Fingerschnipsen gegen Flugangst: Angst vor dem Absturz
Unsere Autorin hat Panik vorm Fliegen. Um die Angst zu überwinden, probiert sie eine Hypnose aus. Bringt das was? Und wenn ja, wie lange?
Ich gehe zum Gate, wo die anderen Fluggäste bereits warten. Alte Frauen, Paare, junge Männer, Kinder, sie alle beobachte ich dort. Dann verziehen sich ihre Gesichter zu schreienden, gequälten Fratzen. „Das sind also die Leute, mit denen ich heute sterben werde“, denke ich und stelle mir vorsorglich für einen Absturz vor, wie Todesangst an ihnen aussehen würde.
Dieses Ritual gehört zu jedem meiner Flüge, denn ich habe Flugangst. Schätzungen zufolge sollen etwa 16 Prozent der Deutschen unter Aviophobie leiden. Nur 16 Prozent! Wie niedrig diese Zahl ist, fasziniert mich ernsthaft. Halten die anderen 84 Prozent es denn für normal, sich in eine tonnenschwere Metallbox zu schnallen und sich in die Luft zu katapultieren? Ist ihnen nicht bewusst, wie absolut irrsinnig das ist, wie beklemmend, wie unnatürlich?
Die 84-Prozenter werden sich bereits ihre Sätzchen zurechtlegen: „Das Gefährlichste am Fliegen ist die Autofahrt zum Flughafen“, oder „Das Flugzeug ist das sicherste Verkehrsmittel der Welt“ oder „Die Wahrscheinlichkeit abzustürzen, liegt bei 1 zu 11 Millionen“, … ja, ja, ja! Die Zahlen stehen gegen mich, aber überzeugend sind sie nicht. Irgendwann muss dieser eine Absturz ja eintreffen, und ich bin mir jedes Mal aufs Neue sicher, dass ich beim anstehenden Flug dran glauben werden muss. Trotzdem steige ich ein.
Mein nächster Flug steht schon an, obwohl ich lieber 17 Stunden Auto fahren würde – meine Mitreisenden konnte ich davon nicht überzeugen. Durchaus passend muss ich mich am Freitag, dem 13. September meiner Angst erneut stellen. Davor werde ich zum ersten Mal versuchen, die Angst loszuwerden und Teil derer zu werden, die im Flieger lächelnd auf die Erde runtergucken. Noch gelingt mir das nicht.
Keine schlechten Omen
Schon beim Ticketkauf prüfe ich, welches Modell mich transportieren wird. Hat es irgendwelche sichtbaren Propeller, gehe ich von einer 100-prozentigen Todesquote aus. Ähnlich bei einer Boeing. Beim Boarding schaue ich, ob Dellen, lose Schrauben oder Klebeband am Metallkoloss zu sehen sind und linse sicherheitshalber auf die Modellnummer, die neben der Tür aufs Blech gedruckt ist: Jetzt bloß keine schlechten Omen.
Zu geizig, extra für einen bestimmten Sitz zu zahlen, lasse ich mich von der willkürlichen Zuordnung auf einen Platz mobben. Sind ohnehin alle schlecht: Hinten sind schon schwache Turbulenzen deutlich spürbar, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit bei einem Absturz zu sterben 0.000001 Prozent geringer, habe ich mal gehört. Oder rede ich mir ein. Vorne spürt man die Turbulenzen weniger, aber man ist beim Absturz direkt tot. Am Fenster muss man diesem Tod konstant entgegenblicken, in der Mitte bekommt man Beklemmungen und am Gang provozieren die Gesichter derjenigen, die so tun, als müssten wir gleich nicht alle krepieren.
Die Wartezeit bis zum Start verbringe ich damit, mich davon zu überzeugen, dass ich bestimmt gleich einschlafe. Meine Atmung wird flach. Hinter mir schnarcht jemand. Dann steigt mein Puls, mein Angstgefühl und meine Wut auf den Schnarcher auch. Die Turbinen brummen, es geht los. Wir rollen, rasen dann, langsam hebt die Nase ab.
Ich kralle mich in die Armlehnen und schließe die Augen, bemerke davor aber noch den mitleidigen Blick meines Sitznachbarn. In der Luft sehe ich ein zweites Flugzeug in uns prallen, wir explodieren in einem gigantischen Feuerball. „Kollision am Flughafen BER: Keine Überlebenden“, titeln meine Kolleg_innen noch am selben Tag. Ich mache die Augen auf … doch noch nicht tot.
Mein Grab, meine Familie
Ein Blick zum Flugpersonal: Sie sind seelenruhig und ich bemühe mich, sie zu imitieren, obwohl meine Hände mittlerweile klitschnass sind. Videofetzen von Flugabstürzen, obwohl ich diese – egal ob echte oder aus Kinofilmen – um jeden Preis zu vermeiden versuche, schießen mir durch den Kopf. „Wir konnten nur noch Überreste bergen. Über die Zähne konnten wir Ihre Tochter identifizieren.“ Meine Familie weint an meinem Grab.
Zugegeben, der Start ist meist am schlimmsten, doch so hören sich die ersten Minuten der ja leider mehrstündigen Flüge in meinem Kopf an. Ist es der Tod an sich, vor dem ich Angst habe? Oder ein besonders schmerzhafter Tod? Von mentalen Abstürzen, Explosionen und Panik will ich von nun an jedenfalls zu dem Gefühl, das ich auch im Zug oder Bus habe: keinem. Ich überlege ein Gruppenseminar gegen Flugangst zu besuchen, inklusive Konfrontation in Form eines Fluges mit den anderen Angsthasen. Ich passe. Noch schlimmer, als auf dem Weg in den Urlaub in ein Unglück zu geraten, wäre bei einem Angstseminar in einer Maschine voller Schisser wie mir. Also entscheide ich mich für Hypnose.
Viel Fingerschnipserei, ungewollt irgendwelche Sachen erzählen, die Kontrolle verlieren, sich an nichts erinnern – so stelle ich mir Hypnose vor. In den eineinhalb Stunden, die ich mit Bernhard Tewes in seiner Praxis „Kiez Hypnose“ in Berlin-Friedrichshain verbringe, merke ich, dass meine Vorstellung falsch ist. Mit dem Bild von Hypnose, das man aus dem Fernsehen kennt, hat der Prozess wenig zu tun.
Tewes ist Hypnosetherapeut und will mir in dieser Intensivsitzung dabei helfen, meine Angst anzugehen. Focus berichtet von einer ehemaligen Bundesministerin, die seine Praxis wegen Panikattacken aufgesucht habe. Bei der Pro7-Sendung „Late Night Berlin“ hypnotisierte er einen Mitarbeiter, um ihm das Rauchen abzugewöhnen – ein Laster, das Tewes selbst vor vielen Jahren durch Hypnose loswurde: sein erster Kontakt zu der Therapieform, wie er erzählt. Auf seiner Website gibt Tewes außerdem an, gegen Phobien, Tinnitus, Liebeskummer, Depression, Blockaden, Schmerzen und diverse andere Beschwerden zu hypnotisieren.
Pflanzen, afrikanische Masken
„Irrationale Ängste hat man nicht mit rationalen Erklärungen zu begegnen“, sagt er gleich zu Beginn, als ich mitteile, dass ich ja eigentlich wisse, dass Fliegen ungefährlich ist. Durch Hypnose komme man vorbei am Türsteher, dem Geist, direkt ran ans Unterbewusstsein. Dort befänden sich Gewohnheiten und Überzeugungen. In der Hypnose könne man dem Unterbewusstsein neue Handlungsmöglichkeiten vorschlagen.
Ich bekomme einen Tee, und sehe mich um: Pflanzen, afrikanische Masken, Kerzen, Ziergräser, kleine Statuetten – der Raum wirkt wie die Wohnstube eines ehemaligen Seefahrers. Nach einem Vorgespräch, in dem ich Fragen stelle, meine Angst und Wünsche ausdrücke, geht es los mit der Hypnose. Verschiedene Möbel stehen mir dafür zur Auswahl. Ich entscheide mich für eine Chaiselongue, wickle mich in eine Decke und setze Kopfhörer auf. Auf die Ohren bekomme ich beruhigende Musik und Tewes Stimme, deren Bässe außerdem durch den Stuhl vibrieren – eine Hightech-Chaiselongue.
Zuerst bringt mich Tewes in einen Trancezustand. Die Augen werden schwerer, der Körper wird entspannter, der Geist ruhiger. Hier und da höre ich doch ein paar Finger schnipsen. Irgendwann scheine ich angekommen zu sein, in dieser Trance. Zu keinem Zeitpunkt habe ich das Gefühl, Autonomie über mich zu verlieren: Ich kann sprechen, könnte, wenn ich wollte, die Augen öffnen, könnte auch aufstehen und gehen. Tewes beschreibt, dass dieser Zustand mit dem Moment kurz vorm Einschlafen vergleichbar sei. Dort angekommen, beginnt das, was meine Angst nun lösen soll.
Tewes führt mich, ähnlich wie bei einer geleiteten Meditation, gedanklich an verschiedene Orte. Ich gehe mit und konfrontiere dort meine Angst, abstrahiere sie, lasse sie gehen. Ich umarme mein inneres Kind, ich packe meine Angst in einen Rucksack, ich sehe sie auf einem Schiff davon schippern und sinken. Ich visualisiere Glücksgefühle als Farben, fülle mich mit ihnen aus und steige damit in ein Flugzeug. Und so weiter.
Gedanken wegschippern lassen
Dann bekomme ich die Anweisung, langsam aufzuwachen. „Das war aber kurz“, denke ich und schätze, dass gerade mal 15 Minuten verstrichen waren. Tatsächlich lag ich 70 Minuten auf der Chaiselongue und imaginierte Orte, Situationen und Gefühle – zumindest ist mein verzerrtes Zeitgefühl also ein Beweis dafür, dass gerade irgendwas geschehen ist, das meine Ratio übersteigt. Ich werde entlassen und weiß nicht so ganz, was ich über diese Sitzung denken soll.
Allzu lange denken kann ich ohnehin nicht: Weniger als 24 Stunden später stehe ich am Willy-Brandt-Flughafen in Berlin, fühle mich gewappnet, hoffnungsvoll und optimistisch, trotz des Unheilsdatums. Erste Nervosität spüre ich erst im Flugzeug. Sicherheitshalber habe ich mir Tewes’ Hypnose App und die „Flugangst“-Datei darin runtergeladen, die ich gleich abspiele, als ich meinen Platz (hinten, mittlerer Sitz) einnehme.
Ich meditiere also vor mich hin, viel zu früh, wie ich merke, als sich die Stimme in meinem Ohr nach etwa 20 Minuten von mir verabschiedet, in die Realität entlässt und die Turbinen gerade erst zu brummen anfangen. Wir starten, meine Ruhe bleibt bestehen und der Flug geht mir überraschend wenig nah, auch wenn das eine oder andere Horrorszenario für den Bruchteil einer Sekunde aufblitzt. Wie die Schiffe während der Hypnose lasse ich diese Gedanken wegschippern. Und selbst wenn was passiert, denke ich total abgebrüht, Hemingway hat zu Lebzeiten auch zwei Flugzeugabstürze überlebt. „Krass, bin ich jetzt geheilt?“, frage ich mich.
Etwas zu voreilig, wie der Rückflug einige Tage später beweist. Die Glücksgedanken, die ich während der Hypnose entwickelt hatte, kann ich nicht mehr abrufen. Zu viel Zeit scheint verstrichen. Wer war diese Person, die auf dem Hinflug unbesorgt im Flieger saß? Zugegeben, eine gewisse Faulheit spielt mit hinein: keine Meditation mehr, als ich im Flieger sitze, keine Erinnerung an das, was ich gelernt habe. Die alten Denkmuster rollen auf mich zu. Jetzt noch gegen sie anzukämpfen, scheint mir nicht nur unmöglich, sondern schier albern. Wie eine alte, toxische Liebhaberin empfange ich meine Angst, verschlinge mich immer mehr mit ihr auf meinem Sitz im Flugzeug. Dann rasen wir los, ich kralle mich in die Armlehnen, schließe die Augen. Die Nase hebt ab, flacher Atem, Herzklopfen, schweißnasse Hände, Kollision, Feuerball, Familie am Grab …
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“