Flüchtlinge in der Türkei: „Sie behandeln uns hier wie Tiere“
Immer mehr Syrer wollen die Türkei in Richtung Europa verlassen. Genau das versucht die Regierung mit allen Mitteln zu verhindern.
Ahmet und seine Familie sind bereits vor zwei Jahren vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen und leben seitdem in der Türkei. Zuletzt hatten sie sich in Istanbul niedergelassen, doch Ahmet will jetzt unbedingt weg.
Der Zeitung Zaman sagte er, sie könnten sich das Leben in der Türkei einfach nicht mehr leisten. „In Istanbul gibt es keine Wohnung unter 1000 türkischer Lira (umgerechnet ungefähr 350 Euro) Unsere Kinder gehen nicht in die Schule und wenn jemand von uns krank wird, können wir uns zwar kostenlos untersuchen lassen doch die Behandlung und die Medikamente müssen wir dann bezahlen.“
Ahmet hat illegal auf einer der vielen Baustellen in Istanbul gearbeitet, doch als er nach 45 Tagen seinen Lohn haben wollte, schmissder Vorarbeiter ihn raus. „Sie behandeln uns hier wie Tiere, wir haben hier keine Zukunft“.
Bessere Zukunft in Deutschland
Wie Ahmet wollen immer mehr Syrer, die sich zunächst vor dem Krieg in die Türkei retteten, jetzt weiter nach Europa. Ihre Hoffnung in naher Zukunft nach Syrien zurückkehren zu können ist gestorben und langfristig sehen sie für ihre Kinder in Deutschland eine bessere Zukunft.
Das Problem im Moment ist: Türkische Polizei und Gendarmerie lassen die Flüchtlinge nicht mehr an die Grenze. Das bestätigt ein Regierungsdokument, das der Nachrichtenagentur AP vorliegt. Seit rund zwei Wochen hat die Türkei ihr Verhalten gegenüber den Flüchtlingen auffallend verändert. Haben die türkischen Sicherheitskräfte in den letzten Monaten kaum ein Schlauchboot daran gehindert, von der türkischen Küste auf eine der nahe gelegenen griechischen Inseln überzusetzen, so geht die Küstenwache jetzt aktiv gegen Flüchtlingsboote vor.
Flüchtlingsorganisationen berichten, dass ein Boot auf dem Weg nach Lesbos von der Küstenwache aufgebracht wurde, dabei kenterte und mehrere Flüchtlinge ertranken. Ein Reuters-Korrespondent auf Lesbos berichtete, dass in den letzten Tagen nur noch zwei Schlauchboote ankamen, wohingegen zuvor jede Nacht mindestens 20 landeten.
Am Mittwoch hingenen kamen auf Lesbos wieder mehr als 2500 Flüchtlinge an. Die meisten von ihnen seien Afghanen, sagt ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur Reuters. Alleine an einem Strand seien 40 Schlauchbote mit jeweils 60 bis 70 Menschen angelandet. Einige litten an Unterkühlung.
Schwere Herbststürme
Mittlerweile ist die Seeroute für dieses Jahr jedoch kaum noch passierbar. Am Dienstag setzten in der Ägäis schwere Herbststürme ein, die den Bootsverkehr völlig lahmlegten und schwere Schäden verursachten. Deshalb versuchen seit rund zwei Wochen wieder vermehrt Flüchtlinge über die Landgrenze zu Griechenland oder Bulgarien in die EU zu kommen.
Von Istanbul aus wollten sie mit dem Bus in die 240 Kilometer entfernte Grenzstadt Edirne fahren, bekamen allerdings von den Busgesellschaften zu hören, es sei verboten ihnen Tickets zu verkaufen. Bis zu 1000 Flüchtlingen kampierten zeitweilig auf dem zentralen Istanbuler Busbahnhof und kamen dort nicht weg. Nach rund einer Woche machte sich eine erste Gruppe von 300 Flüchtlingen zu Fuß auf den Weg.
Während die ersten Gruppen noch bis Edirne kamen, wurden die nachfolgenden Gruppen marschierender Flüchtlinge von der Polizei bereits am Stadtrand von Istanbul abgefangen. Sie wurden in Busse verfrachtet und nach Zentralanatolien gefahren.
Dasselbe Schicksal steht den Flüchtlingen bevor, die jetzt noch in Edirne ausharren. Von insgesamt 3000 Syrern, Irakern und Afghanen die sich dort zu Fuß oder auf verschlungenen Pfaden mit Taxis und anderen Verkehrsmitteln eingefunden hatten, sind die Hälfte bereits nach Anatolien abtransportiert worden. Auch die 1500 Menschen die noch da sind werden bis zum Wochenende abtransportiert, kündigte der Gouverneur der Provinz Edirne, Ali Sahin, an. Es scheint, dass der Druck aus der EU bereits erste Früchte trägt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg