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Flüchtlinge in UngarnKalter Entzug von Nahrungsmitteln

In ungarischen Transitzonen bekommen Geflüchtete kein Essen mehr, wenn sie sich gegen ihre Ablehnung wehren. Selbst Spenden werden unterbunden.

Patrouillie in der Transitzone an der ungarisch-serbischen Grenze in Tompa Foto: imago/Xinhua

Budapest taz | Pfarrer Gábor Iványi kennt die Kraft der Symbole. Das ist sein Beruf. Also packte er Fisch und Brot ein, um beides am ungarischen Nationalfeiertag an hungernde Flüchtlinge zu verteilen. Wie auf einem Video vom Montag zu sehen ist, wird er am Stacheldraht der ungarischen Transitzone zurückgewiesen, obwohl er zuvor um eine Genehmigung der zuständigen Behörde gebeten hatte.

Iványi steht mit seinen Lebensmitteln da und kann das menschlichen Leid kaum 100 Meter von ihm entfernt nicht lindern. Die Ohnmacht steht dem methodistischen Seelsorger in Gesicht geschrieben.

Was derzeit hinter den Gittern geschieht, ist an Brutalität kaum noch zu überbieten. Ungarn hat seine ohnehin restriktive Flüchtlingsgesetzgebung verschärft und den Flüchtlingsstatus de facto abgeschafft. Wer aus einem als sicher eingestuften Land einreist, wird automatisch abgewiesen. Zu den sicheren Herkunftsstaaten zählt für Ungarns Regierung unter Viktor Orbán auch Serbien, wohin seit dem 1. Juli alle Antragsteller abgeschoben werden.

Einige der Antragsteller gingen zunächst juristisch gegen die automatische Abschiebung vor ungarischen Gerichten vor. Da kam den ungarischen Behörden die Idee, volljährigen Flüchtlingen deren Antrag abgelehnt worden war, die Nahrung zu verweigern. In den Transitzonen könnten sie sich kein Essen besorgen, also würden sie noch vor einer Entscheidung über ihre Berufung freiwillig gehen.

Familie aus Afghanistan

Unter den ersten Betroffenen des perfiden Planes war eine Familie aus Afghanistan. Die Kinder mussten getrennt von den Erwachsenen ihre Mahlzeiten einnehmen, damit sie das Essen nicht mit ihren Angehörigen teilen konnten.

Es brauchte den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der in zwei Fällen mit einstweiliger Verfügung feststellte, dass die Nahrung dem abgelehnten Antragsteller nicht verweigert werden dürfe. Happy End? Weit gefehlt. Die ungarischen Behörden versorgen zwar diejenigen, die mit Hilfe des Ungarischen Helsinki Komitees (HHK) erfolgreich geklagt haben, sie ließen aber wissen, dass jeder Flüchtling dieses Recht individuell erstreiten muss.

Sieben Personen werden jetzt versorgt, zur Zeit hungert aber eine junge Afghanin. Sie habe unvorstellbares Leid erleben müssen, schreibt das HHK auf Facebook am Mittwoch, und fügt hinzu: Der ungarische Staat versage ihr nicht nur den Schutz, sondern auch zwei Brötchen. Sie habe kein Gesetz gebrochen.

Vor einem halben Jahr hatte Orbán noch gesagt, wer anständig an der Tür Ungarns klopfe, werde hereingelassen. Als diese Tür fungierten die Transitzonen, aber damit ist jetzt Schluss.

Iványi sieht man im Video der Wochenzeitung „168 Óra“ sichtlich betroffen an der Grenze stehen. Er sagt, die Ungarn feierten in diesen Tagen die Staatsgründung vor 1000 Jahren. Damals habe der erste König das Land an Europa heran geführt. Jetzt werde diese Wertegemeinschaft ignoriert – genau so, wie die christlichen Vorschriften. Ihm fehlen die Worte.

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24 Kommentare

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  • Man hat in Europa kein Geld oder keine Bereitschaft, Nahrungsmittel für Geflüchtete bereit zu stellen? Das ist ein Zeichen für beginnenden Verfall. Die Verweigerung, ein wirklich nachhaltiges Konzept jenseits der nutzlosen und teuren Abgrenzung zu entwickeln, wird sich noch rächen.

  • 7G
    74450 (Profil gelöscht)

    Ist das noch Europa, oder kann das weg?

    • @74450 (Profil gelöscht):

      Kann wech.

  • 8G
    83421 (Profil gelöscht)

    Mir ist das zu einseitig dargestellt. Ich wuerde gern die offizielle Darstellung der Ungarn zu diesen Vorwuerfen hoeren.

    • @83421 (Profil gelöscht):

      Objektive Berichterstattung darf man in diesem und vielen anderen deutschen Medien nicht mehr erwarten. Es geht nur um Stimmungsmache. Egal, in welche Richtung.

      • @Nicky Arnstein:

        In diesem Fall ist die Darstellung von welt bis zu Neuen Deutschland identisch, da sich alle auf das Helsinki-Komitee berufen, von dem die Informationen über diese Flüchtlinge kommen.



        Die offizielle Darstellung des ungarischen Amt für Immigration und Asyl steht btw im Artikel, aber sie wird nicht explizit so dargestellt. Aus der dpa-Meldung geht hervor, dass die ungarische Exekutive der Ansicht ist, dass die Menschen, da sie aus einem in Ungarn als sicheres Drittland geltendem Staat kommen (Serbien) ja die Möglichkeit hätten, da sie direkt an der Grenze stattioniert sind, dorthin wieder zu gehen und dort Asyl zu beantragen.

        • @Age Krüger:

          Und wo ist das Problem? Wieso sollte die ungarische Regierung für den Unterhalt von Leuten aufkommen, die sich widerrechtlich in einer Transitzone aufhalten. Sie wollten nach Ungarn, Ungarn hat nein gesagt, also können sie wieder zurück und nach Serbien gehen. Mal schauen was die machen werden.

      • @Nicky Arnstein:

        Hä? Die Antragsteller kriegen keine Nahrung, weil sie Rechtsmittel gegen die Ablehnung ihres Asylantrags eingelegt haben. Das ist deren Recht. Wenn sie die Transitzone wieder Richtung Serbien verlassen würden, würden diese Rechtsmittel automatisch erlöschen. Es geht hier um eine zentrale Errungenschaft der Demokratie, nämlich gegen etwas klagen zu können. Ein Staat hat das zu unterstützen, egal ob es ihm passt

  • Merkel muss ein Statement abgeben, denn Ungarn hängt am Tropf der EU und Merkel schwimmt mit Orban in der gleichen vorgeblich christlich-humanistischen Fraktion! Damit macht sich Deutschland mitschuldig.

    • @EricB:

      Das einzige von Merkel zu fordernde Statement wäre die Aufnahme der afghanischen Familie.

      Ungarn will diese Flüchtlinge nicht. d will sie aber auch nicht. Wie wird man Flüchtlinge, die man nicht haben will, auf "humane" Weise wieder los?

      - In Ungarn müssen sie hungern.



      - In Italien dürfen sie nicht an Land.



      - In d werden sie mit Gewalt in den Abschiebeflieger gezwungen.

      Alles unschön. Befriedigende Lösungen hat niemand. Wer - wie d - selbst keine Flüchtlinge aufnehmen will, sollte sich mit moralischer Empörung zurückhalten.

  • Wie in Assads Gefangenenlagern:



    die Menschen werden ausgehungert.



    Faschismus grassiert.

  • Sind die Ungarn nicht Netto-Transferempfänger der EU? Gibt es da Kausalitäten?

    • @Karavanserai:

      Natürlich.



      Ungarn ist viertgrößter Nettozahlungsempfänger in der EU.



      Allerdings ist Orbáns Partei Fidesz auch in der gleichen Fraktion wie die CDUCSU, so dass aus der BRD keine Kritik zu erwarten ist.

      Die Zahlungen an Ungarn und Polen aufgrund ihrer Politik beschneiden, wollen in der EU zur Zeit nur Kurz aus Österreich (was ich erstaunlich finde, aber es scheint nicht alles so schwarzweiß manchmal zu sein, wie es aussieht) und der NL-Ministerpräsident Rutte hat sich stark dafür eingesetzt. In den beiden Ländern sind jedoch auch mit FPÖ in Österreich und Wilders PVV und dem FvD von rechts und die SP von links in den Niederlande stärkere EU-kritische Bewegungen vorhanden.



      Insgesamt kann wohl nur dort, wo man sich die Option offenhält, die EU ggf. auch ganz hinschmeißen zu wollen, Kritik an völlig inhumanen Regimes innerhalb der EU erlauben.

      • @Age Krüger:

        In Deutschland ist es nicht anders als in der EU. Dort, wo die Nettozahlungen hinfließen, hat die AfD die meisten Stimmen. Man kann sich an den Empfängerstatus gewöhnen und verlernt das Geben.

        • @Karavanserai:

          Sie meinen Berlin und NRW?

          • @RRunkel:

            Bei der letzten Bundestagswahl lag die Anzahl von Wählern von Parteien, die eine ähnliche Flüchtlingspolitik wie Ungarn fordern, geringer als in ostdeutschen Bundesländern.

            • @Age Krüger:

              Ich wollte darauf hinweisen, dass die größten netto-Empfänger im Finanzausgleich Berlin und NRW, bzw., pro Kopf, Berlin und Bremen sind.

        • @Karavanserai:

          "Man kann sich an den Empfängerstatus gewöhnen und verlernt das Geben."

          Gute Folgerung. Dem stimme ich vollständig zu. Ich würde auch in der BRD etwas mehr regionale finanzielle Eigenständigkeiten begrüßen.

  • welches persönliche trauma hat herr orban versäumt behandeln zu lassen? was macht dieser zyniker noch in der demokratischen staatengemeinschaft?

    • @Gion :

      Deshalb kam Ungarn in die EU.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Der blanke Faschismus.

  • Das ist unmenschlich.

    Warum bringt Ungarn die Geflüchteten nicht stattdessen direkt an die Grenze zu Österreich, damit sie dort Asyl beantragen können? Dort ist die Versorgungslage trotz der rechten Regierung immer noch besser.

  • Das kann man/frau/div nicht akzeptieren.

  • Der Entzug von Nahrung ist zumindest im militärischen Bereich ein Kriegsverbrechen und ein Verstoß gegen das Völkerrecht, ich habe da im zivilen nicht das entscheidende Hintergrundwissen, kann mir aber nicht vorstellen, daß es hier anders ist.

    Das muss die EU ahnden!