Flucht aus Haasenburg-Kinderheim: Jugendliche klettern aus Klofenster
Drei Jungen sind geflohen. Ein Anwalt kämpft für ihre Freiheit. Was das Trio im Heim der Haasenburg GmbH mitmachen musste, sei „schockierend“.
HAMBURG taz | Aus einem Kinderheim der Haasenburg GmbH sind in der Nacht zum 3. Juli drei Jugendliche geflüchtet. Sie trafen nach taz-Informationen nach stundenlanger Flucht am folgenden Nachmittag in Hamburg ein. „Es ist absolut schockierend, was die Jungen berichten“, sagte Rudolf von Bracken vom Büro für Kinderrechte und Opferschutz.
Der Anwalt übernahm die Vertretung der drei Jungen. Er reichte bei den zuständigen Familiengerichten in Saarbrücken, Lübben und Hamburg-Bergedorf Eilanträge ein, um die dort erteilten Genehmigungen der geschlossenen Unterbringung „bis zur Klärung der Vorwürfe auszusetzen“.
Bis dahin gelten Tobias*, Nico* und André* als flüchtig. Sie seien aus einem Klofenster im Haus Neuendorf geklettert und dann zunächst zu Fuß und später per Pkw nach Hamburg gelangt, berichteten sie. „Auf keinen Fall gehe ich in die Haasenburg zurück“, erklärte der 15-jährige Nico. „Lieber würde ich in der Wildnis nachts erfrieren.“ – „Ich will in der Freiheit leben. Ich will mich nicht behandeln lassen wie ein Tier“, sagte auch Tobias.
Am 4. Juli haben Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft alle drei Kinderheime der Haasenburg GmbH wegen des Verdachts auf Misshandlung von Schutzbefohlenen durchsucht.
Zukunft der Jugendlichen unklar
Die drei nach Hamburg geflüchteten Jugendlichen erhoben in Gegenwart der Anwälte auch konkrete Vorwürfe gegen ihre Betreuer. Von Bracken: „Wenn so etwas detailliert von einem Jugendlichen berichtet wird, muss er sofort aus der Einrichtung herausgenommen und geklärt werden, was dran ist.“ Die Berichte erschienen authentisch: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es den Jungen besonderen Spaß macht, das zu erzählen“, so von Bracken. Der 16-jährige André* stammt aus Hamburg und will auf keinen Fall wieder dieser Einrichtung ausgeliefert werden, wie er sagte.
Für ihn ist in Hamburg formal das „Familieninterventionsteam“ zuständig, das direkt Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) untersteht. Der hatte angekündigt, man werde bis zur Klärung der Vorwürfe keine neuen Kinder in das Heim schicken. Der Landessprecher der Linken, Bela Rogalla, fordert, die Stadt müsse die verbliebenen Hamburger Kinder sofort aus der Einrichtung holen, vor Andrés Flucht waren es 11.
Auf die Frage, ob der 16-Jährige nach Brandenburg zurückmuss, antwortete die Sprecherin des Sozialsenators, Nicole Serocka, die Entscheidung beziehe sich nur auf Neuaufnahmen. Serocka: „Sobald der Junge aufgegriffen wird, wird das Familieninterventionsteam genau prüfen, wie die weitere Perspektive des Jungen aussehen wird.“ Laut Jugendministerium hat die Haasenburg GmbH den Behörden den Fall gemeldet.
*Namen geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker