Flüchtlinge in spanischer Exklave Ceuta: Unser Freund, der Despot
Die EU lässt Marokkos König mit seinen Machtspielen gewähren – weil sie Rabat für die Abschottung ihrer Außengrenzen braucht. Sie macht sich damit aufs Neue erpressbar.
F lüchtlinge sind Verhandlungsmasse, nichts als Verhandlungsmasse. Das gilt für Marokko, die Türkei und Libyen. Wenn es um die Sicherung der europäischen Außengrenzen geht, verhandelt Brüssel mit Despoten und zweifelhaften Herrschern. Solange sie liefern – und uns die Armen dieser Welt vom Halse schaffen –, sind sie unsere Freunde.
Auch am Dienstag, nach Ausbruch der Flüchtlingskrise in Ceuta, der spanischen Exklave in Nordafrika, war viel von Freundschaft und Zusammenarbeit die Rede. Es galt, den marokkanischen Monarchen Mohammed VI. wieder zu beruhigen.
Denn anstatt den Job zu machen, mit dem Europa ihn beauftragt hat, zeigt König Mohammed VI. gegenüber Spanien und Europa Muskeln. Es geht um die Westsahara, die Marokko seit 1975 besetzt hält – gegen alle Regeln der UN. Doch US-Präsident Donald Trump hat Marokkos Anspruch am Ende seiner Amtszeit unterstützt. Und seitdem reagiert Marokko aggressiv, wenn es um die Westsahara geht.
Rabat brach erst einen diplomatischen Streit mit Berlin vom Zaun, weil Angela Merkel Trump nicht folgte. Jetzt ist Madrid an der Reihe. Auch wenn Spanien Marokko nie offen kritisiert oder gar die unter der Besatzung leidenden Sahrauis offen verteidigt, will Madrid eine Lösung des Problems unter UN-Regie.
Dass man dann auch noch den Chef der sahrauischen Exilregierung, Brahim Ghali, zur Behandlung in einem nordspanischen Krankenhaus einreisen ließ, brachte Mohammed VI. völlig in Rage. Er öffnete die Grenze nach Ceuta und verursacht damit eine Krise mit Spanien und der EU.
In der durch die Pandemie hervorgerufenen wirtschaftlichen und sozialen Krise kommt Mohammed VI. dieser Konflikt innenpolitisch gerade recht. Die Bilder aus Ceuta – für viele Marokkaner ein durch „die ungläubigen Spanier besetztes Gebiet“ – schaffen den Schulterschluss und lassen die Unzufriedenheit vergessen.
Kurswechsel nicht zu erwarten
Von einem Despoten ist nichts anderes zu erwarten. Von der EU, die sich Menschen- und Bürgerrechte auf die Fahne schreibt, schon. Es drängt sich die Frage auf, warum sich die Union so leicht erpressbar macht.
Ein Kurswechsel ist nicht zu erwarten. Kaum gingen die Bilder aus Ceuta um die Welt, redete niemand in Brüssel so richtig Klartext. Statt die Machtspiele aus Rabat zu verurteilen, war viel von der Freundschaft mit Marokko die Rede. Warum auch Mohammed VI. noch mehr verärgern? Wohin das führen kann, hat der Wächter einer anderen Außengrenze, „unser Freund“, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, vorgemacht. Mohammed VI. hat daraus gelernt. Die EU nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs