Flüchtlingscamp in Kreuzberg: „Forderungen an den Bund“
Zu Beginn des Protests kamen Dilek Kolat und Maria Böhmer zu den Flüchtlingen. Wie stehen Politiker heute zu den Forderungen?
„Wohnraum ist für alle knapp“
„Die Forderungen sind nicht im Interesse des Landes und nach aktueller Rechtsprechung nicht erforderlich. Wir brauchen ein funktionierendes Asylrecht. Dazu gehört, dass tatsächliche Flüchtlinge aufgenommen und diejenigen zurückgeführt werden, die es nicht sind. Eine Abschaffung der Residenzpflicht würde zu einem Strom in die Ballungszentrum führen. Im Interesse Berlins kann das nicht sein. Gemeinschaftsunterkünfte auszuschließen wäre abwegig. 7.000 Asylbewerber leben in Berlin schon in Wohnungen, Wohnraum ist für alle knapp.“
Burkard Dregger, integrationspolitischer Sprecher CDU Berlin
„Residenzpflicht abschaffen“
„Ich setze mich weiterhin für die Anliegen der Flüchtlinge ein. Mich beeindruckt immer wieder, wie motiviert die neu ankommenden Menschen sich in unsere Gesellschaft einbringen wollen, und ich setze mich mit allen mir zustehenden Mitteln für eine Verbesserung ihrer Situation ein. Gerade haben wir auf der Integrationsministerkonferenz in Dresden mehrere Anträge im Interesse der Flüchtlinge eingebracht. Dazu gehören ein erleichterter Arbeitsmarktzugang und die generelle Abschaffung der Residenzpflicht. Wir haben in Deutschland eine besondere humanitäre Verpflichtung, Menschen, die als Flüchtlinge kommen, zu helfen.“
Dilek Kolat (SPD), Berliner Integrationssenatorin
„Schneller Arbeit gewähren“
Die Demo: Zum einjährigen Jubiläum ihres Asylaufstands wollen die Flüchtlinge am Samstag um 14 Uhr in einer Demo von ihrem Camp zum Bundestag ziehen. Ihr Motto: "Refugees Revolution".
Der Protest: Seit Oktober protestieren die Flüchtlinge mit ihrem Zeltdorf für mehr Rechte. Kreuzberg duldet das Camp bis auf Weiteres, "solange dort politische Aktivitäten stattfinden". Auch die Besetzung der Hauptmann-Schule wird als "Kältehilfe" gewährt - eigentlich bis Ende März, um danach Kreuzberger Initiativen Platz zu machen. Da das Vergabeverfahren nun aber frühstens Ende April entschieden wird, dürfen die Flüchtlinge länger bleiben. (ko)
„Der Integrationsbeirat, den ich leite, hat sich intensiv mit der Thematik beschäftigt und rechtliche Verbesserungen für Flüchtlinge und Menschen ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland gefordert. Ich unterstütze die Forderung des Beirats, allen Einwanderern so schnell wie möglich den Zugang zu Integrationskursen zu ermöglichen, um dort die deutsche Sprache lernen zu können. Ich bin dafür, allen in Deutschland lebenden Einwanderern den Zugang zum Arbeitsmarkt spätestens nach sechs Monaten zu ermöglichen. Wer einer Arbeit nachgehen kann, fühlt sich wertgeschätzt und kann ein selbstständiges Leben führen. Zudem ist er nicht mehr auf den Bezug von Sozialleistungen angewiesen.“
Maria Böhmer (CDU), Staatsministerin für Migration und Integration
Geld: Als der "Refugee Strike" vor einem Jahr begann, mussten Flüchtlinge und Geduldete von nur zwei Dritteln des Hartz-IV-Satzes leben - so wollte es das alte Asylbewerberleistungsgesetz. Doch im Juli entschied das Bundesverfassungsgericht: Existenzminimum ist Existenzminimum. Das Sozialministerium musste die Sätze neu berechnen. Seither zahlen die meisten Bundesländer Flüchtlingen Leistungen in annähernder Höhe von Hartz IV, auch Berlin. Ob das so bleibt, ist offen: Die Neufassung des Asylbewerberleistungsgesetzes kommt nicht voran. Während Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) Asylbewerber deutschen Sozialleistungsempfängern gleichstellen will, pocht Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) darauf, dass sie auch künftig weniger bekommen sollen.
Sachleistungen: Nach dem Karlsruher Urteil haben einige Bundesländer den Sachleistungszwang ausgesetzt. Einzig Bayern und das Saarland halten an dem Prinzip fest - ebenso wie an der Lagerunterbringung.
Bewegungsfreiheit: Nachdem Hessen im Dezember die Residenzpflicht gelockert hat, dürfen sich Asylbewerber jetzt nur noch in Bayern, Sachsen und Thüringen nicht frei bewegen. (cja)
„Wahl entscheidet über Forderungen“
„Ich persönlich habe einige Sympathien für die Anliegen der Flüchtlinge. Die Forderungen richten sich aber klar an den Bund. Die Bundestagswahl entscheidet den Kurs der Asylpolitik. Kommt es zu Rot-Grün, dürfte eine liberale Flüchtlingspolitik in Koalitionsverhandlungen eine große Rolle spielen. Bei der jetzigen Koalition sehe ich dafür schwarz.“
Thomas Kleineidam, innenpolitischer Sprecher der SPD Berlin
Protokolle: Konrad Litschko
Dieser Text ist Teil des Schwerpunkts der Wochenendausgabe der taz.berlin. Darin außerdem: Eine Reportage aus dem Camp in Kreuzberg und ein Text zur heutigen Demonstration.
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