Flüchtlinge sollen umziehen: Neue Unterkunft in Lichtenberg
Der Senat will die zentrale Flüchtlingseinrichtung in Spandau schließen. Eine neue in Lichtenberg ist allerdings nicht groß genug. Flüchtlingsrat kritisiert das ganze Konzept.
Wohnen in eingezäunten und heruntergekommenen Containern im Spandauer Industriegebiet, abgeschieden von jeder Infrastruktur. Muffige Gemeinschaftsküchen, Großduschräume, die nicht abschließbar sind. Für all dies steht die Zentrale Erstaufnahmestelle des Landes Berlin für Asylbewerber in der Spandauer Motardstraße. Seit Jahren stehen die Wohnverhältnisse in der Kritik. Der Flüchtlingsrat spricht sogar von einem "Lager Motardstraße". Damit soll bald Schluss sein. Berlin will "die Einrichtung in der Motardstraße perspektivisch schließen", weil sie "sanierungsbedürftig ist", teilt Regina Kneiding, Sprecherin von Sozialsenator Mario Czaja (CDU), der taz mit. Bereits unter Czajas Amtsvorgängerin Carola Blum (Linke) habe das Land damit begonnen, in der Lichtenberger Rhinstraße ein neues Gebäude herzurichten.
Noch hämmern dort die Handwerker. Zwei von vier Hauseingängen in dem Elfgeschosser sollen als Erstaufnahmeeinrichtung hergerichtet werden. Der Senat will hier 250 bis 300 Asylsuchende unterbringen. In den beiden Nachbareingängen wohnen ganz normale Familien. Etwa jede dritte Familie hat einen vietnamesischen Namen. Auch russlanddeutsche Spätaussiedler und Menschen aus dem früheren Jugoslawien wohnen hier. Stacheldrahtzäune wie in der Motardstraße gibt es keine in dem Wohn-Gewerbe-Gebiet. Mehrere Straßenbahnlinien halten in der Nähe.
Für die Asylbewerber verbessern sich die Wohnbedingungen, auch wenn die beengten Verhältnisse mit mehreren oft fremden Personen in einem Zimmer bleiben werden. Aber ist der Kiez rund um die Rhinstraße nicht ein rechtsextremer Schwerpunkt? Ein alter Mann, der gerade vom Einkauf kommt, schüttelt den Kopf und sagt mit russischem Akzent. "Hier doch nicht. Ich wohne gern hier." Berlins größter Asiamarkt, das Dong-Xuan-Center, liegt nur einen Kilometer entfernt.
Bezugsfertig soll das Haus bereits im ersten Quartal 2012 sein, wahrscheinlich im Februar. Lichtenbergs Bürgermeister Andreas Geisel (SPD) erfährt allerdings erst durch die Recherchen der taz von dem Umzug. "Auch unsere Fachabteilung war ahnungslos. Selbstverständlich ist die Aufnahme von Asylsuchenden eine wichtige politische Aufgabe, dem sich auch unser Bezirk stellt. Aber ich hätte mir eine bessere Kommunikation seitens der Landesregierung gewünscht, damit der Bezirk sich auf diese Aufgabe vorbereiten kann", sagt Geisel.
Offen ist auch, was mit den übrigen Bewohnern der Motardstraße geschehen soll. Dort sind derzeit laut offizieller Statistik 569 Menschen untergebracht. Nur rund die Hälfte von ihnen finden in der Rhinstraße Platz. "Gegebenenfalls muss eine weitere derzeit bestehende Unterkunft für die Erstaufnahme umgewidmet werden", erklärt Kneidung. Flüchtlingsratssprecherin Martina Mauer kritisiert: "Wie es scheint, hat der Senat die Sache nicht zu Ende gedacht und spekuliert darauf, den maroden Bau in der Motardstraße weiter zu belegen." Aus ihrer Sicht geht die Eröffnung einer neuen Erstaufnahmestelle "mit mehreren hundert Bewohnern" in die falsche Richtung. "Wir fordern die Verteilung auf mehrere Standorte mit maximal 50 Bewohnern. Das erleichtert die schulische Integration der Kinder."
In der Motardstraße warten die Schüler oft über viele Wochen, bis sie zur Schule gehen dürfen. Martina Mauer: "Wenn der Bezirk Lichtenberg erst jetzt erfährt, dass er im Februar viele neue Schulplätze zur Verfügung stellen muss, droht eine ähnliche Situation." Bürgermeister Geisel bestätigt, dass in seinem Bezirk die Schulplätze knapp sind "wie in anderen Bezirken auch. Wir erwarten von der Landesregierung Unterstützung bei der Aufnahme von Asylbewerberkindern in Schulen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt