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Fisch mit Schnabel

Details wider den höllischen Schrecken: Pieter Bruegels Grafiken in der Kunsthalle  ■ Von Petra Schellen

Wenn man es ganz genau nimmt, dann geht es auf den „Laster“-Bildern ganz vergnüglich zu. Da toben Hund und Katze durchs Gebüsch, da hängen Fische von Schornsteinen, da lassen sich's Menschen bei Wein und Gesang gut gehen, und man möchte fast nicht glauben, dass die Allegorien Pieter Bruegels d. Ä., die jetzt in der Kunsthalle gezeigt werden, moralisch gemeint sind. Und doch stecken Stiche wie Zorn und Trägheit voller ins Bild gesetzter Sprichworte und Anspielungen, doch trifft das Klischee vom Bauern-Bruegel nicht die Realität, wie Kurator Jürgen Müller betont: „Bruegels erster Biograf Carel van Mander war es, der dieses Klischee prägte und Details verschwieg, die nicht in das Bild vom derben Bauernmaler passten.“

Bei diesem verschrobenen Brue-gel-Bild möchte die Ausstellung ansetzen; außerdem will Müller – dies deutet schon der Titel Bruegel invenit (Bruegel hat erfunden) an – eine klare Trennung zwischen Bruegel als Ideengeber und den professionellen Stechern, die für die Umsetzung der Bildidee in Kupferstich oder Radierung zuständig waren, ziehen. Auch soll die Schau den Blick dafür schärfen, dass die Vermarktung der Blätter sowie die Vermittlung zwischen Bruegel und Stechern wie Pieter van der Heyden auf die Geschäftstüchtigkeit des Antwerperner Verlegers Hieronymus Cock zurückzuführen war, mit dem Bruegel zusammenarbeitete.

Erstmals in Deutschland sind jetzt alle 90 von Bruegel entworfenen Stiche versammelt und präsentieren neue Facetten des an Erasmus von Rotterdam und Sebastian Franck orientierten Malers, der in flämischen Intellektuellenkreisen mehrere Sammler hatte und seine Allegorien vermutlich als Auf-tragswerke schuf. Denn voller aufwendiger Einzelheiten stecken die Blätter, durch die Bruegel den Betrachter dezent geleitet: In Rückenansicht präsentierte Figuren stehen oft wie zufällig im Vordergrund, um zur Begutachtung der Landschaft einzuladen. Liebenswerte Details aller Art hat Bruegel in seine Landschaften und Allegorien hineingegeben, die als Glaubenszeugnisse gelesen werden können und doch immer ambivalent sind: Allzu idyllisch wäre zum Beispiel die Große Alpenlandschaft, stünde nicht – winzig, aber fast exakt im Bildzentrum – ein Galgen auf der Wiese. Einen fast wollüstigen Hang – nicht nur zum Fabulieren, sondern auch zur Anarchie kann man Bruegel außerdem attestieren, kommen doch die „Laster“-Bilder mit Titeln wie Gier, Neid und Geiz bedeutend fröhlicher daher als die „tugendhaften“ (Mäßigkeit, Glaube,Klugheit), auf denen das Personal oft statisch wirkt, als schreite der Fromme bevorzugt freudlos zum Heil.

Wie anders dagegen geben sich Blätter wie Die großen Fische fressen die kleinen Fische: Lustvoll meuchelt da die Meute; zufrieden zählen die Geizigen ihr Geld und zielen mit Pfeilen auf einen Sack, aus dem mühsam Münzen tröpfeln. Und während man sich durch das Bild tastet, sich in den mit fischigen Vögelchen und zwittrigen Kopffüßlern gespickten Anekdoten verliert, gewinnt man den Eindruck, als verhindere gerade die Detailfülle ein echtes Erschrecken: Kaum angerührt wird man von der Aufs-Rad-Flechtung eines Sünders, wenn es inmitten von Bränden und Folterungen passiert, sodass die Hinrichtung nur ein Detail unter vielen ist. Außerdem sollte – und darin ähnelt Bruegel seinem Vorbild Hieronymus Bosch – der Betrachter ja auch was zu gucken haben. Denn um den Pfad der Tugend zu erklettern, musste er ja erstmal sehen, was es an Lastern so gab, bevor er sie vermeiden konnte...

Bis 1. April in der Kunsthalle. Geöffnet Di–So von 10–18 , Do bis 21 Uhr.

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