Flüchtlinge: Der Protest schwelt weiter
Die Diskussion über den Oranienplatz geht auch nach dem Abbau der Zelte weiter: Eine Veranstaltung mit der Bezirksbürgermeisterin endete im Streit.
Nach zwei Stunden gab der Moderator auf. „Weil eine Diskussion in der aufgeheizten Stimmung nicht möglich ist, beende ich die Veranstaltung jetzt“, erklärte ein sichtlich gestresster Reza Amiri (Linke). Der Bezirksverordnete von Friedrichshain-Kreuzberg hatte am Dienstagabend zwei Stunden lang versucht, eine Diskussionsveranstaltung zu moderieren, zu der das Linken-nahe Bildungszentrum Helle Panke geladen hatte.
Erstmals seit der Räumung des Flüchtlingscamps auf dem Oranienplatz trafen dabei Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) und jener Teil der Flüchtlinge aufeinander, die die Vereinbarung mit dem Senat ablehnten.
Hungerstreik geht weiter
Am vergangenen Dienstag hatte der Großteil der Flüchtlinge nach eineinhalb Jahren Besetzung den Oranienplatz in Kreuzberg geräumt und war in ein ehemaliges Hostel in Friedrichshain gezogen. Im Gegenzug hatte der Senat den Flüchtlingen eine Einzelfallprüfung ihrer Asylanträge und ein vorläufiges Bleiberecht zugesichert. Eine kleine Gruppe protestiert weiter an der Nordseite des Oranienplatzes, fünf befinden sich im Hungerstreik.
„Die Veranstaltung war schon länger geplant. Durch die Räumung des Oranienplatzes durch einen Teil der Flüchtlinge gegen den Willen ihrer Mitstreitenden hat sie aber an Brisanz gewonnen“, erklärte Fabian Kunow vom Bildungszentrum Helle Panke am Mittwoch.
Vor allem um die Zukunft der von Flüchtlingen besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule gab es für heftige Kontroversen. Ein Flüchtling verlangte von Herrmann die Zusicherung, dass keiner der BewohnerInnen der Schule geräumt wird. Das aber scheint ohnehin nicht geplant zu sein: Seitens des Bezirksamts hieß es am Dienstag, es sei in jedem Fall kein Auszug geplant, solange das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales keine alternative Unterkunft zur Verfügung stelle. Der Bezirk sei mit den BewohnerInnen im Gespräch und versuche derzeit, ihren genauen Status festzustellen.
Während des Schlagabtauschs zwischen Herrmann und Flüchtlingen kam die Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak (Linke), die ebenfalls am Podium saß, nur selten zu Wort. Sie hatte die Ergebnisse eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vorgestellt, um zu zeigen, dass die Landesbehörden nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes einen Ermessensspielraum hätten und auch der gesamten Gruppe der Flüchtlinge ein Aufenthaltsrecht zusprechen könnten. Doch darauf ging am Dienstagabend niemand ein.
Am Mittwoch kritisierte auch der Flüchtlingsrat Berlin die Räumung des Oranienplatzes. Sie sei „eine traurige Bilanz für die Flüchtlingspolitik des Senates“. Das Angebot bleibe weit hinter den rechtlichen Möglichkeiten zurück und biete den Flüchtlingen keinerlei Sicherheit, „weder hinsichtlich des Verfahrens, geschweige denn des Ergebnisses“. Der Flüchtlingsrat kritisierte weiter, der Senat habe die Spaltung der Flüchtlinge bewusst betrieben und forderte nun eine „einvernehmliche“ Lösung für die Flüchtlinge in der Schule.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen