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Flüchtlingschaos in BerlinMcKinsey-Berater wird neuer Lageso-Chef

Monatelang sorgte das Durcheinander am Berliner Flüchtlingsamt Lageso für Verzweiflung bei Asylbewerbern und Schlagzeilen in den Medien. Nun soll ein neuer Chef der Retter sein.

Warten, warten, warten: Flüchtlinge in einem der Wartezelte vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales. Foto: ap
Von dpa

Das umstrittene und überforderte Berliner Flüchtlingsamt Lageso wird übergangsweise von einem Unternehmensberater der Firma McKinsey geleitet. Der gelernte Diplom-Kaufmann Sebastian Muschter werde den Job kommissarisch übernehmen, teilte die Senatssozialverwaltung am Donnerstag mit. Muschter gehört seit dem vergangenen Jahr zu einem Team von McKinsey, das das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) und den Senat berät. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) erklärte, Muschter habe so „bereits umfassende Kenntnisse im Flüchtlingsmanagement erworben“ und sei mit dem Lageso vertraut.

Der frühere langjährige Lageso-Chef Franz Allert war im Dezember auf Druck des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) zurückgetreten. Czaja erklärte, Muschter werde von einem Team von vier zusätzlichen Führungskräften unterstützt, „um schnellstmöglich grundsätzliche Verbesserungen der Strukturen und Arbeitsabläufe im Lageso durchzusetzen“.

Muschter studierte ab 1989 in Siegen Betriebswirtschaft und danach im schweizerischen St. Gallen Wirtschaftsinformatik. 1999 erwarb er dort einen Doktortitel im Fach Informations-Management. Er arbeitete einige Jahre in den USA und stieg 2004 bei McKinsey ein. Dort ist er zuständig für den Bereich öffentliche Verwaltung in Deutschland.

Müller kündigte an, der landesweite Koordinierungsstab für Flüchtlingsfragen werde mit Wolf Plesmann verstärkt, der zuletzt an der Führungsakademie der Bundeswehr tätig war und viel Verwaltungserfahrung mitbringe. Plesmann werde zugleich Stellvertreter von Flüchtlings-Staatssekretär Dieter Glietsch (SPD) und solle ein Konzept für das neue Flüchtlings-Landesamt entwickeln.

Das Lageso war im vergangenen Jahr zum Symbol für die Unfähigkeit der Verwaltung geworden, Zehntausende Flüchtlinge zu registrieren und zu versorgen. Deutsche und internationale Medien kritisierten immer wieder menschenunwürdige Zustände. Bilder von verzweifelten und erschöpften Asylbewerbern, die in Kälte und Regen stunden- und tagelang warteten, sorgten für Aufregung. Trotz vieler Reformen kam das Lageso bei der Bearbeitung der Fälle nicht hinterher.

Der zurückgetretene Chef Allert räumte im Dezember ein, er hätte den Senator mit mehr Nachdruck auf Probleme hinweisen und deutlich mehr Personal erhalten müssen. Vieles sei zerredet worden. Künftig sollen pensionierte Beamte in Berlin helfen, Flüchtlinge schneller zu registrieren. Noch immer seien zahlreiche Flüchtlinge in der Hauptstadt nicht offiziell erfasst, hieß es es in den am Donnerstag veröffentlichten Beschlüssen einer Klausur des rot-schwarzen Senats.

Mindestens 50 Pensionäre sollen bis Ende Januar zusätzlich eingesetzt werden, wie es in den am Donnerstag veröffentlichten Beschlüssen einer Klausur der rot-schwarzen Landesregierung heißt. Der Senat werde gezielt auf sie zugehen. Ziel sei die Registrierung von mindestens 1000 Flüchtlingen am Tag. Damit würden täglich mehrere Hundert Altfälle abgearbeitet, da die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge in Berlin zuletzt auf täglich durchschnittlich 300 gesunken ist.

Berlin will keine weiteren Turnhallen mit Flüchtlingen belegen. Über die bereits vorgelegte Liste hinaus sollten keine neuen Hallen genutzt werden, sagte Innensenator Frank Henkel (CDU) am Donnerstag nach der Klausur. Stattdessen sollten notfalls Gewerbegebäude beschlagnahmt werden.

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1 Kommentar

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  • McKinsey berät nach eigenen Angaben "über zwei Drittel der 1.000 größten amerikanischen und die Mehrzahl der im DAX vertretenen deutschen Unternehmen" - und ein paar öffentliche Institutionen bzw. Regierungsstellen. Beliebt gemacht hat sich die Firma mit Verfahren zur Kostensenkung im sogenannten "Gemeinkostenbereich". Gemeinkosten sind Kosten, die nicht direkt einem veräußerbaren Produkt zugeordnet und deswegen auch nicht durch dessen Verkauf refinanziert werden können. Darunter können auch Löhne und Gehälter fallen .

     

    Nun ist das mit den Flüchtlingen so eine Sache. Sie sind so gut wie unverkäuflich. Deswegen sind (fast) alle Kosten, die dem Lageso im Zusammenhang mit der Verwaltung (um nicht zu sagen Gängelung) der Flüchtlinge entstehen, Gemeinkosten.

     

    Ich erwarte, dass McKinseys Mitarbeiter tun, was sie am besten können: die Gemeinkosten senken. Satt also zusätzliche Mitarbeiter einzustellen, wird man wohl versuchen, Arbeitsabläufe zu "optimieren" oder sogar Stellen abzubauen. Es wird erst einmal ein großes Durcheinander geben, dann noch mehr Arbeit, noch längere Schlangen vor der Tür und in der Folge (soweit überhaupt noch möglich) eine Zunahme der allgemeinen Frustration. Die diversen Medien werden über all dies dann wieder unter der Überschrift "Flüchtlingskrise" berichten. Und zwar vor allem mit Blick auf die heldenhaften Versuche der Regierung, sich der "Flut" in den Weg zu stellt, sowie auf die Verschärfung der Konflikte zwischen Bärgida-Demonstranten und deren Gegnern und zwischen einer überforderten Polizei und irgendwelchen bösen Nordafrikanern.

     

    Die der Gesellschaft entstehenden Kosten des Spektakels werden erheblich sein. Man könnte sie ganz prima dadurch senken, dass man McKinsey als Problem begreift und nicht als Lösung. Nachdem man sie den eigenen Verfahren unterworfen hat, könnte man ihnen den lukrativen Beraterauftrag wieder entziehen. Aber das wird dann natürlich richtig teuer...