat sitzen auch Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und Vertreter des Bundes. Dass die das Debakel auch nicht kommen sahen, macht sein Versagen aber nicht besser. Chef bleibt Chef.
Doch der entscheidende Grund, warum Wowereit als Regierender Bürgermeister zurücktreten muss, ist das Geld: Wowereit wird im armen Berlin keine glaubwürdige Politik mehr machen können. Die Gesamtkosten für den Flughafen liegen schon jetzt bei 4,3 Milliarden Euro, doppelt so viel wie anfangs kalkuliert. Die erneute Verzögerung wird Berlin als Miteigentümer weitere hunderte Millionen kosten. Mindestens.
Wie soll Wowereit sich jetzt noch hinstellen und den BerlinerInnen erklären, dass ihre Jugendarbeitsprojekte für ein paar zehntausend Euro aus Kostengründen leider eingestellt werden müssen? Dass ein Seniorenzentrum leider zu teuer ist und Schulklassen nicht kleiner werden können – wenn derartige Mengen öffentlicher Gelder im märkischen Sand verbuddelt wurden?
Dass Wowereit überhaupt noch im Amt ist, liegt allein an Raed Saleh und Jan Stöß. Wie, diese Namen sagen Ihnen nichts? Genau das ist das Problem. Sowohl der SPD-Fraktionschef wie der neue Landeschef sind auch innerhalb Berlins weitgehend unbekannt. Ein ernstzunehmender Nachfolger, der die SPD mehrheitlich hinter sich scharen könnte, ist derzeit nicht in Sicht. Das rettet Wowereit für den Moment. Doch sobald sich die Partei hinter den Kulissen sortiert hat, ist er weg.
Antje Lang-Lendorff, Ressortleiterin der Berlin-Redaktion
NEIN:
Klaus Wowereit, der Bruchpilot, muss weg! Das fordern Grüne und Piraten, ein paar Linke, ja sogar einige Sozialdemokraten. Denn wenn bei einem milliardenteuren, öffentlich finanzierten Flughafen bis auf weiteres nur die Kosten in die Höhe gehen, dann wird die Opposition doch wohl noch den Rücktritt des obersten Kontrolleurs fordern dürfen, oder?
Klar, darf sie. Muss sie sogar. Die Regierung stürzen bei jeder sich bietenden Gelegenheit, das gehört zu den obersten Pflichten der Opposition.
Die Frage ist nur: Und dann? Was käme nach einem Rücktritt von Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister von Berlin? Und vor allem: Würde das irgendetwas ändern an der katastrophalen Lage des Hauptstadtflughafens? Nein, gar nichts. Leider.
Denn eine Änderung zum Positiven würde ja voraussetzen, dass ein anderer Politiker, eine andere Regierung es besser könnte. Dieser Unbeleckte andere aber fehlt beim Hauptstadtflughafen. Zwar war Wowereit Chef des Aufsichtsrats. Doch in diesem Kontrollgremium sitzen und saßen auch noch hochrangige Vertreter von rot-schwarzen (Berlin heute, Brandenburg früher), rot-roten (Brandenburg heute, Berlin früher) und schwarz-gelben (Bund) Regierungen. Wenn hier also überhaupt jemand abtreten müsste, dann alle – inklusive Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU).
Politiker fast jeder Couleur haben sich von den Bauausführenden auf der Nase herumführen lassen. Kein Wunder, denn letztlich sitzt in den Aufsichtsräten aller öffentlich finanzierten Großprojekte nur eine von den Parlamenten entsandte Amateurtruppe. Sie erledigen das im Nebenjob. Das reicht für einen groben Überblick. Für mehr aber auch nicht.
Es handelt sich also weniger um das Versagen Einzelner als um ein systemimmanentes Problem – was sich zum Beispiel auch bei der Elbphilharmonie in Hamburg, dem Nürburgring in der Eifel oder dem Bahnhof in Stuttgart zeigt. Dummerweise gibt es kaum tragbare Alternativen.
Die einen fordern, die Aufsicht öffentlich finanzierter Bauprojekte ausschließlich Profis zu überlassen. Dann aber wäre die Kontrolle durch Vertreter der demokratisch gewählten Parlamente noch schwächer. Andere wollen Großprojekte nur noch von privaten Firmen errichten lassen. Genau das war der ursprüngliche Plan beim Hauptstadtflughafen. Er scheiterte schon 2003 an den unglaublich dreisten Vorgaben eines Bauoligopols. Bliebe der komplette Verzicht. Das mag ja bei dem ein oder anderen offensichtlich nur aus Prestigegründen gestarteten Vorhaben sinnvoll erscheinen. Aber eine Republik, die sich gar nichts Großes mehr zutraut? Das kann ja nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Wenn es aber eh niemand besser machen kann als Klaus Wowereit, dann sollte man ihn nicht aus der Verantwortung lassen. Zumal er gegenüber allen möglichen Nachfolgern wenigstens einen Vorteil hat. Er dürfte mittlerweile wenigstens halbwegs wissen, worum es geht.
Gereon Asmuth, Ressortleiter von taz.eins
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