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Fit for Life

■ Welchen Marktwert hat ein Philosoph? Bernd Oei will es wissen und hat Bremens ersten „Philosophischen Salon“ eröffnet. In diesem Ort des Gedankens will er davon leben, dass er Wissenshungrigen Weisheit verkauft

Philosophen haben nix zu verkoofen. Weshalb Philosophen sich nach ihrem Studium als Taxifahrer, Clubanimateure, Bürgermeister von Venedig oder Journalisten verdingen, aber eben nicht als Philosophen.

Bernd Oei weiß alles über Photovoltaik zu erzählen. Er erklärt modernen HöhlenbewohnerInnen, dass die Verschrottung ihres Original-Steinzeit-Kühlschranks die Stromrechnung glatt halbieren würde und verdient außerdem sein Geld noch damit, Häuslebauern tausend gute Gründe für den Kauf einer Solaranlage zu unterbreiten. Kurzum: Auch Bernd Oei hat nix zu verkoofen und verdingt sich daher als freischaffender Solar- und Energieberater.

Mit dem fruchtlosen Philosophieren ist jetzt Schluss, dachte sich Philosoph Oei und gründete vor wenigen Wochen Bremens ersten „Philosophischen Salon“. Ein Nichtraucher-Aufkleber gleich am Entrée zerstört jede Illusion, dass sich hinter der eisernen Salon-Eingangstür abgehärmte Existenzialisten mit dampfenden Zigarren im Mundwinkel bei einem heißen Täschen Jasmintee erregt über den tieferen Sinn des Daseins streiten. Oeis „Philosophischer Salon“ ist ein heller, freundlicher Raum an der Stader Straße. Anstelle einer Theke findet sich darin ein großer, von Korbstühlen umgebener Holztisch. Und spätestens beim Anblick von Flip-Chart und Overhead-Projektor ist klar: Dies ist ein Ort des Gedankens, nicht des Gelages. Doch wenn Oeis Wünsche in Erfüllung gehen und in naher Zukunft dort auch KünstlerInnen, LiteratInnen und Gourmets interdisziplinär ihre Liebe zur Weisheit ausleben, dann soll der „Philosophische Salon“ seinen Namen bald alle Ehre machen.

Momentan aber scheinen die philosophierenden Bremer Salonlöwen noch Schwierigkeiten zu haben, den Weg nach Hastedt zu finden. Oei überrascht das nicht, mit langen Schlangen vor seinem Etablissement hat er eh nicht gerechnet. Dennoch: Etwas einfacher hat er sich die Kontaktaufnahme zu seiner Zielgruppe schon vorgestellt. Obwohl er 1.500 Faltblätter verteilt und im MIX und anderswo diverse Werbeanzeigen geschaltet hat, findet sich bislang nur selten jenes philosophisch interessierte Publikum ein, auf das Oei hofft: Wissensdurstige, die sich mit der Lektüre von Aristoteles & Co nicht fürs ZEIT-Kreuzworträtsel fit machen wollen, sondern in den Texten tatsächlich sowas wie Orientierung fürs Leben suchen und denen das bunte Allerlei aus dem esoterischen Supermarkt schlicht zu blöd ist.

Wer meint, solche Aliens hätten doch bereits in der örtlichen Volkshochschule ihr Vereinsheim gefunden, sieht sich getäuscht. Denn dort trifft man eher jene, die unbedingt beweisen wollen, dass „In vino veritas“ eine Abart des Kategorischen Imperativs ist und ansonsten gerne philosophisch angeregt plaudern. Dagegen hat Oei, der selbst als Philosophiedozent an der VHS Kurse gibt, nichts einzuwenden, auch wenn er seine eigenen Kurse vom üblichen VHS-Niveau abzugrenzen sucht. Aber in seinem Salon soll im sokratischen Geist der innige Dialog gepflegt werden, an dessen Ende aus Menschen bessere Menschen werden.

In Marburg hat Bernd Oei gemäß dieser Idee bereits mit Erfolg gearbeitet. ManagerInnen und leitende Angestellte eines Solarunternehmens, bei dem Oei ein Praktikum absolvierte, besuchten rege seine Philosophiekurse. Selbst 1.000 Mark für einen Wochenendkurs wurden anstandslos bezahlt, auch wenn die Motivation einiger KursteilnehmerInnen eher schnöder Natur war: „Manche wollten während des nächsten Geschäftsessens einfach mal mit ihren frisch erworbenen Kant-Kenntnissen glänzen“, erzählt Oei. Dennoch: Ingenieure, Juristen, Kaufleute – in diesen Berufsgruppen vermutet der 34-Jährige das Gros seines Klientels. „Das sind Menschen, die strukturiertes Denken schätzen, aber zugleich in ihren Jobs oft die Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen vermissen.“

Uni-PhilosophInnen hingegen sind Oei eher suspekt – woran seine eigenen Studienerfahrungen in Bremen, Hamburg und Bourdeaux nicht ganz unschuldig sind. In den Seminaren dominierte der Frontalunterricht vor einem zumeist desinteressierten Publikum. Und bei den DozentInnen stieß er mit seinem Anspruch nach einer Philosophie, die Lebensweisheit lehrt, auf taube Ohren. Seine Dissertation über Nietzsche in der deutschen und französischen Rezeption stieß bei seinem Betreuer wegen ihres literarischen Stils auf Ablehnung. Zur mündlichen Prüfung ist Oei dann gar nicht mehr erschienen.

Als etwas anderer Philosoph will Bernd Oei nun seinen Lebensunterhalt verdienen. Mindestens einmal in der Woche will er den Salon öffnen und gegen eine Gebühr von 30 Mark pro Person über Philosophen dozieren und diskutieren. Wochenendkurse für 250 Mark sind ebenfalls geplant. Das Geld, weiß Oei, schreckt viele ab. „Aber geistige Arbeit ist so viel wert, mit weniger Geld kann ich nicht leben.“ Oei hofft, dass sich genügend finden, denen eine philosophische Lehrstunde so viel wert ist wie ein besseres Essen. Auf eine einjährige Durststrecke hat sich der Existenzgründer, der alle Ersparnisse in den Salon investiert hat, eingestellt. In drei Jahren, so hofft er, kann er von der Philosophie und den Solarberatungen leben.

Und wenn nicht? „Dann ist die Idee, sich als Philosoph am Markt zu behaupten, eben gescheitert.“ Doch der Versuch, sagt Oei, sei ihm das wert. Ein philosophentauglicher Job als Taxifahrer, Clubanimateur oder Journalist lässt sich schlimmstenfalls sicher finden.

zott

Der „Philosophische Salon“ befindet sich an der Stader Straße 35. Bürozeiten: Mo, Di 9-12 Uhr, 15-18 Uhr; Mi 9-12 Uhr und Do 16-18 Uhr; Tel.: 43 03 688; berndoei§yahoo.de. Die einstündige Vortragsreihe (Eintritt: 30 Mark) findet mittwochs um 19 Uhr statt. Die Themen der nächsten Wochen: Kant (1.11.), Hegel (8.11.), Hölderlin (15.11.), Nietzsche (22.11.)

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