Flachlandfast - niederländische und belgische Kunst in Berlin: "Kunst muss bewegen"
Seit zwei Jahren gibt es das Flachlandfest. Gezeigt wird experimentelle Kunst aus Belgien und den Niederlanden. Ein Gespräch mit dem Organisator Boris Ljugov.
taz: Herr Ljugov, woher kommt die Idee zu dem Flachlandfest?
Boris Ljugov: In Belgien und Holland gibt es viele Künstler, die gut sind und im Ausland kaum bekannt. Flachland e. V. ist ein Verein von belgischen und flämischen jungen Leuten, die in Berlin wohnen oder gewohnt haben und ihre Erfahrungen in der Kunstszene hierherbringen wollen. Es gibt immer mehr Künstler aus Holland und Belgien, für die die Berliner Kunstszene sehr attraktiv ist. Nur haben sie bisher kein besonderes Forum wie Flachland gehabt. Sie sind viel mehr überall zerstreut.
Woran liegt es, dass die Kunst aus Holland und Belgien hier so wenig bekannt ist?
Ich glaube, dass Holländer und Belgier international ein eher langweiliges Image haben. Es sieht so aus, als ob wir gar nicht so viel zu bieten haben. Dem ist nicht so. Es gibt in Belgien viele junge Künstler, die sehr experimentell arbeiten. Manchmal geht das Experimentelle bei ihnen weiter als das, was man hier sieht. Es wäre schade, wenn das nicht auch hier anerkannt wird.
Können Sie ein Beispiel geben, was hier fehlt und Ihrer Meinung nach dort viel weiter entwickelt ist?
In Belgien und Holland sieht man mehr Grenzüberschreitungen und Vermischungen zwischen den Disziplinen Theater, bildende Kunst und Musik. Das ist zentral im Flachlandfest. Dort gibt es keine Kunst im klassischen Sinne.
Bei Grenzüberschreitung denke ich zuerst an etwas anderes. Ein Beispiel: In Antwerpen habe ich am Vordach einer Schule ethnisch unterschiedliche Namen gesehen. So etwas habe ich in Berlin bisher nicht erlebt. Es war sehr überraschend. Geht das Grenzüberschreitende auch in diese Richtung?
Der politische und soziale Aspekt ist uns in vielen Kunstwerken sehr wichtig. Es gibt Künstler, die mit der politischen Geschichte sehr experimentell umgehen, nur nicht auf klassische Art und Weise.
Können Sie ein Beispiel geben?
Der Künstler Karl Philips und ich arbeiten mit Werbung. Karl hat eine Wohnung an einer riesigen Werbewand in Brüssel installiert. Eine Obdachlose hat einen Monat lang darin gewohnt und dieses Werbeplakat gepflegt. Für viele war es nicht offensichtlich, dass es sich um Kunst handelte. Sie dachten eher an eine reale Lösung für eine Obdachlose. Es ist gut, wenn Leute am Rande der Gesellschaft einen Nutzen davon haben. Dennoch ist das sozialkritische Kunst. Es gibt viele solcher Beispiele. Wenn ein Künstler lediglich ein politisches Statement macht, kann man sagen, okay, das ist seine Meinung. Aber auf diese Weise denken die Leute selber mehr darüber nach.
Denken Sie etwa, dass Berliner Künstler nicht sozialkritisch sind?
Ich sehe, dass auch in der Kunstszene in Deutschland durchaus ein politisches Klima herrscht. Ich kritisiere nur, dass hier die Künstler lediglich ein Statement abgeben, aber nicht darüber nachdenken, ob das etwas bewegt in der Gesellschaft. Durch die Suche nach neuen Wegen wird Kunst interessanter für die Menschen. Insgesamt fehlt mir das Experimentelle hier. Durch meine Arbeit mit Werbung mache ich zum Beispiel auf die negativen Seiten der Konsumgesellschaft aufmerksam. Mit echter Werbung, die aber so weit geht, dass es fast schon nicht mehr akzeptabel ist. So überlasse ich es dem Betrachter, wie er oder sie das findet. Auf diese subtile Weise mache ich auf soziale Missstände, etwa für viele unerschwingliche Mieten aufmerksam.
Sie glauben also, dass der Kunstbetrieb in Deutschland die Leute nicht wirklich erreicht, zu abgehoben ist oder gar arrogant daherkommt?
Nicht nur in Deutschland, sondern insgesamt im internationalen Kunstbetrieb werden die Leute nicht erreicht. Das Flachlandfestival soll anders als beispielsweise die Biennale für alle zugänglich sein. Wir wollen das Publikum insbesondere mit Film und Musik erreichen. Das geht mit diesen beiden Dingen leichter. Außerdem sind die Eintrittspreise niedrig und somit für alle erschwinglich.
In Holland und in Belgien ist der Neoliberalismus früher angekommen als in Deutschland. Ist das vielleicht der Grund, warum Sie diese Art der experimentell-sozialkritischen Kunst machen, die Sie beschrieben haben? Und ist es das, worin vielleicht ein Unterschied zu Deutschland besteht?
Ja, hier sind die Nachwehen der DDR spürbar. Die Mietpreise sind immer noch niedriger als in Belgien. In einer kleinen Stadt wie Gent sind sie viel höher als in Berlin. Außerdem gibt es hier eine Tradition sozialer Kämpfe und Demos. Uns ist die Erinnerung an unsere eigenen Traditionen sozialer Kämpfe abhandengekommen. Deswegen hatte der Neoliberalismus in Belgien viel eher die Chance, soziale Errungenschaften abzubauen. Wie hart der Neoliberalismus ist, ist dort viel eher zu spüren als hier. Es gibt aber eine neue Generation, die eigene Wege beschreitet.
Gibt es etwas, was Sie dem Berliner Publikum abschließend sagen wollen?
Wir streben eine langfristige Kommunikation mit den Berlinern und Berlinerinnen an. Ich hoffe, dass auch viele Künstler "Flachland" besuchen werden und wir im Austausch bleiben können.
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