Finanzierung von Hilfseinrichtungen: Schutz im Frauenhaus auf eigene Kosten
Viele Betroffene müssen für den Aufenthalt in einer Schutzeinrichtung selbst aufkommen. Die Folge: enorme zusätzliche Hürden für die Schutzsuchenden.
Bundesweit sind nur elf Prozent der Frauenschutzeinrichtungen für Betroffene kostenfrei. Das geht aus dem am gestrigen Dienstag veröffentlichen Monitor „Gewalt gegen Frauen“ der Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt des Deutschen Instituts für Menschenrechte hervor. In den meisten Einrichtungen werden die Unterbringungskosten nur unter bestimmten Bedingungen übernommen. Laut einer Studie des Frauenhauskoordinationsnetzwerkes musste jede vierte Frau in Deutschland 2023 ihren Aufenthalt im Frauenhaus zumindest anteilig selbst zahlen. So auch in Niedersachsen.
Stefanie Jäkel vom niedersächsischen Sozialverband sagt, das Problem betrifft vor allem Frauen, die finanziell nicht eigenständig sind, aber keine Sozialleistungen erhalten. Zahlen müssen also zum Beispiel Student*innen, Rentner*innen, Frauen mit prekärem Aufenthaltsstatus, EU-Bürger*innen, die noch keine fünf Jahre in Deutschland leben und Erwerbstätige.
Mit teils gravierenden Folgen: So hat die Studie der Frauenhauskoordinierungsnetzwerk auch ergeben, dass selbst zahlende Frauen häufiger zur misshandelnden Person zurückgingen, als jene, bei denen die Finanzierung für die Unterbringung sichergestellt war. Der niedersächsische Sozialverband fordert vom Land deshalb ein einheitliches Finanzierungskonzept, welches sicherstellt, dass Schutzsuchende kostenfrei Hilfe erhalten.
Eine Regelung auf Bundesebene fehlt bisher. Im Bundeskabinett wurde zwar am vergangenen Mittwoch das Gewalthilfegesetz beschlossen, welches ein Recht auf Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer Gewalt sowie den finanziellen Rahmen für ein verlässliches Hilfesystem schaffen soll. Doch der Deutsche Juristinnen Bund kritisiert, dass der Rechtsanspruch erst ab 2030 gelten soll. „Bis dahin können wir gar nicht warten“, sagen die Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle in Holzminden. Ohnehin ist nach dem Bruch der Ampel unklar, ob sich die nötige parlamentarische Mehrheit für die Verabschiedung des Gesetzes überhaupt noch findet.
Zusätzliche Hürden für die Betroffenen
In Niedersachsen lag der durchschnittliche Tagessatz, den Betroffene im Frauenhaus im Jahr 2023 pro Kopf zahlen mussten, bei 18 Euro. Die Tagessätze variieren allerdings von Kommune zu Kommune, von Haus zu Haus zwischen zehn und 160 Euro pro Tag und Kopf, sagt Jäkel. Grund für die unterschiedlichen Sätze ist die uneinheitliche Finanzierung der Frauenhäuser in Niedersachsen. Und damit steht das Land nicht alleine dar. Nur wenige Bundesländer haben Regelungen, die jegliche Kostenbeteiligung der Schutzsuchenden ausschließen.
Die einzelfallorientierte Tagessatzfinanzierung verhindert einen niedrigschwelligen Zugang zum Hilfsangebot für Gewaltbetroffene. „Auch bei 10 Euro pro Tag stehen bald horrende Summen im Raum, vor allem, wenn Kinder mit einziehen“, sagt Jäkel. Die Leiterin eines Frauenhauses in Hannover, die auch anonym bleiben will, sagt, es sei ein „Unding, dass eine Frau, die sich vor ihrem Partner in Sicherheit bringen muss, selbst bezahlt. Ich wende mich mit jeder Faser meines Herzens dagegen. Egal ob 1 oder 100 Euro pro Tag, das ist unerträglich.“
Doch selbst wenn ein Finanzierungsanspruch besteht, bedeutet die Tagessatzfinanzierung eine zusätzliche bürokratische Hürde. „Die erste Frage an eine Schutzsuchende muss dann lauten: In welcher Einkommenslebenssituation befinden Sie sich?“, sagt Jäkel. „Obwohl die erste und einzig wichtige Frage lauten sollte: Wie können wir sie bestmöglich schützen?“
In der Regel gehen die Frauenhäuser bis zur Klärung der Finanzierung in Vorleistung. „Manche Frauenhäuser haben deshalb bis zu 30.000 Euro offene Rechnungen“, berichtet Sylvia Haller, Vertreterin von der Zentralen Informationsstelle Autonome Frauenhäuser.„Für Mitarbeiter*innen ist es schrecklich, jemanden abweisen zu müssen, aber tun sie das nicht, bleibt das Frauenhaus oft selbst auf den Kosten sitzen.“
Das kann auch passieren, wenn jemand an einem anderen Ort untergebracht werden muss. „Gerade wenn eine weitere Entfernung zur gewalttätigen Person bestehen muss, dann wäre es schön, wenn innerhalb Niedersachsens, aber auch in Bayern, die gleichen Finanzierungsregelungen bestehen“, sagt eine der Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle in Holzminden.
„Ich finde es schlimm, wenn eine Frau Schutz sucht und wir keine Antworten haben, weil wir nicht wissen wie viel sie in einem anderen Bundesland oder einer andern Kommune bezahlen muss. Das verunsichert total. Ich hatte Frauen, die sich deshalb gegen ein Frauenhaus entschieden haben.“ Probleme ergeben sich auch, wenn die Kommune, in die die Schutzsuchende vermittelt wurde, von der Herkunftskommune das Geld verlangt, in dieser aber andere Regelungen gelten. Ein bürokratischer Kraftakt.
Sylvia Haller, Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser
„Das ist eine Verantwortungsverkehrung“, sagt Mira Lambertz vom Frauenhaus Lüneburg. „Die Menschen in Beratungsstellen und Frauenhäusern versuchen, die Istanbul-Konvention umzusetzen, während die Verantwortlichen zuschauen.“ Sie wünscht sich, dass unabhängig von parteipolitischen Kalkül an die von Gewalt betroffenen Frauen und Kinder gedacht wird.
„Die Problematik wird individualisiert, obwohl es sich um ein strukturelles Problem handelt“, sagt Haller von der Zentrale Informationsstelle Autonome Frauenhäuser und kritisiert deswegen den im Gewalthilfegesetz geplanten Rechtsanspruch.„Frauen, die akut Gewalt erleben, müssen dann wieder erst einen einzelfallabhängigen Anspruch geltend machen“, so Haller.
Es besteht Handlungsbedarf
„Minimaler Wunsch wäre, dass wir gute Länderregelungen haben, großes Ziel ist eine bundeseinheitliche Lösung.„Die Leiterin eines Frauenhaus in Hannover ist auch für eine einheitliche Lösung, hat aber Bedenken: „Sollte das Land die Finanzierung erhöhen, darf das nicht dazu führen, dass die Kommune ihre Finanzierung um eben diesen Betrag kürzt.“ Außerdem dürfe die Politik sich nicht bloß an Mindestanforderungen orientieren und dürfe die Bedürfnisse der Einrichtungen nicht außer Acht lassen.
Es fehlt eine bundesweit einheitliche Regelung zur Finanzierung der Frauenhäuser, daher regeln die Ländern das unterschiedlich. Die Finanzierung setzt sich aus Geld von Ländern, Kommunen, befristeten Projekten des Bundes und Eigenmitteln der Einrichtungen, wie Spenden, zusammen. Niedersachsen hat beispielsweise extra eine eigene Richtlinie zur Förderung erlassen.
Schutzsuchende Frauen müssen sich zum Teil an den Unterbringungskosten beteiligen, auch in den 46 Frauenhäusern Niedersachsens. Komplett übernommen werden die Kosten aktuell nur in Berlin, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen.
Schleswig-Holstein ist das einzige Bundesland, das alle seine 16 Einrichtungen institutionell, also verbindlich und regelmäßig, aus Ländermitteln fördert. Schon seit 1996 übernimmt es die Kosten für den Aufenthalt in Schutzeinrichtungen und ermöglicht das durch den kommunalen Finanzausgleich – das ist bundesweit einzigartig.
Eine bundesweite Lösung könnte das Gewalthilfegesetz bringen, das vergangene Woche vom Bundeskabinett verabschiedet wurde. Das Gesetz soll den Zugang zum Hilfesystem durch einen individuellen Rechtsanspruch sichern, der aber erst 2030 gelten soll.
„Grundsätzlich obliegt die Finanzierung der Frauenhäuser der örtlichen Daseinsvorsorge der Landkreise und Kommunen“, teilt das niedersächsische Sozialministerium auf taz-Nachfrage mit. Nach der Möglichkeit einer landesrechtlichen Regelung gefragt, heißt es: „Nur über eine bundesgesetzliche Regelung kann der gleichwertige Zugang zum Hilfesystem endlich bundesweit verbindlich geregelt werden.“ Niedersachsen will auf die bundesgesetzliche Regelung, also das Gewalthilfegesetz, warten und es bis dahin beim Flickenteppich belassen.
Thüringen zeigt gerade, dass es auch anders geht: Zum Jahreswechsel tritt dort ein Gesetz in Kraft, welches kostenfreien Schutz für Betroffene sicherstellen soll. Es bestehe einfach Handlungsbedarf, teilt das zuständige Sozialministerium auf Nachfrage mit: „Trotz des Kabinettsbeschlusses ist noch keineswegs gesichert, dass sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat dem Gewalthilfegesetz zustimmen werden.“
Das Handlungsbedarf besteht zeigen auch aktuelle Zahlen des Bundeskriminalamtes, die 2023 einen Anstieg von zur Anzeige gebrachter häuslicher Gewalt um 6,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr belegen. In Niedersachsen ist der Anstieg laut Zahlen der Landespolizei sogar noch höher.
Leiterin eines Frauenhauses in Hannover
„Ich mache den Job schon 33 Jahre, wir waren schonmal weiter. Wir erleben gerade einen heftigen Backlash“, sagt die Leiterin eines Frauenhauses in Hannover. Die Zahl der Betroffenen steige. Schutzräume und Beratungsstellen fehlten. Die Kosten für die Betroffenen seien eines von vielen dringenden Problemen, die einer schnellen Lösung durch die Verantwortlichen bedürfen, sagt sie.
„Das Land schläft den Schlaf der Gerechten. Bund, Land, Landkreis und Kommune schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu“, sagt Stefanie Jäkel vom niedersächsischen Sozialverband. „Ausbaden müssen das am Ende die Frauen und Frauenhausmitarbeiter*innen, die versuchen Lösungen zu finden, um jeder Frau helfen zu können.“
Niedersachsens Nachbarbundesländer gehen schon länger einen anderen Weg. In Bremen und Hamburg ist die einzelfallabhängige Finanzierung Geschichte. Aber auch ein Flächenland wie Schleswig- Holstein stellt mit dem Finanzierungsausgleichsgesetz bereits eine einzelfallunabhängige Kostenübernahme für den Platz im Frauenhaus sicher – seit 1996.
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist unter der Nummer 116 016 rund um die Uhr erreichbar.
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