Fleetwood Mac auf Reunion-Tour: Poröse Melodien, komplexe Gefühle
Fleetwood Mac steht für hochwertige, formvollendete Gebrauchsmusik mit zeitlosen Songs. Im Oktober spielen sie mehrere Konzerte in Deutschland.
Böswillige Menschen könnten sagen, das war ja unvermeidlich. Dass auch Fleetwood Mac irgendwann „cool“ sein würden. In den vergangenen Jahren hatte die Retromanie schon das Revival von Postpunk, Acid-Folk und selbst Hair-Metal zu verantworten. Im archivarischen Geschichtsverständnis der nuller Jahre war keine musikalische Nische zu entlegen, um nicht von einer cleveren Bescheidwisser-Band aus der Obskurität ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt zu werden.
Mit Fleetwood Mac musste sich diese Mühe niemand machen. In den Asservatenkammern der Mainstreamradio-Playlisten stehen ihre Songs gleichberechtigt neben Evergreens wie „Hotel California“ von den Eagles. Wer in den achtziger Jahren einen Teil seiner Jugend vor dem Radio verbracht hat, kennt „Rumours“ auswendig.
Retromanie beruht auf kulturellen Codes und stillschweigenden Übereinkünften: getrieben von der Sehnsucht, in den Verwerfungen der Popgeschichte noch einen unberührten Moment zu entdecken. Auf Fleetwood Mac trifft nichts von alldem zu. Mick Fleetwood, Lindsey Buckingham, Stevie Nicks und die Geschwister McVie galten nie als Stilikonen. Man benötigt kein Geheimwissen und die Vertrautheit ihrer Songs war einer nachträglichen Mythifizierung ebenfalls abträglich.
Der Name Fleetwood Mac steht für hochwertige, formvollendete Gebrauchsmusik, möglich gemacht durch die 48-Kanal-Studio-Exzesse. Die Musik ist so vollkommen in ihrer technischen Ausführung, dass die Songs eine Aura der Unantastbarkeit umgab. „Rumours“ ist aber auch das letzte große Classic-Rock-Album, das hinter seiner geradezu zwanghaft polierten Oberfläche seelische Abgründe erkennen lässt. Denn „Rumours“ handelte hauptsächlich vom Ende der Liebe.
Ein Fleetwood-Mac-Tribute-Album mit angesagten Künstlern
Wenn Fleetwood Mac diese Woche ihre epische Wiedervereinigungstour (die dritte seit der Jahrtausendwende) durch deutsche Mehrzweckarenen absolvieren, treffen sie jedoch auf eine neue Ausgangssituation. Einer großen amerikanischen Kaffeehauskette ist es gelungen, für das Fleetwood-Mac-Tribute-Album „Just tell me how you want me“ einige angesagte Künstler, darunter etwa MGMT, Washed Out und Antony, aber auch graue Eminenzen wie J.Mascis, Bonnie „Prince“ Billy und Marianne Faithful zu gewinnen.
Bereits im letzten Jahr veröffentlichte Warner ein historiografisch erschöpfendes „Rumours“-Boxset. Die diesjährige Fleetwood-Mac-Roadshow findet also unter anderen Vorzeichen statt als die Tourneen 2003 und 2009.
Es dürfte interessant zu sehen sein, wie die Band auf den unerwarteten Zuspruch einer neuen Generation von Musikern und Musikerinnen reagiert, die eigentlich mit Punk sozialisiert sein sollten. Im „Rumours“-Jahr 1977 kamen immerhin die Debütalben von den Sex Pistols, The Clash, Television, Wire, Elvis Costello und die Talking Heads auf den Markt.
Bestimmen über das musikalische Vermächtnis
Eine frisch veröffentlichte Fleetwood-Mac-4-Song-EP „Extended Play“ sendete im Vorfeld diesbezüglich gemischte Signale aus. Auf den schmissigen Auftaktsong „Sad Angel“, ein leicht überkonfektioniertes Stück Power Pop, folgen drei durchwachsene Stücke, die etwas bemüht an den klassischen Folkrock-Sound der Siebziger anzuknüpfen versuchen. Was den Stücken dabei verloren geht, ist Buckinghams Gespür für die poröse Melodik und irrlichternden Soundsignaturen. Genau das, wofür „Tusk“, rückblickend noch das beste Fleetwood-Mac-Album, heute wieder von jüngeren Hörern geschätzt wird.
Das Timing könnte also nicht perfekter sein. Fleetwood Mac haben es selbst in der Hand, ihr musikalisches Vermächtnis mitzubestimmen. Interpretationen von großenteils deutlich jüngeren Bands sind dabei hilfreich. Sie haben dem oftmals zu Unrecht als glatten Radiorock geschmähten Sound der Macs eine sagenhafte Bandbreite von Genres und hochkomplizierten Gefühlslagen abgewonnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker