„Fit for 55“ im doppelten Sinne: Sportstudio Klimagipfel
Auf der Klimakonferenz in Glasgow gibts jede Menge Bewegung. Leider weniger in Sachfragen als vor allem für unseren Autor.
E igentlich sollte auf der Einladung zur Klimakonferenz ein Warnhinweis wie auf Zigarettenschachteln kleben: „COPs können Ihrer Gesundheit schaden!“ Wer teilnimmt, schläft nur ein paar Stunden, isst und trinkt tags zu wenig und abends zu viel, hetzt von einem Termin zum nächsten oder langweilt sich in der letzten Nacht zu Tode. Gefährlich ist auch der Frust, dass der Klimawandel immer weitermacht, was für unsere Gesundheit ja noch schlimmer ist als die Gummibär-und-Schokolade-Diät auf der Konferenz.
In Glasgow ist vieles anders. Aus der Angst vor einem Corona-Superspreader-Event werden hier Toiletten, Tische und Stände permanent abgewischt und desinfiziert, überall steht Handdesinfektionszeug. Wenn die Verhandlerkolonne so fleißig und effektiv wäre wie die Putzleute sind, wäre mir ums Klima nicht bange.
Bei allem Stress ist die COP aber eigentlich ein großes Fitnessstudio: Gegen das ungesunde Sitzen gibt es lange Schlangen am Eingang oder vor den Toiletten, wo der Bewegungsapparat gestärkt wird. Die Wege sind weit: vom Eingang bis zum Pressezentrum sicher ein knapper Kilometer. Und wir sind dauernd on the road: zu Pressekonferenzen, zu Gesprächen, Terminen, Treffen mit Informanten, zum Klo, einfach rumschlendernd.
Früher fürchtete ich, zwei Wochen COP würden mich aus dem regelmäßigen Joggingrhythmus bringen. Inzwischen zeigt mir mein Smartphone, dass ich jeden Tag so um die 15.000 Schritte mache – weit mehr als im August, als ich wandern war. Und wie bei jedem guten Cardiotraining wechseln sich hektische Sprints zum morgendlichen Pendlerzug ab mit Ausdauertraining auf dem Konferenzgelände und Belastungsläufen die Treppen hoch – alles mit FFP2-Maske vor der Nase. Das Gute daran: Für einen Herzinfarkt bleibt einfach keine Zeit.
Adrenalin ohne Ende
Die ganze Hektik und Bewegung steht in seltsamem Kontrast dazu, wie unbeweglich der gesamte Prozess ist. Immerhin bleiben wir so auf Trab und mit Adrenalin versorgt. Nicht umsonst heißt der EU-Klimaplan offiziell „Fit for 55“. Da fühlen sich Senioren wie ich gleich angesprochen.
Viele Leute meinen ja, Klimaschutz sei ein Marathonlauf. Ach, Kinder: Wenn es doch nur so einfach wäre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt