Flora-Jubiläum: "Das ist nicht so abgeschottet"
Seit 20 Jahren ist das ehemalige Theater besetzt und fungiert als "Autonomes Zentrum". Aber funktioniert die Anbindung an das Schanzenviertel heutzutage noch?
taz: Auf eurer Homepage wird man von der Botschaft begrüßt: "Regierung stürzen". Meint ihr das ernst?
Andrea*: Na ja, das kann ja nur der Anfang sein, die aktuelle Regierung zu stürzen. Letztendlich geht es vielen, die in der Roten Flora aktiv sind, um mehr.
Um was?
Andrea, 32
Ist seit zehn Jahren Flora-Aktivistin. Sie arbeitet als Sozialarbeiterin.
1987 Umstrukturierung: In dem alten 1857 erbauten "Concerthaus Flora" plant Musical-Papst Fritz Kurz das "Phantom der Oper".
1988 Baustopp: Nach Protestaktionen wird der Umbau zum Musicaltheater gestoppt.
1988 Besetzung: Nach einer ersten Besetzung wird die Flora-Ruine winterfest gemacht.
1989 Nutzung: Mit der Stadt wird für einige Räume ein befristeter Nutzungsvertrag als Kulturzentrum geschlossen.
1989 Erneute Besetzung: Nach Auslaufen des Überlassungsvertrages sollen die Räume am 31. Oktober an die Stadt zurückgegeben werden. Stattdessen kommt es vor genau 20 Jahren zur erneuten Besetzung, die bis heute andauert.
2001 Verkauf: Da CDU-Bürgermeisterkandidat Ole von Beust eine Räumung zum Wahlkampfthema machen möchte, verkauft der rot-grüne Senat die besetzte Rote Flora für 370.000 Mark an Event-Investor Klausmartin Kretschmer.
Das sind ganz unterschiedliche Utopien. Das macht es ja so spannend, in der Flora zu arbeiten, aber an manchen Punkten auch so schwierig.
Na ja, als autonomes Zentrum gehört ihr wohl mehrheitlich der autonomen Szene an.
Ja, aber im Juni gabs zum Beispiel ein Treffen von Anarchisten in der Roten Flora, während des G 8-Gipfels wars der Treffpunkt der Gipfelgegner. Das ist alles in dem Spektrum, aber es sind schon unterschiedliche Positionen.
Es ist ein radikal linkes Milieu.
Ja, das ist klar. Wobei wir sehr offen sind, was unser Wochenprogramm angeht, das ist nicht so abgeschottet, wie viele vielleicht meinen. Da kann man schon Kontakt knüpfen.
Der jetzige Eigentümer der Roten Flora, der Immobilienunternehmer Klausmartin Kretschmer, hat euch als "linkselitär" bezeichnet. Ihr hättet den Bezug zum Stadtteil verloren und würdet wie ein Raumschiff wirken.
Das meinen sicher einige, denen wir ein Dorn im Auge sind. Wenn Herr Kretschmer seine Visionen nicht in der Roten Flora verwirklicht sieht, ist das nicht unser Problem. Vor ein paar Wochen hatten wir eine Veranstaltung mit AnwohnerInnen, da hatte ich einen ganz anderen Eindruck.
Die Anwohner haben kritisiert, dass ihr euch nicht genügend politisch positioniert. Ist es nicht wirklich so, dass ihr aus der Öffentlichkeit abgetaucht seid?
Das ist so nicht korrekt. Wir äußern uns durchaus mit Presseerklärungen und Statements. Wie weit das aufgenommen wird, liegt ja nicht mehr in unserer Hand.
Aber es gibt doch Probleme mit der Militanz, oder? Das wollen doch viele in der Schanze gar nicht mehr.
Militanz kann Ausdruck politischen Protests sein. Die aggressive Stimmung im Schanzenviertel hat aber mehrere Gründe. Die Flora gibt es seit 20 Jahren, aber nicht diese Auseinandersetzung im Viertel. Das Schanzenviertel hat zum Beispiel ein Problem mit Gangs.
Was für Gangs?
Mit Jugendgangs. Das Schanzenviertel ist mittlerweile die zweite Reeperbahn, und da entsteht eine Stimmung, die ganz schwierig ist. Mittlerweile gibt es ja kaum noch was, wo die Jugendlichen sich aufhalten können. Daran hat nicht die Flora schuld.
Die Flora sagt aber, auf die Ungerechtigkeit darf man mit Gewalt antworten. Dadurch radikalisiert sie die Konflikte.
Gewaltvoll sind die Verhältnisse. Ganz viel findet statt ohne Zustimmung der Leute, die betroffen sind.
Dennoch wirkt die Flora abschreckend auf Leute, die nicht zur autonomen Szene gehören. Die gehen dann eher ins Kulturhaus 73 nebenan. Eure großen Säle sind doch meistens leer.
Das ist Legendenbildung, wir können uns nicht über mangelnden Zuspruch beklagen. Aber der Punkt ist doch: Ein Zentrum, das nur auf Kommerz ausgerichtet ist, muss jeden Abend voll sein. In der Flora machen alle Leute alles für umsonst, da gehts um die Sache, nicht um die Kohle. Und wenn es Leuten egal ist, wo was stattfindet und mit welchem Hintergrund, ist das eben so. Die taz lässt ihren Salon ja auch im Kulturhaus stattfinden.
Klar, wir sind Gentrifizierer.
Das sind wir ja auch, aber darum gehts nicht. Wie sagt doch Rocko Schamoni in dem Film Empire St. Pauli: Es geht zumindest darum, sich problematisch dazu zu verhalten.
*Name auf Wunsch geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt