Finanzierung über Netzspenden: Zusammenlegen fürs Liebhaberprojekt
Gute Idee, aber nicht genug Geld für die Umsetzung? Das Netz kann helfen: Auf kickstarter.com kann jeder seine Projekte von hunderten Spendern fördern lassen.
Am 17. August feierte "Kind of Blue", eines der bedeutendsten Jazz-Alben aller Zeiten, sein 50. Erscheinungsjubiläum. Wie wäre es da, dachte sich der Programmierer, Internet-Firmengründer und Web 2.0-Aktivist Andy Baio, wenn bekannte Retro-Computermusiker, die alten Rechnersystemen wie C64, Amiga oder NES die schönsten Töne entlocken, den Miles-Davis-Meilenstein neu einspielten? Und was würde das kosten? Also kalkulierte Baio die Sache kurz durch: Für insgesamt 2000 Dollar, errechnete er, ließen sich sowohl die notwendigen Rechte erwerben als auch die Künstler bezahlen und einige Hundert CDs des "Kind of Bloop" getauften Projektes pressen. Nur, wer sollte die Summe aufbringen?
In seiner Not wandte sich Baio an das Internet - jenen Ort, an dem angeblich die "Kostenlos-Kultur" regiert und Nutzer möglichst gar nichts für Inhalte bezahlen wollen, so jedenfalls die etwa bei Medienkonzernen vorherrschende Alltagsweisheit. Der Web 2.0-Aktivist stellte sein Projekt samt Beschreibung allerdings nicht auf irgendeinem Portal ein, sondern auf der kürzlich gegründeten Website "Kickstarter.com", einem so genannten "Crowd Funding"-Dienst. Dann informierte Baio auch noch kurz zum Thema in seinem viel gelesenen Blog und wartete ein wenig.
Kurze Zeit später hatte er die nötigen 2000 Dollar zusammengesammelt. Inzwischen sind sogar über 8000 Dollar zusammengekommen - das reicht für jede Menge CDs und für zusätzliche Rechte, die für die ebenfalls angebotenen Downloads erworben werden mussten. Und seit letzter Woche kann die Welt nun das Ergebnis hören: "Kind of Bloop" wird mit seinen insgesamt fünf Tracks für fünf Dollar angeboten und es ist wunderbar altmodischer Computer-Jazz geworden.
Baios Beispiel zeigt, dass Nutzer durchaus bereit sind, interessante Projekte von Künstlern, Musikern, Filmemachern oder Journalisten direkt zu bezahlen. Er ist nach seinen positiven Erfahrungen inzwischen selbst bei Kickstarter.com als Technikchef beschäftigt und hofft, dass sich Projekte wie "Kind of Bloop" häufig wiederholen.
Ein Blick auf das Portal gibt Hoffnung. Dort wird versucht, mit Hilfe der Internet-Massen genügend Mittel für interessante kulturelle Vorhaben einzuwerben. Wer mitmachen will, stellt einfach seine Projekt online vor, nennt den dafür notwendigen Betrag und den Zeitpunkt, bis zu dem die Finanzierung stehen muss. Dann müssen die Nutzer ran: Sie bewerten Projekte, stellen Nachfragen, können die Idee auch in ihr eigenes Blog einbinden und so Werbung machen.
Eingesammelt werden die Gelder schließlich über die Website - ganz simpel per Kreditkarte, wenn nötig in 1-Dollar-Schritten. Die Zahlungsversprechen werden zudem erst dann eingelöst, wenn die benötigte Gesamtsumme wirklich vorhanden ist. "Das motiviert die Menschen, wenn sie einem Projekt helfen wollen, dass es lebendig wird", so die Kickstarter.com-Macher.
Das, was bei den Projekten schließlich herauskommt, können die Autoren ganz nach Wunsch entweder nur den Finanziers zur Verfügung stellen (etwa ein herunterladbares Video), das Gesamtprojekt frei im Netz veröffentlichen oder eben auch an alle "Nichtspender" verkaufen - so wie im Fall der Platte "Kind of Bloop". Einige Kickstarter.com-Nutzer bieten zudem Spezialanreize für bestimmte Geldbeträge an, zum Beispiel ein persönliches Treffen mit dem Künstler oder exklusive Inhalte.
Zu den finanzierten Projekten gehören aktuell eine Plattenfirma, die mehr als 10.000 CDs vor der Vernichtung retten will, eine Dokumentation über den Mittleren Westen, eine Sammlung von iPhone-Icons, eine Fotoreise durch 50 US-Staaten, besonders schwere Kreuzworträtsel und die Reise einer Band zu einem Festival nach Schottland. Dass diese Idee auch auf dem journalistischen Sektor funktioniert, versucht derzeit der ehemalige Wired-Mitarbeiter David Cohn zu demonstrieren, der auf der Seite spot.us Geld für lokale Reportagen und Recherchen in der Region um San Francisco sammelt.
Das Prinzip kann natürlich nur dann funktionieren, wenn genügend Menschen über ein Projekt informiert sind. Dafür will die Kickstarter.com-Website sorgen, die alle aktuellen Infos enthält - je mehr Projekte dort auftauchen, umso gedrängter wird es allerdings auch. Hundert Prozent der Spenden kommen bei den Kreativen tatsächlich auch an - auch Amazon verzichtet auf Kreditkartengebühren. Derzeit ist der Dienst jedoch nur in den USA verfügbar.
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