Florentina Holzinger in Berlin: Nackt und brachial

Florentina Holzinger nutzt den Parkplatz am Berliner Olympiastadion für ihre neue Schrott-Performance. Vereinnahmen lassen will sie sich nicht.

Florentina Holzinger drischt auf BMW ein, der auf zwei Rädern fährt

Stuntperformance: Florentina Holzinger am Mittwochabend in Berlin Foto: Mayra Wallraff

Am Ende schauen sich die Menschen im Publikum fragend an. Es ist Mittwochabend. Ort: Der Parkplatz 05 zwischen Olympiastadion und S-Bahnhof Olympiastadion in Berlin. Gerade wurden just die Flammen an sechs Performerinnen von Helfern mit Feuerlöschern erstickt. Und jetzt scheint niemand so richtig zu wissen, wie es weitergehen soll.

Die Performerinnen ziehen sich langsam zurück. Einige Besucher beginnen zaghaft zu klatschen. War’s das jetzt schon? Nach zwanzig Minuten? Ist das der neueste Coup der österreichischen Choreografin Florentina Holzinger?

„Schrott-Etüde (Scrap-Etude): An Etude for Extinction“ ist die vierte sogenannte „Etüde“ Holzingers: Musikalische Experimente im öffentlichen Raum, die Holzinger mit ihrem Ensemble seit 2020 in und um Berlin aufführt. Diesmal also ein Parkplatz neben dem Olympiastadion.

Und erst mal ist alles drin und dran, was einen typischen Holzinger-Abend ausmacht: Nackte Performerinnen, atemberaubende Stunts, laut treibende Rhythmen und brachiale Maschinen (in diesem Fall Autos und ein Kran). Viel Effekt also. Wie immer. Diesmal allerdings mit wenig Wirkung. Denn dem Abend fehlt es an Choreografie und Ausdauer. Aber vielleicht ist ja genau das die Absicht.

Holzinger ist angesagt

Florentina Holzinger ist derzeit eine der angesagtesten Künstlerinnen im deutschsprachigen Raum. Die 37-Jährige bespielt große Theaterinstitutionen mit abendfüllenden Inszenierungen und inszeniert ephemere Performances im öffentlichen Raum. Ihre Arbeiten vereinen radikale Spektakel und hohe Kunst, nervtreibende Unterhaltung und künstlerische Grenzüberschreitung.

Die Kunstwelt liebt sie dafür. Ihr Volksbühnen-Hit „Ophelia’s Got Talent“ war zum Theatertreffen 2023 eingeladen und wurde gerade in den jährlichen Kritikerumfragen der Zeitschriften Theater heute und tanz zur Inszenierung des Jahres gewählt.

Der Berliner Kunstverein Schinkel-Pavillon hat Holzinger bereits in seiner legendären Performance-Reihe „Disappearing Berlin“ präsentiert und fungiert nun auch für ihrer neueste „Schrott-Etüde“ als Co-Produzent. Obwohl so gut wie nicht beworben, war das Event in Windeseile ausverkauft.

Auch dieser Mittwochabend beginnt erst mal verheißungsvoll. Wie immer scheint sich ganz Hipster-Berlin auf dem Parkplatz neben dem Olympiastadion eingefunden zu haben. An einem ausgefahrenen Autokran hängt ein metallic-grünes Schrott-Auto gute zwanzig Meter über der Erde. Direkt darunter steht ein weiteres schwarzes Schrott-Auto. Schwelende Beats aus zwei Lautsprechern steigern die Spannung.

Scheppernder Teppich

Zwei nackte Performerinnen bewegen sich vom anderen Ende des Parkplatzes auf das Publikum zu. Hinter sich her ziehen sie einen laut scheppernden Schrott-Teppich. Dann treten zwei Drummerinnen und die Holzinger Stamm-Dirigentin Sibylle Fischer auf. Alle drei natürlich nackt.

Mit einem fast schon militärisch klingenden Rhythmus beginnen sie die Performerinnen anzutreiben. Stoisch ziehen diese ihre Schrottlast hin und her. Sind es Sklavinnen der Zivilisation? Weibliche Exemplare von Sisyphos, zur ewigen Schrottarbeit verdammt?

Doch auf solche Gedanken scheint Florentina Holzinger an diesem Abend keine Lust zu haben. Gerade als die Szene beginnt, eine assoziativer Poesie zu entfalten – geht es nur noch Schlag auf Schlag. Eine spektakuläre Stuntnummer jagt die nächste.

Ein mintgrüner BMW umkreist auf zwei Rädern mehrmals Autokran und Schlagzeuge. Florentina Holzinger ragt nackt aus dem Fenster der Beifahrertür und spielt mit einem Geigenbogen auf dem Seitenspiegel.

Hängt ein Auto am Kran

Das am Krahn hängende Auto rast auf Knopfdruck zu Boden, kracht in das andere Auto und löst ein Flammeninferno aus. Von hinten treten die jeweils sechs Performerinnen und technischen Helfer in schwarzen Schutzanzügen auf. Die Performerinnen werden angezündet und bewegen sich brennend in Richtung auf das Publikum zu. Dann werden sie gelöscht. Und schließlich: das Ende.

Zwanzig Minuten – und schon ist alles wieder vorbei. Fast wirkt es, als wolle Holzinger der Kunstwelt einen Strich durch die Rechnung machen: „Denkt bloß nicht, dass ihr mich alle einfach so vereinnahmen könnt! Wenn ich Lust, habe, rotze ich euch auch schnell mal ’ne geile Stuntshow hin. Fertig, aus, eure Florentina Holzinger.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.