Finanzkrise der Kommunen: 100 deutsche Städte in Bedrängnis
Oberbürgermeister, die sich auf das Cross-Border-Leasing eingelassen haben, befürchten Milliardenlöcher in ihren Haushalten. Denn der US-Versicherer AIG steht vor der Pleite.
Die drohende Pleite des US-amerikanischen Versicherungskonzerns AIG bringt die Kämmerer in gut 100 deutschen Städten in Bedrängnis. Eine Insolvenz der American International Group AIG, einst weltgrößter Versicherer, könnte millionenschwere Löcher in die Haushalte der Kommunen reißen. Denn versichert hat AIG auch sogenannte Cross-Border-Leasing-Geschäfte.
Die galten noch vor wenigen Jahren als moderne Form wundersamer Geldvermehrung: Die Städte verleasten Straßenbahnen, Messehallen oder Kanäle an nordamerikanische Investoren und mieteten sie über Verträge mit jahrzehntelanger Laufzeit direkt wieder zurück. Die Käufer kassierten Steuervorteile in den USA und reichten Teile davon an die hiesigen Städte weiter.
Beispiel Bochum: In ihrer Zeit als Kämmerin verleaste die heutige SPD-Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz 2003 das gesamte Kanalnetz der Stadt - und freute sich über einen "Bargeldvorteil" von 20 Millionen Euro. Ein "reines Buchgeschäft" sei das, versicherte Scholz damals. AIG sicherte das Bochumer Geschäft ab. Doch heute schreibt AIG mit 100 Milliarden Dollar allein für 2008 den größten Verlust der Wirtschaftsgeschichte und wäre ohne Staatshilfen aus Washington zahlungsunfähig.
Nun schreibt Scholz zusammen mit ihren Oberbürgermeisterkollegen aus Wuppertal, Gelsenkirchen und Recklinghausen Bettelbriefe an SPD-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück: Der möge bitte sicherstellen, dass die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für AIG einspringt. In den hoch geheimen, über 1.000 Seiten starken und nach amerikanischem Recht auf Englisch abgefassten Cross-Border-Verträgen ist offenbar klar festgelegt, wer das Risiko für einen Ausfall von AIG trägt: die Städte.
Doch Steinbrück, bis 2005 selbst NRW-Ministerpräsident, will den Oberbürgermeistern nicht helfen. Von den Cross-Border-Geschäften "hätte allein deshalb Abstand genommen werden müssen, weil sich die Risiken aufgrund der Komplexität und langen Laufzeit der Verträge nicht hinreichend abschätzen ließen", schreibt Steinbrücks parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl in einem Brief, der der taz vorliegt, an die vier Stadtoberhäupter. Die "Förderfähigkeit der KfW" dürfe nicht gefährdet werden, so Kressl in einem weiteren Brief an den nordrhein-westfälischen Innenminister Ingo Wolf (FDP). Helfen solle doch das Land Nordrhein-Westfalen. So sagt KfW-Sprecher Wolfram Schweickhardt, noch sei unklar, ob die durch die Finanzkrise belastete KfW "überhaupt in der Lage sei", zu helfen.
Die vier Not leidenden NRW-Städte sind kein Einzelfall: Berlin verleaste die U-Bahn, Baden-Württemberg Teile der Wasserversorgung. Experten schätzen das Gesamtvolumen der Geschäfte auf bis zu 80 Milliarden Euro. "Steinbrück muss gemeinsam mit Ländern und Kommunen nach einer Lösung suchen", fordert die kommunalpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann: "So risikoreiche Geschäfte müssen künftig verboten werden."
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