: Flexible Frauen
Das Arsenal 3 zeigt eine Werkschau der feministischen Filmemacherin Tatjana Turanskyj
Von Silvia Hallensleben
Wie viele andere Kinos arbeiten auch die Programmplanerinnen des Berliner Arsenal – mit kurzer Unterbrechung letzten Sommer – seit über einem Jahr ins Ungewisse. Doch wer denkt, die Verantwortlichen würden gemütlich zu Hause Däumchen drehen, hat sich grob getäuscht. Im Gegenteil: Die unsichere permanent neu zu begutachtende und auszutarierende Lage und die aufwendigen Anträge für die Ausfallhilfen bescheren sogar deutlich Mehrarbeit – und diese leider nicht mit programmatisch inhaltlicher, sondern organisationstechnischer Ausrichtung.
Da tut es gut, dass mit dem ausgeweiteten Spielbetrieb der virtuellen Leinwand arsenal 3 (die schon vor Corona im Herbst 2019 als Streamingangebot für Arsenal-Mitglieder gestartet wurde) doch noch ein kuratorisches Spielbein zur Verfügung steht. In den „monatlichen Einladungen zu neuen Exkursionen und Exkursen“ (so die Selbstbeschreibung) wurden seit März 2020 eine Vielzahl spannender historischer und aktueller Themen-Programme, ein gemeinsam mit dem Goethe-Institut ausgerichtetes Festival und Regie-Porträts etwa zu Philip Scheffner, dem Harvard Sensory Ethnography Lab oder der Experimentalfilmerin Birgit Hein vorgestellt.
Jetzt kommt mit Tatjana Turanskyj eine Filmemacherin zu Gast in das Programm, die es an Radikalität mit Hein gut aufnehmen kann, auch wenn ihre Arbeiten komplett anders aussehen. Bekannt wurde die im Kontext von ProQuote Regie auch filmpolitisch aktive Künstlerin 2010 mit ihrem Spielfilm „Eine flexible Frau“, der (nicht nur im Titel frei nach Richard Sennett) vom Überlebenskampf einer alleinerziehenden akademisch ausgebildeten Großstädterin in der sich prekarisierenden Arbeitswelt der Post-Agenda-Jahre erzählt.
Greta (Mira Partecke) ist eigentlich – passend für das Berlin der Nullerjahre – Architektin, muss sich aber in Callcenter-Jobs und auch mit „Hilfen“ vom Arbeitsamt durchschlagen. In an Satire grenzenden hyperrealistischen Szenen zeigt Turanskyjs Film das absurde Theater einer beruflich frei gesetzten Existenz zwischen Bewerbungs-Training und zunehmend alkoholgetränkten Freizeiteskapaden, aber auch die existentiellen Nöte einer nicht mehr ganz jungen Frau.
„Top Girl“ verschiebt dann vier Jahre später die Welt erniedrigender beruflicher Dienstleistungen und privater Schlamassel in den sexuellen Bereich, wo Heldin Helena (Julia Hummer) als Prostituierte in einem Escortservice gewöhnliche und abartige Männerwünsche erfüllt und sich an einer dominanten Mutterfigur abarbeitet.
„Top Girl oder La Déformation Professionelle“ ist der zweite Teil eines von Turanskyj selbst als „Frauen und Arbeit Trilogie“ bezeichneten bisher unvollendeten filmischen Komplexes, der sich wie „Eine flexible Frau“ neben der deutlichen feministischen Perspektive durch eine mit kleinen Choreografien gebrochene Inszenierung auszeichnet, die die Herkunft der Filmemacherin als Performancekünstlerin erkennen lässt.
Aufschlussreich aus dem Licht der späteren Arbeiten ist auch das im Arsenal zu sehende Frühwerk der studierten Soziologin und Theater-/Literaturwissenschaftlerin. So etwa der von der Bundeszentrale für politische Bildung beauftragte agitatorisch-dokumentarische Dreiteiler „boys and girls in history“, der in durch Texttafeln gebrochenen klassischen Interviewschnipseln inhaltlich sehr klar und einleuchtend die Bereiche Geschichte der Frauenbewegung, Gleichberechtigung im Beruf und Situation der Frauen in der DDR abdeckt. „Remake“ gewann mit einer aktuellen Neuinterpretation von John Cassavetes Klassiker „Faces“ 2005 den deutschen Wettbewerb der Kurzfilmtage Oberhausen.
2014 machte Turanskyj gemeinsam mit der Fernsehjournalistin Marita Dreher ihren bisher letzten Film, der – kurz nach der Eurokrise und kurz vor „Wir schaffen das“ – den Blick auf Griechenland richtet. Oder besser, auf zwei deutsche Frauen im winterlichen nordgriechischen Grenzgebiet, die dort ähnlich verpeilt aber mit unterschiedlichen Intentionen und Mitteln unterwegs sind.
Die eine (Nina Kronjäger) ist mit dem Auto unterwegs und dilettiert in etwas, das sie Journalismus nennt, sich aber in den ausgestellten Gesten des Recherchierens, Nachfragens und Zuhörens erschöpft. Die andere (Anna Schmidt), von ihr als Anhalterin aufgelesen, gibt sich ähnlich demonstrativ als Aktivistin für offenen Grenzen, die mit dem Handy Belegfotos für einen nie erwähnten Zweck knipst. Annäherung ist unausweichlich. So ist „Orientierungslosigkeit ist kein Verbrechen“ (so der schöne Titel) zugleich verschmitzte Parodie eines Buddy-Roadmovies und ein Meta-Film über das Verhältnis der Deutschen zu den Tragödien dieser Welt.
Werkschau Tatjana Turanskyj, bis 8. Juni auf www.arsenal-3-berlin.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen