piwik no script img

Flüchtlinge in der Türkei„Sie behandeln uns hier wie Tiere“

Immer mehr Syrer wollen die Türkei in Richtung Europa verlassen. Genau das versucht die Regierung mit allen Mitteln zu verhindern.

Ein junger Syrer wartet in einem Stadion in Edirne auf die Weiterreise nach Griechenland bzw. Bulgarien. Foto: Reuters

Istanbul taz | Ahmet Mesur war Lehrer in Syrien. Heute sitzt er, notdürftig vor Sonne und Regen geschützt, in einem Sportstadion in der türkischen Grenzstadt Edirne, von wo er, seine Frau und seine zwei Kinder seit über einer Woche versuchen, nach Griechenland oder Bulgarien zu kommen.

Ahmet und seine Familie sind bereits vor zwei Jahren vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen und leben seitdem in der Türkei. Zuletzt hatten sie sich in Istanbul niedergelassen, doch Ahmet will jetzt unbedingt weg.

Der Zeitung Zaman sagte er, sie könnten sich das Leben in der Türkei einfach nicht mehr leisten. „In Istanbul gibt es keine Wohnung unter 1000 türkischer Lira (umgerechnet ungefähr 350 Euro) Unsere Kinder gehen nicht in die Schule und wenn jemand von uns krank wird, können wir uns zwar kostenlos untersuchen lassen doch die Behandlung und die Medikamente müssen wir dann bezahlen.“

Ahmet hat illegal auf einer der vielen Baustellen in Istanbul gearbeitet, doch als er nach 45 Tagen seinen Lohn haben wollte, schmissder Vorarbeiter ihn raus. „Sie behandeln uns hier wie Tiere, wir haben hier keine Zukunft“.

Bessere Zukunft in Deutschland

Wie Ahmet wollen immer mehr Syrer, die sich zunächst vor dem Krieg in die Türkei retteten, jetzt weiter nach Europa. Ihre Hoffnung in naher Zukunft nach Syrien zurückkehren zu können ist gestorben und langfristig sehen sie für ihre Kinder in Deutschland eine bessere Zukunft.

Das Problem im Moment ist: Türkische Polizei und Gendarmerie lassen die Flüchtlinge nicht mehr an die Grenze. Das bestätigt ein Regierungsdokument, das der Nachrichtenagentur AP vorliegt. Seit rund zwei Wochen hat die Türkei ihr Verhalten gegenüber den Flüchtlingen auffallend verändert. Haben die türkischen Sicherheitskräfte in den letzten Monaten kaum ein Schlauchboot daran gehindert, von der türkischen Küste auf eine der nahe gelegenen griechischen Inseln überzusetzen, so geht die Küstenwache jetzt aktiv gegen Flüchtlingsboote vor.

Flüchtlingsorganisationen berichten, dass ein Boot auf dem Weg nach Lesbos von der Küstenwache aufgebracht wurde, dabei kenterte und mehrere Flüchtlinge ertranken. Ein Reuters-Korrespondent auf Lesbos berichtete, dass in den letzten Tagen nur noch zwei Schlauchboote ankamen, wohingegen zuvor jede Nacht mindestens 20 landeten.

Am Mittwoch hingenen kamen auf Lesbos wieder mehr als 2500 Flüchtlinge an. Die meisten von ihnen seien Afghanen, sagt ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur Reuters. Alleine an einem Strand seien 40 Schlauchbote mit jeweils 60 bis 70 Menschen angelandet. Einige litten an Unterkühlung.

Schwere Herbststürme

Mittlerweile ist die Seeroute für dieses Jahr jedoch kaum noch passierbar. Am Dienstag setzten in der Ägäis schwere Herbststürme ein, die den Bootsverkehr völlig lahmlegten und schwere Schäden verursachten. Deshalb versuchen seit rund zwei Wochen wieder vermehrt Flüchtlinge über die Landgrenze zu Griechenland oder Bulgarien in die EU zu kommen.

Von Istanbul aus wollten sie mit dem Bus in die 240 Kilometer entfernte Grenzstadt Edirne fahren, bekamen allerdings von den Busgesellschaften zu hören, es sei verboten ihnen Tickets zu verkaufen. Bis zu 1000 Flüchtlingen kampierten zeitweilig auf dem zentralen Istanbuler Busbahnhof und kamen dort nicht weg. Nach rund einer Woche machte sich eine erste Gruppe von 300 Flüchtlingen zu Fuß auf den Weg.

Während die ersten Gruppen noch bis Edirne kamen, wurden die nachfolgenden Gruppen marschierender Flüchtlinge von der Polizei bereits am Stadtrand von Istanbul abgefangen. Sie wurden in Busse verfrachtet und nach Zentralanatolien gefahren.

Dasselbe Schicksal steht den Flüchtlingen bevor, die jetzt noch in Edirne ausharren. Von insgesamt 3000 Syrern, Irakern und Afghanen die sich dort zu Fuß oder auf verschlungenen Pfaden mit Taxis und anderen Verkehrsmitteln eingefunden hatten, sind die Hälfte bereits nach Anatolien abtransportiert worden. Auch die 1500 Menschen die noch da sind werden bis zum Wochenende abtransportiert, kündigte der Gouverneur der Provinz Edirne, Ali Sahin, an. Es scheint, dass der Druck aus der EU bereits erste Früchte trägt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Kommentar entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette.

  • wieder ein tendenzioser bericht.

    ich meine, hey, es gibt immer leute, die illegale arbeitskräfte ausbeuten, aber hier wird der eindruck erweckt, die türkei tue das mit den flüchtlingen.

    es gab auch durch eurpopäer aufgebrachte flüchtlingsboote (die nicht nur ein schlauchboot waren), die dabei kenterten. übrigens wird die eu bald flüchtlingsboote "zerstören"...

    es ist erstaunlich wie herr gottschlich es immer wieder schafft.

  • 2014 hat Erdoğan noch erklärt, die Türkei könne die syrischen FLüchtlinge alleine versorgen, alles sei super. Inzwischen hört man nur schlechte Dinge über das Leben der Syrer in der Türkei. Erdoğan lügt einfach herum, weder wollen die Türken diese Flüchtlinge haben, nocht schafft das Land, mit ihnen umzugehen. Anstatt um Hilfe zu bitten, geriert sich Erdoğan als harte Hand der Europäer, damit er klammheimlich seine Macht ausbauen kann und im November seine Pseudowahlen abhalten kann. In Wirklichkeit geht es Erdoğan nur um diese Wahlen und um eine islamistische Türkei mit ihm an der Spitze. Dabei hat gerade Erdoğan Nord-Syrien in unglaublicher Weise destabilisiert und über die ISIS und Nusra radikalen Jihadisten sogar erst geöffnet. Hätte sich die Türkei anders verhalten , es gebe diese Flüchtlinge gar nicht.

    • @Andreas_2020:

      2014 waren es auch noch keine 2 Millionen die dort waren.

      Anstatt um Hilfe zu bitten?

      Nur schlechtes?

      Es ist allen außer Ihnen bekannt, dass die Türkei seit Jahren um mehr Hilfe bittet.

      Informieren Sie sich richtig, dann sehen Sie, dass es auch gutes von Flüchtlingen in der Türkei zu hören gibt.

      75 Millionen haben 10 mal mehr Flüchtlinge aufgenommen als 500 Millionen Europäer, aber denen sagen was Sache ist.

      Die meisten Syrer fliehen vor Assad und diesen Bürgerkrieg hat nicht die Türkei los getreten.

      Erinnern wir uns, als es in Libyen los ging, wen haben die Europäer da unterstützt? Sicher nicht Gaddafi.

      Welches Signal hat das den Syrern gegeben?

      Erst ein mal an die eigene Nase fassen bevor Sie anderen die Schuld geben.

      Welche Interessen haben die Europäer verfolgt als sie die Türkei mit den Flüchtlingen alleine ließen?

      Mal nachdenken was alles den Erdogan schwächen kann, da wären Milliarden Ausgaben mit noch mehr Flüchtlingen und noch weiteren Unsummen, da macht man natürlich erst mal nix solange es nur Erdogan trifft.

      • @Mark Netzer:

        Nein. Die Türkei hat sich damals selbst gelobt, wie gut sie mit den Flüchtlingen fertig wird. Stand dick in Hürriyet. Und um Hilfe haben sie damals nicht gebeten, sondern sie haben fleißig daran gearbeitet, die Verbindungslinien von ISIS und Nusra offen zu halten. Über die Türkei sind auch viele Waffen direkt an diese Jihadisten gegangen. Und die Türkei hat genau die Grenzübergänge wie Bab al-Hawa für den 'syrischen' Widerstand geöffnet, damit meint Ankara Jihadisten. Die erhalten bis heute darüber Waffen und sollen Assad stürzen und Syrien zu einem autoritären Islam-Staat transformieren.

        • 7G
          70023 (Profil gelöscht)
          @Andreas_2020:

          Das sind die nur Behauptungen von Ihnen. Es muss ja nicht unbedingt Realität entsprechen.

          Türkei hat sich sehr korrekt verhalten. Türkei hat überhaupt keinen Grund gegen IS Krieg zu führen. Deutschland führt ja auch nicht gegen PKK. Sogar Deutschland unterstützt Terroristen. Mit anderen Worten Deutschland ist ein Mittäter. Die Situation ist aber für die Türkei eine andere. Die Türkei ist mit Problemen direkt vor Ort betroffen. Abgesehen davon, dass IS Produkt des Westens ist. Zur Zeit in der Türkei leben ca. 3 Mio. Flüchtlinge, wenn die Türken schlauer wären, würden sie alle 3 Mio. Flüchtlinge an die Westgrenze zu griechischen-bulgarischen Grenze transportieren und denen zeigen hier geht es nach Europa. Danach soll Europa das Flüchtlingsprobleme lösen, die sie selbst ausgelöst haben. Europa hat seit 4 Jahren so getan als hätten sie mit allen nichts zu tun. Ausbeutung hat bis jetzt keine Probleme gelöst. Europa erntet jetzt, was sie früher gesät hat.

        • @Andreas_2020:

          haben sie irgendwelche handfesten beweise für ihre unterstellungen, die türkei habe daesh mit waffen beliefert?

          wenn nicht, dann sollten sie ihre hoffentlich gute kinderstube auch hier zur anwendung bringen. danke.