Finanzmisere: Immer auf die Kleinen
In den Bezirken wächst die Wut über die Finanzplanung des Senats. Während der Wohltaten verteilt, verlieren die Bezirksverwaltungen an Gestaltungsspielraum.
Wenn es ums Geld geht, herrscht derzeit Euphorie unter den Politikern und Politikerinnen der rot-roten Koalition. In den Bezirken indes machen BürgermeisterInnen aller Parteien lange Gesichter. "Das Ende der Fahnenstange bei den Kürzungen der Bezirke ist schon lange erreicht. Wir leisten 90 Prozent der Aufgaben für die Bürger mit einem Drittel der Landesbeschäftigen", schimpft Konrad Birkholz (CDU) Bürgermeister von Spandau. "Wir finden es langsam bösartig, was da passiert."
Das Entsetzen der Bezirksvertreter passt nicht zu den salbungsvollen Tönen aus dem Abgeordnetenhaus. Dort wurde der Doppelhaushalt 2008/2009 in der Nacht auf Freitag von den Vertretern der rot-roten Koalition angenommen. "Ein Haushalt der guten Taten", titelte daraufhin der Tagesspiegel. Das Land muss keine neuen Schulden aufnehmen und kann sogar noch Geld verteilen. Für die Forschung und die Opern gibt es mehr, für den Gefängnisbau in Großbeeren und Neubauten der Charité ebenso, auch für die 30 Bundesliga-Sportvereine Berlins und die Renovierung des Schillertheaters fließt Geld. Überhaupt: Fürs Große gibts mehr. Weniger jedoch gibt es fürs Kleine. Den Bezirken werden weiterhin die Zuwendungen gekürzt. Die Bezirke aber sind die Orte, wo die Verwaltung auf das Gros der Bürger und Bürgerinnen trifft.
Vom Gesamthaushalt des Landes Berlin in Höhe von rund 20,6 Milliarden Euro gehen knapp 28 Prozent an die zwölf Bezirke. Davon bestreiten sie alle Aufgaben, die bei der Daseinsvorsorge und der Aufrechterhaltung der Zivilgesellschaft anfallen. Aufgaben der Ordnungs- und Jugendämter, der Wohnungs-, Sozial- und Schulämter, der Gesundheits-, Standes- und Bauämter werden auf Bezirksebene geleistet.
Dabei müssen die Bezirke dafür sorgen, dass der Transfer dessen, was den Leuten gesetzlich zusteht, auch bei den Betroffenen ankommt. Finanzell machen diese Transferleistungen etwa 93 Prozent der Bezirkshaushalte aus. Zwar ist das Budget für die Bezirke beim Doppelhaushalt 2008/2009 im Vergleich zum letzten Etat nicht nennenswert gekürzt worden. "Allerdings gilt für die Bezirkshaushalte die Vorgabe, im Transferbereich mehr auszugeben", erklärt Franz Schulz, grüner Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg. Daher bleibt den Bezirken für die Aufgaben, bei denen sie selbst noch Gestaltungsspielraum haben, etwa bei der Grünpflege und in der Kultur- und Projektelandschaft, weniger als vorher, unterstreicht Schulz.
Friedrichshain-Kreuzberg hat einen ungedeckten Betrag von 3,5 Millionen Euro im neuen Doppelhaushalt. Das ist wenig im Vergleich zu den Defiziten von Pankow, Mitte, Spandau oder Marzahn-Hellersdorf. Dort sind, wegen Transferleistungen etwa im Bereich "Hilfe zur Erziehung", für die der Senat nicht aufkommen will, erhebliche Schulden aufgelaufen. In diesen Bezirken sind die Kürzungen gravierend. "Wir müssen wirklich schlimme Sachen machen", sagt Jens-Peter Heuer (Linke), Stadtrat für Jugend und Finanzen in Mitte. Etwa werden drei bezirkliche Jugend-Erholungsstätten gestrichen und die Mittel für Ferienreisen für bedürftige Jugendliche halbiert. Die Jugendberufshilfe wird erheblich gekürzt und die letzte kommunale Galerie im Stadtteil Wedding ersatzlos gestrichen. Der Ausbau der Schillerbibliothek wird auf den nächsten Haushalt verschoben, Investitionen in Spielplätze entfallen ersatzlos. Gestrichen wird überall da, wo es keinen gesetzlichen einklagbaren Anspruch gibt.
In Pankow sieht es nicht besser aus, wie Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) klagt. Dort werden zwei Bibliotheken geschlossen und sämtliche Kulturhäuser und Jugendfreizeitstätten an freie Träger gegeben, um Personal zu sparen. Die Musikschullehrer wandern in den zentralen Stellenpool, der dem Senat zugeordnet ist, die Grünanlagen werden nicht gepflegt, nur noch gesichert. Ersatz für Straßenbäume gibt es nicht mehr.
Und das ist längst nicht alles. "Die Bezirkskultur blutet aus", sagt Köhne. Auf jeden Fall steht diese Entwicklung in krassem Gegensatz zur Aufstockung der Mittel für die Hochkultur, für die der Senat verantwortlich zeichnet.
Im Vorfeld der Haushaltsabstimmung haben die BezirksvertreterInnen gegen die ungerechte Finanzierung im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses protestiert. Mehr Geld konnten sie nicht herausholen. Aber immerhin, so der Kreuzberger Franz Schulz, sei bei allen Abgeordneten die Einsicht gewachsen, dass das gesamte System der Zuweisungen an die Bezirke auf den Prüfstand muss. "Sie haben begriffen, dass es eine politische Frage ist, welche qualitativen und quantitativen Mindeststandards bei den Angeboten für die Bürger gelten müssen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!