Finanzen: Mit Sarrazin geht es aufwärts
Der Finanzsenator tritt heute seinen Nebenjob als Chef der Finanzministerkonferenz an. Der so Geadelte will dort Einfluss auf die Föderalismusreform II nehmen.
Thilo Sarrazin wird sich künftig genauer überlegen müssen, was er sagt. Als die taz den Finanzsenator vor zwei Jahren fragte, ob er nicht an der Föderalismusreform mitarbeiten wolle, antwortete der SPDler mit Hang zum Sarkasmus: "Ach nein. Ich gestalte auch nicht mehr den Nahostkonflikt mit." Nun ist der 62-Jährige mitten drin. Sarrazin hat heute seinen ersten Arbeitstag als Vorsitzender der Finanzministerkonferenz (FMK). Auf Berlins oberstem Sanierer ruhen große Hoffnungen.
Zum ersten Mal seit 28 Jahren hat 2008 wieder ein Berliner diesen Job inne. Erst zum Jahresende wurde bekannt, dass die 16 Finanzminister der Länder Sarrazin bereits Anfang Dezember einstimmig gewählt haben. Selbst Landespolitiker zeigen sich überrascht, denn der Berliner gilt nicht gerade als Diplomat. Seit seinem Amtsantritt als Finanzsenator vor sechs Jahren hat Sarrazin das vermeintlich Unmögliche geschafft: Er hat mit Rückendeckung des Regierenden Bürgermeisters die Neuverschuldung der Hauptstadt durch eisernes Sparen gestoppt. Dabei ist der Ex-Vorstand der DB Netz AG und Intimfeind von Bahnchef Hartmut Mehdorn so ziemlich jedem Interessenvertreter in Berlin auf die Füße getreten.
Nun ist ausgerechnet der schroffe Einzelgänger Sarrazin zum Vorsitzenden eines Gremiums geworden, in dem es auf Fingerspitzengefühl und Vermittlungsgeschick ankommt. Die Konferenz koordiniert finanzpolitische Landesangelegenheiten von überregionaler Bedeutung zwischen den Ländern. 2008 hat sie besonders viel zu tun: Die Föderalismuskommission II hat die gewaltige Aufgabe, die Finanzströme zwischen Bund und Ländern neu zu ordnen, und die FMK arbeitet im Hintergrund mit. Vom Reformergebnis hängt insbesondere für Berlin viel ab.
Da ist zum Beispiel die Altschuldenfrage. Es gibt mehrere Vorschläge, wie sich die besonders hoch verschuldeten Bundesländer von ihrer drückenden Schuldenlast entlasten ließen. Von einer Einigung würde insbesondere das mit 60 Milliarden Euro verschuldete Berlin profitieren. Allein kann der Stadtstaat den gewaltigen Schuldenberg nicht abtragen.
Ob ausgerechnet Sarrazin für derlei heikle Aufgaben der richtige Mann ist? Noch vor einem halben Jahr platzte der Senator mit einem radikalen Vorschlag in die Vorverhandlungen: Die Länder sollten keine Steuern mehr einziehen dürfen, stattdessen sollten sie vom Bund Zuweisungen erhalten. Für die selbstbewussten Länderchefs bedeutet dies nichts Geringeres als das Ende des Föderalismus. Die Reaktionen waren entsprechend.
Selbst wohlmeinende politische Beobachter zweifeln, ob Sarrazin der richtige Mann für diesen heiklen Job ist. "Sarrazin fällt die Vermittlerrolle schwer", urteilt Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann. Der 47-Jährige sitzt als einziger Berliner neben Klaus Wowereit in der 39-köpfigen Föderalismuskommission. "Andererseits hat sich Sarrazin eine hohe Akzeptanz unter den Finanzministern erarbeitet", so Ratzmann. Die heikle Mission des Senators könne erfolgreich sein, wenn er bereit sei, sich in die Niederungen der Bürokratie zu begeben. So müsse die Ermittlung der Finanzdaten der Länder endlich einheitlich werden.
Hoffnung gibt es. Oberstufenschülern erzählte Sarrazin vor Weihnachten: "Mich bedauern ständig alle und sagen immer: 'Ihren Job möchte ich ja nicht machen!' Aber mir macht das Spaß, in Daten und Fakten rumzugraben und Nuggets auszubuddeln."
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