piwik no script img

Fliegende Aktendeckel in Brüssel

Wettbewerbskommissar van Miert und Wirtschaftsminister Rexrodt streiten um Subventionen. Van Miert will mehr Hilfen für Westberlin nur zulassen, wenn andernorts gekürzt wird  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Irgendwann hatte EU-Kommissar Karel van Miert die deutschen Sonderwünsche dick. Mit großem Schwung, berichten Verhandlungsteilnehmer, warf er dem deutschen Wirtschaftsminister Günter Rexrodt die Aktenordner vor die Füße, einen nach dem anderen. Ziemlich verdattert soll Rexrodt die Ordner wieder aufgehoben und fein säuberlich zurückgelegt haben.

Die Bundesregierung, zu Hause auf rigidem Sparkurs, kämpft in Brüssel wieder einmal um das Recht, mehr Geld in die Wirtschaft pumpen zu dürfen. Doch die Chancen stehen schlecht. Wenn Bonn nicht bis Mittwoch nächster Woche einlenkt, will EU-Wettbewerbskommissar van Miert ein weiteres Verfahren gegen die Bundesregierung wegen Verletzung der EU-Wettbewerbsregeln einleiten.

Der Streit dreht sich um die Frage, wieviel wirtschaftlich benachteiligte Gebiete es in Deutschland gibt. Nach dem europäischen Beihilfekodex dürfen in solchen Gebieten mehr Subventionen bezahlt werden als anderswo. Die Subventionen sollen regionale Nachteile ausgleichen und Unternehmen anlocken, die sonst in wirtschaftlich einladenderen Gegenden investieren würden.

Vor kurzem hat die Bonner Regierung die EU-Kommission in Brüssel wissen lassen, daß sie die Fördergebiete ausweiten will. Laut EU-Vertrag hat die EU-Kommission dafür zu sorgen, daß Subventionen nur ausnahmsweise und in begründeten Fällen bezahlt wird. Dabei geht es diesmal nicht um Ostdeutschland, auch die EU- Kommission räumt ein, daß die Unternehmen in den neuen Ländern vorerst auf Subventionen angewiesen sind. Doch Bonn will ab 1997 auch im Westen mehr Beihilfen bezahlen. Als Begründung führt sie die hohe Arbeitslosigkeit in Westberlin an.

Dagegen hat die Kommission im Grunde nichts einzuwenden. Schon bisher fallen zwei Drittel von Berlin unter die Sonderregelung, künftig soll ganz Berlin Subventionsgebiet sein. Doch im Gegenzug fordert Brüssel, daß anderswo gestrichen werden muß. Es sei schwer zu verstehen, wettert EU-Wettbewerbskommissar van Miert, warum beispielsweise Wolfsburg Anspruch auf regionalen Ausgleich haben solle. Das Pro-Kopf-Einkommen in Wolfsburg betrage genau 227 Prozent des EU-Durchschnitts. Deutschland müsse sich entscheiden, welche Gebiete gegenüber anderen wirtschaftlich benachteiligt seien. „Was ist der Sinn von Ausgleichszahlungen“, fragt van Miert, „wenn sie überall gezahlt werden?“

Nach Ansicht der EU-Kommission muß die Bundesregierung die Subventionen zurückschrauben und nicht ausweiten. Schon heute werden im vergleichsweise wirtschaftsstarken Deutschland mehr Beihilfen gezahlt als irgendwo sonst in der EU. Für andere EU- Länder, deren Regierungen nicht soviel Geld haben, bedeutet das einen Wettbewerbsnachteil. Ein Drittel aller Industriesubventionen, die in der EU gewährt werden, fließen an deutsche Unternehmen.

20,8 Prozent der westdeutschen Bevölkerung leben in Gebieten, in denen Unternehmen gefördert werden dürfen. Nach den Plänen der Bundesregierung sind es künftig sogar 22 Prozent. „Wenn es nach den Wirtschaftsdaten ginge“, rechnet van Miert vor, „wären es höchstens 15 Prozent.“ Doch weil ein solcher Einschnitt politisch kaum durchsetzbar sei, verlange die EU-Kommission lediglich, die Fördergebiete langsam zu reduzieren. Schließlich sei die Bundesregierung stets die erste, die einen generellen Abbau aller Subventionen in der EU fordere.

Doch so etwas verlangt die Bundesregierung nur sonntags. Am letzten Montag war Wirtschaftsminister Rexrodt erneut in Brüssel, um van Miert zu einer Ausnahme von der Regel zu überreden. Ob wieder Akten gesegelt sind, ist nicht überliefert. Van Miert jedenfalls soll ziemlich hart geblieben sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen