Utopie-Theater: In König Herberts Reich

In drei Produktionen widmet sich das LOT-Theater den "Alltagsutopien für das Braunschweiger Land". Eine davon ist die Geschichte vom frühverrenteten König Herbert.

Scheitert schlussendlich an VW: König Herbert in "Der König bittet zum Tanz". Bild: Andreas Hartmann

Brome ist ein kleiner Flecken im Braunschweiger Land und zählt rund 2.700 Einwohner. Hier lebt Herbert Tietze, von VW frühverrentet, nach dem Tod seiner Frau ist das Leben vollends unausgefüllt. Am stillen Örtchen vermeint Tietze nun eines Tages den Auftrag zu erhalten, sich als König von Braunschweig der Sache doch einmal anzunehmen. Culotten und Barockperücke trägt er praktischerweise ohnehin schon, so wie die drei weiteren Protagonisten des Theaterstückes „Der König bittet zum Tanz“. Die bildreiche Geschichte um Herbert Tietze, nun König Herbert, ist eine von drei Produktionen, die im Rahmen der Reihe „Auf Probe – Alltagsutopien für das Braunschweiger Land“ im LOT-Theater Braunschweig und in Salzgitter aufgeführt werden.

Im letzten Sommer startete zur Vorbereitung der Stimmungsbilder zu Braunschweigs Zukunft eine groß angelegte Ideenrecherche unter den Bürgern in der Stadt und im Umland. Ansonsten ja nicht mit Instrumenten plebiszitärer Demokratie verwöhnt, durften sie nun einmal Wunschbilder zum guten Leben in der Region beisteuern. Das Institut für Transportation Design der ansässigen Hochschule für bildende Künste füllte damit seine Szenarienkoffer. Sechs vorausgewählte Theater- und Performanceaktivisten wurden mit diesen Visionen sowie wissenschaftlichen Recherchen versorgt, in Workshops wurde die Tauglichkeit für szenische Operationen geprüft.

Ein neuerlicher Jurierungsdurchgang wählte dann zum Jahresende die drei erfolgversprechendsten Kandidaten für die Produktion aus. Neben dem Team um den Hamburger Gero Vierhuff mit dem Stück „Der König bittet zum Tanz“ sind dies die Fräulein Wunder AG aus Hannover und ihre „Konferenz der Utopisten“ sowie die Braunschweiger Stefanie Bischoff und Christian Weiß mit „Ich sehe was, was Du nicht siehst“, einem einem Audiowalk durch Salzgitter.

Das Theater als alternativer Zugriff auf die Wirklichkeit darf eine ganze Menge, ernst gemeint sein muss da schon gar nichts. Wenn’s spaßig wird, kann das Publikum auch eine Menge Halbgares vertragen. Und so ist „Der König bittet zum Tanz“ vor allem eine leichte Klamotte. Als erste Staatsreise in sein neues Reich unternimmt König Herbert einen Ausflug ins nahe Gifhorn. Der Ort ist mittlerweile so ausgestorben, dass selbst der Totengräber nicht mehr weiß, wie er einmal unter die Erde kommen soll.

Dies ist die erschreckende Ausgangslage, die als demografische Entwicklung in sorgenschweren Gutachten immer wieder beschrieben sein mag, zu den Fakten wirtschaftlicher Prognosen der Region derzeit aber konträr läuft. Denn rund um Wolfsburg boomt es momentan, VW sei Dank, und auch die Bevölkerungszahl legt leicht zu. Allerdings birgt dieses Wirtschaftsmonopol Segen und Fluch gleichermaßen. Als König Herberts historisches Käfer-Cabrio auf der Fahrt nach Wolfsburg streikt, ist man in der Autostadt nicht mehr in der Lage, das Gefährt zu reparieren, will mit Neuwagen und billigen Leasingverträgen auftrumpfen. Denn: „Ich (VW) bin alles, was Du brauchst“ – tönt es dazu aus den Boxen. Diese einfache Chiffre für die Region – als Szenenbild wird das sich langsam aus weißer Körnung verfestigende VW-Logo auf den Hintergrund projiziert – ist vielleicht die plakativste und beherzteste der gut einstündigen Aufführung.

An der alles beherrschenden Kultur des Totalkonsums scheitert König Herbert schlussendlich, selbst wenn er den Drachen „Mammon Geld“ noch zu töten versteht. Es bleiben ihm der Rückzug in die mit literarischen Oden verklärte Natur, etwa auf den Brocken. Sollte somit die Dystopie für die Braunschweiger Lande überwiegen? Wenn ja, dann hätte sie immerhin unterhaltsame Qualitäten, und der strauchelnde König tritt bei Weitem weniger despotisch auf als manch lokaler Oberbürgermeister. Schön sind die süffigen theatralischen Mittel, etwa die minimalistische Bühne mit Toiletten-Thron, die einfachen, teils analogen Projektionen im Hintergrund, die prägnanten musikalischen Akzente und die vier gleichwertigen Schauspieler, die im Wechsel König Herbert geben.

Die Teilnehmer des zweistündigen Hör-Rundgangs in Salzgitter hingegen sollen unter der Obhut von Stefanie Bischoff und Christian Weiß weniger mit ihrer Zukunft zaudern. Und dass, obwohl die beiden gebürtigen Salzgitteraner in der Stadt ihrer eigenen Kindheit alles andere als eine positive Entwicklung registrieren. Sie verabschiedeten sich für ihre Produktion von dem szenischen Modell einer Fiktion mit Protagonisten, nehmen ihr Publikum, das sie nun zum Akteur ermächtigen, lieber mit auf den Weg in eine unbekannte Welt inmitten ihres normalen Alltags. Über Funkkopfhörer werden dazu Klänge, Stimmen, akustische Effekte eingespielt. So entstehen räumliche Ereignisse und leichte Verschiebungen der Wahrnehmung zwischen Rathaus, Fußgängerzone und Dorfresten. Denn Utopien entstehen ja zu allererst in den Köpfen der Menschen. Das Publikum dankt es, versteht die Aufforderung, besser selber aktiv zu werden als zu viel auf die Politik zu vertrauen.

Als dritte Produktion startet zum November die „Konferenz der Utopisten“. Reicht es schon, selbst Gemüse anzubauen? Wie steht es um Teilhabe und Gerechtigkeit? Wissen wir vielleicht alle schon mehr über die Zukunft, als wir ahnen. Diese Fragen harren der Antwort.

Nun ist es aber ja so eine Sache mit den Utopien als Lösung von Problemen. Denn sie schaffen lediglich neue. Wir müssten also lernen, mit unseren unlösbaren Problemen sinnvoll umzugehen.

„Ich sehe was, was Du nicht siehst“: 16. bis 18. Oktober, 17 Uhr Treffpunkt: Ladengeschäft Kleine Zukunft, Albert-Schweitzer-Str. 48, Salzgitter-Lebenstedt
„Der König bittet zum Tanz“: 1. bis 3. November, 20 Uhr, Braunschweig, LOT-Theater
„Konferenz der Utopisten“: 8./9. und 14. bis 16. November, 20 Uhr, LOT-Theater
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