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Finnlands Spurweite ist zu breitDie teuren neun Zentimeter

Die finnische Regierung verweigert den Wunsch der EU, die Spurweite seiner Eisenbahnen zu verkleinern. Das sei zu teuer, heißt es.

Anders als hier in London hat Finnlands Eisenbahn eine sehr viel breitere Spurweite

Stockholm taz | Die Regierung in Helsinki will Pläne der EU-Kommission für eine Vereinheitlichung der Spurweite europäischer Eisenbahnen nicht akzeptieren. Diese seien „unangemessen“ und für Finnland „viel zu kostspielig“, meint der finnische Transport- und Kommunikationsminister Timo Harakka. Er erwarte, dass Brüssel auf die „besondere Situation Finnlands Rücksicht nimmt“ und das Land eine Ausnahmeregelung erhalte: „Unsere spezielle Spurweite muss erhalten bleiben.“

Wogegen Harakka sich wendet, ist ein Vorschlag der Kommission für ein transeuropäisches Verkehrsnetz. Was die Bahninfrastruktur angeht, sollen die Mitgliedstaaten bis 2050 eine einheitliche Spurweite für ihre nationalen Hauptstrecken mit der europäischen „Normalspurweite“ (1.435 mm) haben.

Neubaustrecken sollen von jetzt an nur noch mit dieser Spurweite gebaut werden, für das existierende Schienennetz möchte man Pläne für die Anpassung einer abweichenden Spurweite an die Normalspur haben. Finnlands Problem: Das fast 6.000 Kilometer lange Bahnnetz hat die „russische“ Breitspur von 1.524 mm.

Als 1862 die erste 107 Kilometer lange Eisenbahnstrecke zwischen der Hauptstadt Helsinki und Hämeenlina eröffnet wurde, war Finnland ein Großfürstentum, das dem Kaiserreich Russland angegliedert war. Zar Alexander II. bestimmte im Hinblick auf einen geplanten Anschluss an das russische Bahnnetz eine Spurweite von 1.524 mm.

Langfristige Vorteile

Aufgrund seiner Randlage und weil es über sein Territorium keine durchgehenden Schienentransportwege zwischen EU-Mitgliedstaaten gebe, sei eine Änderung der Spurweite „ökonomisch untragbar“, meint die Regierung in Helsinki. Es wird erwartet, dass Ministerpräsidentin Sanna Marin sich gegen die Umsetzung für ihr Land aussprechen wird, wenn der Vorschlag im Herbst im Europäischen Rat behandelt wird.

Päivi Wood, Transportexpertin bei der finnischen Handelskammer, hält das für kurzsichtig. Selbst wenn Finnland nordöstlichster Mitgliedstaat sei, lohne es sich, über die logistischen Vorteile von Bahntrassen mit Normalspur nachzudenken. Nicht zuletzt die sicherheitspolitische Lage könne eine stärkere Anbindung der Transportinfrastruktur an den Westen erforderlich machen. Die Regierung solle langfristig denken, fordert auch Atte Harjanne, Fraktionsvorsitzender der finnischen Grünen. Der Einstieg in den Bau eines Normalspurnetzes könne künftige Bahnneubauprojekte nach Schweden und Norwegen erleichtern.

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14 Kommentare

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  • Wieviel Bedarf besteht denn? Wo soll die Strecke denn laufen? Vielleicht wäre es für den Güterverkehr sinnvoll ein oder zwei neue Strecken zu bauen, anstatt umzubauen.

  • Man kann auch Züge bauen, die auf beiden Spurweiten verkehren können, sogar ohne Tausch der Fahrgestelle. Das wurde z.B. gerade in der Schweiz für den sogenannten "Golden Pass Express" zwischen Montreux und Interlaken gemacht, der ab Dezember 2022 verkehren soll. In diesem Fall handelt es sich um Normal- und Meterspur, also sogar noch einen deutlich grösseren Unterschied als zwischen Normal- und Breitspur - und es funktioniert! In Zweisimmen spuren die Fahrzeuge, die sich bereits in der Erprobungsphase befinden, von Meter- auf Normalspur um.

    • @Herumreisender:

      "die sich bereits in der Erprobungsphase befinden,"

      Das klingt nicht, als wären die marktreif und einsatzbereit.

  • Mal wieder so eine Errungenschaft der EU, die kein Schwein braucht - genauso wie ein Seilbahngesetz in Mecklenburg-Vorpommern.

    • 3G
      32051 (Profil gelöscht)
      @Herbert Eisenbeiß:

      Ich zitiere mal aus Wikipedia, weil Sie direkt mal gegen die EU poltern:

      Das Gesetz wird gern als Beispiel für überzogene EU-Bürokratie herangezogen, da nach der europäischen Richtlinie 2000/9/EG das Gesetz erlassen werden musste, auch wenn zum jeweiligen Zeitpunkt keine Seilbahnen zur Personenbeförderung in Betrieb sind. Allerdings ist der Bürokratieaufwand auf die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder zurückzuführen. Während beispielsweise in Österreich das Bundesgesetz über Seilbahnen für die gesamte Republik beschlossen wurde, musste in Deutschland jedes Land ein eigenes Seilbahngesetz erlassen.

      Die Frist hierfür verstrich bereits im Jahre 2002. In Deutschland wurde die Richtlinie zunächst nur in einigen Bundesländern in nationales Recht umgesetzt, weshalb die Europäische Kommission 2003 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleitete. In diesem Verfahren hätte unter Umständen ein Zwangsgeld von bis zu 791.293 Euro pro Tag gegen die Bundesrepublik verhängt werden können. Diese hätte das Zwangsgeld von denjenigen Bundesländern eingefordert, welche die Richtlinie noch nicht umgesetzt hätten.

      Das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wurde 2005 beendet, da bis dahin sämtliche Länder Seilbahngesetze erlassen hatten. Mecklenburg-Vorpommern wurde daher nicht mit einem Zwangsgeld belastet.

      • @32051 (Profil gelöscht):

        Ich sehe hier kein Argument, nur ein Scheinargument.

        Mecklenburg-Vorpommerns höchste Erhebung ist 176 Meter hoch. Es gibt dort keine Seilbahn. Damit ist solch ein Gesetz auf Vorrat für das Land einfach unnötig, Punkt.

        Sollte jemals eine Seilbahn gebaut werden, z.B. als ÖPNV-Mittel, dann kann der Landtag noch immer vorher solch ein Gesetz beschließen.

        So aber ist es einfach nur ein unnötiger Krampf, der genauso sehr wie Heizlüfter in der Sahara gebraucht wird. Eben unnötiger EU-Ballast. Und Kosten verursacht solch ein Gesetz auf Halde auch noch.

        • 3G
          32051 (Profil gelöscht)
          @Herbert Eisenbeiß:

          Der Punkt ist, dass es nicht Europa verkackt haz, sondern die Bundesregierung.

          Wenn Sie schon poltern, dann gegen die Richtigen.

          Aber auch da muss man sagen, wo zigtausende arbeiten, kann es halt mal zu Fehlern kommen.

          • @32051 (Profil gelöscht):

            Wer hat denn nun gesagt, dass es solch ein Gesetz geben muss, die EU oder die Bundesregierung? Die EU. Diskussion beendet.

  • Also wenn man von Berlin nach Moskau fährt, werden einfach alle Waggons umgespurt, indem man die Fahrgestelle tauscht. Das geht ziemlich schnell. Ausser freilich, man macht ein uraltes Miniproblem plötzlich zur riesigen EU Sache- in einem Land mit kaum Zugreisen....

    • @Lena Hochstädter:

      Leute, es geht nicht um Personen-, sondern um Güterverkehr.

  • Die "russische" Spurbreite gibt es (Überraschung!) auch in der Ukraine, einem der künftig flächenmäßig größten EU-Staaten. Da hat man für das Problem zusammen mit Polen bereits eine doppelspurige Lösung entwickelt. Für einzelne Strecken sicher auch in Finnland machbar. Da Finnland kein Transitland ist, sondern am Rand liegt, habe ich aber für deren Haltung Verständnis.



    www.lok-report.de/...s-jahr-fertig.html

    • @Christian Lange:

      Man müsste erst einmal den Bedarf konkret beschreiben. Ist irgendetwas unterhalb der Ebene Wolkenkuckusheim in Sicht, was aus Kostengründen den Umbau des gesamten finnischen Netzes (nebenbei mit dem Ergebnis, dass auf Strecken nach Russland die Fahrzeuge umgespurt werden müssten) günstiger erscheinen lässt als Umspurung an den Verbindungsstellen zwischen N/S und FI?



      Die Rail Baltica wird in Normalspur errichtet (was für die baltischen Republiken wiederum Umspurung an den Nahtstellen zum Bestandsnetz bedeutet), aber glaubt wirklich jemand an einen Endbahnhof Helsinki für diese Strecke?

    • @Christian Lange:

      Deshalb gibt es auch massive Probleme derzeit ukrainisches Getreide in EU-Häfen zu verschiffen. Eine Vereinheitlichung der Spurweiten auf EU-Gebiet ist auf jeden Fall sinnvoll, auch wenn es Ausnahmen gibt, dazu gehören m.E. vom restlichen Schienennetz isolierte Bahnen, z.B. in Irland oder eben auch in Finnland.

  • "Selbst wenn Finnland nordöstlichster Mitgliedstaat sei, lohne es sich, über die logistischen Vorteile von Bahntrassen mit Normalspur nachzudenken."

    Es gibt nur eine einzige Bahnverbindung, vom schwedischen Haparanda ins finnische Tornio, ansonsten gibt es keinen Bahnverkehr aus der EU nach Finnland.

    Es gibt die Idee eines Tunnels, zwischen Tallinn und Espoo, aber der kostet Milliarden, die aktuell niemand bezahlen will und wäre der längste Tunnel der Welt, über 100 km. Zur Not steigen die Leute in Espoo in finnische Züge um.

    finestbayarea.online/projects

    Eine Brücke oder Tunnel nach Schweden wäre noch viel teurer und viel komplizierter.

    Konventionelle Landverbindungen ergeben wenig Sinn, um von Stockholm nach Helsinki zu kommen, muss man 1.000 km auf schwedischer Seite nach Norden fahren, um dann auf finnischer Seite 700 km wieder nach Süden zu fahren. Eine Mehrheit der Schweden wohnt noch südlicher, auch eine Mehrheit der Finnen wohnt viel weiter südlich und 1.700 km ist ca. die Länge der Strecke Kopenhagen-Barcelona.

    Und die Idee mit den Strecken nach Norwegen, Kirkenes, Tromsø oder Narvik ergeben wirtschaftlich nur Sinn, wenn man eine massive Ausbeutung der arktischen Rohstoffe im Zuge der besseren Erschließbarkeit durch die Klimaerwärmung unterstellt, hat die nordische Investitionsbank 2018 schon mal geprüft.

    www.nib.int/cases/...to-the-barents-sea

    Das die finnische Regierung die EU Wünsche für massive Geldverschwendung hält, kann ich durchaus nachvollziehen...