Flucht in Afrika: Endstation Agadez
Die nigrische Stadt Agadez liegt auf der Transitstrecke für Migranten. Die einen wollen nach Europa, die anderen zurück in ihre Heimat.
So belebt wie früher ist es in der Altstadt allerdings nicht mehr. Touristen meiden Agadez, die „Perle der Sahara“, wie die 125.000-Einwohner-Stadt auch heißt; sie fürchten Entführungen. Trotzdem geht es der Stadt nicht schlecht. Dazu tragen die Migranten aus vielen afrikanischen Ländern ihren Teil bei, von denen sich jede Woche mehr als tausend aus der Hauptstadt Niamey über Agadez in Richtung Europa aufmachen.
In Agadez warten die Schlepper, hier starten die lebensgefährlichen Touren quer durch die Wüste bis zur libyschen oder algerischen Grenze. Viele Migranten tauchen deswegen manchmal für Monate in den Ghettos unter, wie die Migrantenunterkünfte hier genannt werden. Die Einwohner von Agadez profitieren davon. Vielleicht haben sie auch deshalb das neue Viertel Dubai genannt, klingt das doch ein bisschen – wie das große, mehrere tausend Kilometer entfernte Dubai – nach Wohlstand, ein bisschen Glitzer und Zukunft.
Nagelneues Zentrum
Für fünf junge Männer ist ausgerechnet Dubai zum Aus ihrer Träume geworden. Im neu eröffneten Transitzentrum der Internationalen Organisation für Migration (IOM), am äußersten Rand von Dubai, haben sie immerhin ein Zuhause auf Zeit gefunden. Noch ist alles neu, ordentlich, sauber. Auf der linken Seite des Hofes befinden sich die Schlafsäle der Männer, rechts die der Frauen – die Einrichtung bietet Platz für 400 Personen. Es gibt Sanitäranlagen und überdachte Flächen, damit niemand in der prallen Sonne sitzen muss.
Aufgenommen wird hier jeder, der freiwillig in seine Heimat zurückkehren möchte. „Sie hätten am vergangenen Wochenende kommen müssen. Da war es hier voll“, sagt Maliki Hamidine, der das Zentrum leitet. Konkrete Zahlen nennt er nicht. So ist das immer, wenn es um Migration geht. Alles beruht auf Schätzungen. Beobachter gehen davon aus, dass pro Woche 1.000 bis 2.000 Menschen nach Agadez kommen, vor allem aus dem Senegal, Gambia, Nigeria und Kamerun, um von hier aus weiter in Richtung Nordafrika und Europa zu fahren. Doch wie viele wieder die Rückreise antreten, ist völlig unklar.
Einer von ihnen ist Ibrahim. Er sitzt auf einer Matratze, die auf einer der gefliesten Flächen liegt. Zwischen die Pfosten hat er ein Moskitonetz gespannt. Das Dach schützt vor der heißen Mittagssonne. Neben der Matratze liegt alles, was Ibrahim geblieben ist: ein kleiner Rucksack, ein T-Shirt zum Wechseln, eine zweite Jogginghose, eine Flasche Wasser und ein altes Nokia-Handy, mit dem man nur anrufen und allenfalls noch SMS verschicken kann. Die Zigarettenschachtel ist leer.
Ibrahim schaut in die Ferne, vorbei an den drei Senegalesen im Raum, die nebeneinander hocken und sich auf Wolof unterhalten, und auch vorbei an seinem nigerianischen Nachbarn, dessen Arme unter schmutzig-grauen Verbänden verschwinden. Nach einem Streit hatte man ihn von einem Pick-up geworfen, der ihn an die libysche Grenze hätte bringen sollen. Zum Glück fand ihn jemand und informierte das Rote Kreuz.
Schläge statt Geld
So schlimm ist es Ibrahim nicht ergangen. Mit seinen 17 Jahren ist der Kameruner der jüngste der fünf hier gestrandeten Männer. Als er von seinem Dorf nahe der Hafenstadt Douala in Richtung Norden aufbrach, erhoffte er sich Arbeit, eine Zukunft. Auf die Frage, was für Arbeit er sich vorgestellt hatte und in welchem Land er leben wollte, zuckt er mit den Schultern und schaut weg. „Geld verdienen eben, etwas aus meinem Leben machen, eine Ausbildung bekommen“, sagt er einsilbig in einem Französisch, das möglichst akkurat klingen soll. Es gibt in seiner Heimat Kamerun durchaus Jobs. „Aber die sind so schlecht bezahlt“, sagt er. Viele Kameruner träumen von einer Ausbildung, am liebsten in Deutschland.
Bis nach Algerien hat es Ibrahim geschafft, dort ist er zwei Monate geblieben. Wie viele andere Migranten hatte er zuvor von der gefährlichen Fahrt durch die Wüste gehört, von den Leichen, die mitunter am Wegesrand liegen, von den horrenden Preisen und den Schleusern, die gut an den Migranten verdienen. „Und natürlich wussten wir, dass die Fahrt über das Meer sehr schwierig ist“, sagt er leise. Migration ist in West- und Zentralafrika zwar längst nicht ein so beherrschendes Thema wie in Europa. Doch die Nachrichten von gekenterten Booten und Ertrunkenen kommen in der Heimat an.
Aber niemand hatte Ibrahim vor Nordafrika gewarnt. „Algerien, das war hart“, sagt er. Ein Mann versprach ihm einen Job. Er sollte gegen gutes Geld in einem Lager schwere Kisten schleppen. Ibrahim ist ein schmächtiger junger Kerl und sieht aus, als drücke er besser noch die Schulbank, statt körperlich zu arbeiten. „Ich habe mich entschieden, in meine Heimat zurückzugehen“, sagt er nur. Fragt man ihn, was genau vorgefallen ist, antwortet er nicht. Nach längerem Schweigen fügt er hinzu: „Sie haben mich nicht gut behandelt.“ Narben, die durch Schläge und aufgeplatzte Haut entstanden sein könnten, sind zumindest nicht auf seinen Unterarmen zu sehen.
Dafür krempelt einer der drei Senegalesen sein Hemd hoch. Er hat die Unterhaltung mit angehört. „Dort haben sie zugeschlagen“, sagt er und weist auf mehrere Stellen an seiner Brust. „Willst du auch meinen Rücken sehen?“ Thematisiert wird der Rassismus gegenüber dunkelhäutigen Migranten, der in nordafrikanischen Ländern anzutreffen ist, selten. Die meisten schweigen und beißen lieber die Zähne zusammen.
Manche wollen nur noch nach Hause
„Vernarbte Haut sehen wir hier öfter“, bestätigt Maliki Hamidine, Leiter des Transitzentrums. „Manche haben auch schlecht verheilte Knochenbrüche.“ Das Rote Kreuz in Agadez bietet Migranten eine kostenfreie Erstversorgung an. Keine Unterstützung gibt es für die seelischen Wunden. Manchmal ist die Not so groß, dass die Männer direkt zur Polizei gehen, wenn sie aus Libyen oder Algerien zurückkommen. „Sie wollen nur noch nach Hause“, sagt Hamidine.
Genau für diese Zielgruppe sei das Zentrum in Dubai errichtet worden. Hilfsorganisationen schickten die Neuankömmlinge direkt dorthin. Mitunter klappert Hamidine mit seinen Mitarbeitern auch die Haltestellen der verschiedenen Busunternehmen in der Innenstadt ab. Neben Unterkunft und Verpflegung organisiert das IOM Bustickets in die Hauptstadt Niamey und kümmert sich um Kontakte zu den Botschaften.
Dass Ibrahim nur zwei Monate in Algerien geblieben ist, stellt eine Ausnahme dar. Viele bleiben ein bis zwei Jahre in einem der Transitländer, schlagen sich durch und hoffen, in dieser Zeit das Geld für die Überfahrt zusammenzubekommen. „Manchmal entschließen sich aber auch Leute zur Rückkehr, nachdem sie zehn Jahre in Libyen und Algerien gearbeitet haben“, sagt Hamidine. Beide Länder boten einst gute Chancen, um mehr Geld als in der Heimat zu verdienen. Und längst nicht alle hatten vor, nach Europa weiterzureisen. Doch seit Libyen nach dem Ende Gaddafis im Chaos versinkt, gibt es dort keine geregelten Verdienstmöglichkeiten mehr.
Familie hat zugestimmt
Ibrahim hat sich auf seine Matratze gelegt und starrt das Dach an. Irgendwann in den kommenden Tagen wird er die Heimreise antreten und über Nigeria zurück nach Kamerun fahren. Seine Familie erwartet ihn bereits. Vor ein paar Tagen hat er sie angerufen. „Sie sind einverstanden, dass ich zurückkomme.“
Er hört sich nicht so an wie jemand, der sich freut, seine Eltern bald wiederzusehen. Schließlich hat er große Teile ihrer Ersparnisse ausgegeben. Er überschlägt halblaut die Kosten der mehrmonatigen Reise: etwa 800.000 CFA. „Neben meinen Eltern haben auch andere aus der Familie etwas dazugegeben.“ Die umgerechnet etwa 1.200 Euro sind in Kamerun mehr als das jährliche Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, weshalb auf den Migranten enormer Druck lastet. Wer abgeschoben wird oder selbst zurückkehrt, gilt als Versager, der das ganze Geld der Familie in den Sand gesetzt hat.
Zum Abschied ringt sich Ibrahim ein schmales Lächeln ab. Dubai soll nicht die Endstation für ihn bedeuten. „Ich habe mir überlegt, in Kamerun eine Ausbildung zu machen“, sagt er, „KFZ-Mechaniker. Dann könnte ich auch zu Hause wirklich Geld verdienen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!