Finanzierung der Fraunhofer-Gesellschaft: Zoff um eine Milliarde Euro
Die Fraunhofer-Gesellschaft soll rechtswidrig mit Staatsgeld umgegangen sein, beklagt der Bundesrechnungshof. Und das ist nicht seine einzige Kritik.
Jetzt hat sich die Prüf-Behörde die großen Geldströme der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) vorgenommen und wirft der FhG unter anderem die „rechtswidrige Praxis“ vor. Der Bericht, der der taz exklusiv vorliegt, erhebt auch massive Vorwürfe gegenüber der Aufsicht durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das 90 Prozent der Staatsgelder an Fraunhofer stellt. Die FhG antwortete der taz in Bezug auf die Vorwürfe des Bundesrechnungshofs: „Das können wir nicht kommentieren.“
Für den Bundesrechnungshof (BRH) gestaltete sich die „Prüfung von Instrumenten des organisationsinternen Wettbewerbs der Fraunhofer-Gesellschaft“, so der Titel der Untersuchung, im BMBF nicht ganz einfach. Dort waren die elektronischen Akten zur FhG „zum Teil leer und nicht vollständig“, teilweise wurde auch der „Zugang zum Laufwerk des Fachreferates“ verweigert. „Das BMBF hat damit die Prüfung des Bundesrechnungshofes erheblich behindert“, heißt es wörtlich.
Der BRH prüfte die Verwendung von Geldern, mit denen intern in der FhG ein Wettbewerb unter den 76 Instituten angereizt werden soll. Generell verfügt Fraunhofer pro Jahr über knapp drei Milliarden Euro an Einnahmen, die zu jeweils einem Drittel aus der Grundfinanzierung von Bund und Ländern, eingeworbenen Forschungsprojekten von öffentlichen Mittelgebern wie etwa der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie Forschungsaufträgen aus der Wirtschaft, der so genannten „Industrieforschung“, stammen.
Während die Mittel für die Grundfinanzierung über den „Pakt für Forschung und Innovation“ jährlich um drei Prozent anwachsen, schwanken die Industriemittel je nach Konjunkturlage. In der Corona-Pandemie etwa gingen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung der Wirtschaft teils massiv zurück, was auch einige der Fraunhofer-Institute unter Stress setzte.
Bei der Grundfinanzierung von Bund und Ländern sieht der BRH das Problem, dass für diesen Betrag im Zuwendungsbescheid des BMBF zwar eine Obergrenze festgelegt wird, allerdings unter Verzicht darauf, „den tatsächlichen Bedarf festzustellen“. Die Forscher bekommen ihre Staatsknete und jährlich drei Prozent mehr, müssen aber nicht verdeutlichen, wofür sie gebraucht wird. Eine Form von finanzieller Wissenschaftsfreiheit, die den BRH-Kontrolleuren erkennbar Akzeptanzprobleme bereitet.
Der Bundesrechnungshof erhebt schwere Vorwürfe
Der BRH bemängelt zudem die Gesamtbilanz von Fraunhofer: „Die vorgesehene Verknüpfung zwischen Zuwendungshöhe und den sonstigen Einnahmen der FhG stellte das BMBF nicht her“, schreiben die Prüfer. Im Gegenteil, die Finanzierung der FhG werde „im Bundeshaushalt intransparent und unvollständig dargestellt“. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hatte nach dem letzten Rechnungshof-Bericht zu den Fraunhofer-Spesen eine striktere Kontrolle durch das BMBF angemahnt. Dieser wird solche Sätze mit Aufmerksamkeit lesen.
Weiter heißt es, dass die FhG ihre jährlichen Zuwendungen aus dem BMBF immer in vollem Umfang abrief, auch um damit „externe Projekte vorzufinanzieren“. Dies sei im Prinzip zulässig, stellt der Rechnungshof fest – wenn dafür ein Bedarf bestehe. Nur sei das im Prüfzeitraum nicht der Fall gewesen.
Denn die Fraunhofer-Zentrale in München verfügte über „umfangreiche Rücklagen und Finanzreserven“ in Höhe von 250 Millionen Euro. Sie stammen aus Mitteln, die übers Jahr nicht ausgegeben werden konnten und dann ins Folgejahr verschoben wurden. „Das BMBF muss umgehend dafür sorgen, dass die FhG die rechtswidrige Praxis des nicht bedarfsgerechten Mittelabrufs einstellt“, fordern die BRH-Prüfer in aller Klarheit. Notfalls müsse das Ministerium seinen Zuwendungsbescheid widerrufen und eine Rückzahlung plus „Verzinsung des Erstattungsbetrages“ verlangen.
Kritisch beäugt wird vom BRH auch die „Zukunftsstiftung“ der Fraunhofer-Gesellschaft, die dem Vernehmen nach künftig von Ex-Präsident Neugebauer geführt werden soll. Die Stiftung, die „renditeversprechende Projekte“ der Fraunhofer-Institute finanziert, besitzt einen Kapitalstock von 73 Millionen Euro. Der taucht allerdings nicht in der FhG-Bilanz auf. Für den BRH ein nicht zu akzeptierender Schatten-Haushalt: „Die Fraunhofer-Zukunftsstiftung stellt eine weitere Finanzreserve dar, die verschleiert, über welche Finanzkraft die FhG im Gesamten verfügt und welcher Grundfinanzierung sie bedarf.“
Versäumnis im Ministerium
Außerdem sei die Bildung von finanziellen Reserven bei den Instituten, wenn die Auftragslage gut ist, in dieser Form nicht in Ordnung. Das BMBF habe es versäumt, Obergrenzen und Verwendungszweck für diese Rücklagen zu benennen. „Der Bundesrechnungshof bezweifelt ihren Nutzen und ihre Wirtschaftlichkeit für den Bund“, wird deutlich formuliert.
Weiter heißt es: „Die fehlende bilanzielle Ausweisung der Institutsreserven widerspricht einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung“. Dabei wird das BMBF mit Bettina Stark-Watzinger von einer Politikerin geleitet, die zuvor am Aufbau eines Finanz-Forschungsinstituts mitwirkte und im vorherigen Bundestag dem Haushaltsausschuss angehörte.
Vielleicht fließt diese Finanzkompetenz an der Spitze des BMBF in die Stellungnahme des Ministeriums zu den BRH-Kritikpunkten, die gerade erarbeitet wird. Einen finanziellen Dämpfer muss das BMBF ohnehin hinnehmen: In der anstehenden Etat-Runde 2024 ist eine finanzielle Einbuße in Höhe von 355 Millionen vom Finanzminister vorgesehen. Aber auch der neue Fraunhofer-Chef Holger Hanselka wird sich Gedanken machen müssen, wie die Geldflüsse seiner Forschungsorganisation transparenter und regelkonformer gestaltet werden sollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs