Flüchtlingsunterkünfte in Berlin: „Kommunikativ desaströs“
Kritik am LAF: Mit wenigen Tagen Vorlauf müssen Flüchtlinge in andere Bezirke umziehen. Im alten Heim war auch wegen Corona kein Platz mehr.
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Nur einen Tag später seien die ersten 100 von 220 Menschen bereits „umgesiedelt“ worden, berichtete Hinrich Westerkamp, Vorsitzender der Grünen-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung, der taz. Dieses Vorgehen des LAF sei nicht nur „kommunikativ desaströs“, kritisierte er. „Damit werden auch langjährige Integrationsanstrengungen zunichtegemacht.“
So sieht das auch der ehrenamtliche Flüchtlingshelfer Hanspeter Heidrich, der in der Unterkunft dreimal die Woche Deutsch unterrichtet. In dem „Dorf“, wie er das Containerheim, neudeutsch: Tempohome, nennt, gebe es eine gut funktionierende Gemeinschaft „mit vielen gemeinsamen Aktivitäten für die Bewohner“. Die ungefähr 90 Kinder gingen in Schulen und Kitas in der Nähe, auch unter Erwachsenen seien Freundschaften entstanden, kurz: Die Familien, die meist schon ein paar Jahre in Berlin leben, hätten sich gut integriert.
Hinzu kommt: Im Containerdorf hat jede Familie Schlafräume für sich, eine eigene kleine Küche, eigenes Bad. Jetzt müssen laut Heidrich einige von ihnen in Unterkünfte ziehen mit Gemeinschaftsküchen und –bädern. Selbst angeschaffte Möbel, Teppiche und ähnliches dürften sie nicht mitbringen, sei ihnen erklärt worden. Entsprechend groß sei die Bestürzung gewesen, als die Aufforderung zum Umzug gekommen sei. Zumal dies einigen BewohnerInnen nicht zum ersten Mal passiere. „Sie fühlen sich wie Dinge behandelt, die man hin- und herschieben kann“, so der Helfer.
Marzahn, Wittenau, Kreuzberg
Eine der Betroffenen ist Amida Haziguliyeva, eine 35-jährige gelernte Kinderkrankenschwester aus Aserbaidschan. Sie lebt mit Mann und zwei Teenagerkindern seit zwei Jahren in Berlin. Erst habe sie von Marzahn nach Wittenau ziehen müssen, nun schicke sie das LAF nach Kreuzberg ins dortige Tempohome. „Das macht viele Probleme: Die Kinder müssen wieder in eine neue Schule und ihre Freunde zurücklassen, ich muss den Deutschkurs wechseln“, sagt sie.
Das LAF begründete die Hauruckaktion mit dem erhöhten Platzbedarf durch Corona. Die ebenfalls auf dem Gelände befindlichen Sternhäuser, in denen neu ankommende Asylbewerber derzeit untergebracht werden, bis der Neubau des Akuz fertig ist, seien fast voll, erklärte LAF-Sprecher Sascha Langenbach auf taz-Anfrage. Dies liege zum einen an derzeit wieder steigenden Asylbewerberzahlen, zum anderen daran, dass alle Neuankömmlinge wegen der Pandemie in „Kohorten“ isoliert würden, bis sie ihren Gesundheitscheck inklusive Coronatest hinter sich haben. Weil die Testergebnisse sich derzeit oft verzögerten, verlängere sich die Quarantäne entsprechend.
Die Kritiker überzeugt dies nicht so recht. „Bei allem Verständnis für die aktuelle Situation: Die Art und Weise der Umsetzung durch das LAF ist einfach skandalös“, sagte Karin Hiller-Ewers, für die SPD in der BVV Reinickendorf und Vorsitzende des Integrationsausschusses. Man könne Menschen nicht so behandeln, findet sie. Zudem seien Alternativen, etwa die Anmietung leer stehender Hotels in der Nähe, ihres Wissens gar nicht geprüft worden. „Das LAF hat es sich etwas einfach gemacht.“
Neubau erst Ende Dezember fertig
Das findet auch Westerkamp. Das Amt habe „schlecht geplant“, es hätte die Menschen besser auf die Umzüge vorbereiten und informieren müssen. Zudem sei es zwar „naheliegend“, das Containerdorf auf dem Gelände für die Neuankömmlinge zu nutzen. Andererseits sei der Neubau des AKUZ mit rund 300 Plätzen im Prinzip fertig – es fehle nur noch die Bauabnahme. „Hätte man daran nicht mit Hochdruck arbeiten können?“, fragt er.
Nein, erwidert Langenbach, vor dem 28. Dezember werde das LAF den Neubau nicht übergeben bekommen. Zudem könne es gut sein, dass man auch danach mehr Plätze benötige – immer öfter seien neu ankommende Flüchtlinge Corona-positiv und müssten in Quarantäne. Die derzeitige Quarantänte-Unterkunft sei schon voll, eine zweite werde Mitte Dezember in Marzahn eröffnet.
Der LAF-Sprecher erklärte sein Bedauern, „dass aufgrund dieser außergewöhnlichen Lage und der damit verbundenen Eile entgegen unserer sonstigen Bemühungen – nicht für alle Bewohnerinnen und Bewohner neue Unterkünfte in der Nähe des Sozialraums gefunden werden konnten“. Das gegenüber einigen BewohnerInnen kommunizierte Verbot, eigene Möbel und Besitztümer mitzunehmen sei aber ein „Missverständnis“ gewesen, es dürfte alles mitgenommen werden. Auf Wunsch könne der Umzug auch „in aller Ruhe erledigt werden“ – bis kommende Woche.
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