Finanzanlage in Zeiten der Bankenkrise: Wie geht's weiter, Herr Tenhagen?

Was tun, wenn die Talsohle der Finanzkrise durchschritten ist? Aktien kaufen? Eine Immobilie? Den Bankberater verklagen? Finanzexperte Tenhagen rät nur bei langem Atem zu Aktien.

Fast so günstig wie aktuelle Aktien: ein Frankfurter Shop mit nicht mehr gehandelten Papieren Bild: dpa

Herr Tenhagen, wie werde ich wieder glücklich mit meinem Geld? Ich verballere - wie die Banker - alles, habe meinen Spaß und bitte den Staat danach um Hilfe? Konsum statt Sparbuch - gute Idee?

Hermann-Josef Tenhagen: Das kann man machen, das Problem: Der Einzelne wird nie so viel Geld bekommen wie die Banker, sondern höchstens Hartz IV.

Wem das Minimum nicht reicht, der legt sein Geld also jetzt in Aktien an. Die Kurse steigen, nach den weltweiten Rettungsaktionen.

Wer das Geld für zehn Jahre über hat, der kann das machen. Auf kurzfristige Gewinne zu setzen ist schwierig. Denn der Aufstieg der Aktien ist im Augenblick eine Reaktion auf die Rettungspakete, aber es bleiben fundamentale wirtschaftliche Probleme. Deutschland ist zum Beispiel Exportweltmeister. Wenn die anderen Länder jetzt aber nicht mehr so viel importieren, weil ihnen die Wirtschaft auf Grundeis gegangen ist, dann fallen die Kurse wieder.

Aber es heißt, Kleinsparer verpassen oft den besten Zeitpunkt. Wann ist der denn?

Das wissen nicht mal die Profis. Und auch sie werden nicht ihr ganzes Geld am kommenden Wochenende in den Aktienmarkt stecken, sondern vielleicht 20 Prozent. Und in drei Monaten wieder 20 Prozent. Sie machen das immer Schritt für Schritt.

Kleinsparer lassen besser die Finger von Aktien?

Das nicht, aber: Kleinsparer, die mit Aktien Geld verdienen wollen, die sollten mischen und mindestens fünf Titel haben - von Firmen, deren Geschäftsmodell sie überzeugt. Und weil man für das Kaufen und Verkaufen Spesen zahlt, sollte man von jeder dieser Firmen mindestens für 1.500 bis 2.000 Euro Aktien kaufen.

Also muss man 10.000 Euro anlegen?

Genau, und dann kann man einen Titel durchaus zwanzig Jahre liegen lassen. Wem das trotzdem zu kompliziert ist, der kauft Aktienfonds. Das managt dann für ein bisschen Geld ein Anderer für mich. Allerdings sollte man sich überlegen, ob man sein ganzes Geld in Aktien steckt oder lieber einen Teil sicher anlegen will, etwa auf einem Tagesgeldkonto oder bei einer Tagesanleihe des Bundes für etwa vier Prozent. Da kommt das Geld auf keinen Fall weg.

Ach. Und was passiert, wenn der Staat pleite geht?

Dann haben wir erstmal ganz andere Problem: Die Polizisten auf der Straße, die Lehrer in den Schulen, die Soldaten, die mit dem Panzer durch die Welt fahren, können nicht mehr bezahlt werden.

Wie wahrscheinlich ist das?

Keine Bange: Die EU lässt niemanden pleite gehen.

Das sagen Sie so. Wem das aber doch zu unsicher ist, der kauft sich lieber Gold, Land, ein Haus, also feste Werte?

Es gibt zwei gute Gründe ein Haus zu kaufen, wenn ich dafür Geld übrig habe. Erstens: Ich will genau dort leben. Zweitens: Ich mache das als Geldanlage. Dann muss ich mir überlegen, ob auch jemand anderes dort leben wollen würde. Das heißt: Eine Eigentumswohnung in der Berliner Innenstadt ist klasse, ein Häuschen 20 Kilometer hinter dem brandenburgischen Eberswalde ist keine wertbeständige Anlage.

Wie viel Eigenkapital muss ich aufbringen?

Es gilt auch in diesen Krisenzeiten der Grundsatz: 20 Prozent Eigenkapital sind gut. Zudem muss man sicher die Raten aufbringen können - auch wenn mal das Auto und der Kühlschrank gleichzeitig kaputt gehen.

Aber wie wirkt sich die Krise auf einen Kredit aus, den ich für eine Wohnung bereits aufgenommen habe?

Weil der Kredit eine bestimmte Laufzeit hat, ändert sich gar nichts. Es sei denn, die Bank geht pleite, dann zahlt man seine Raten weiter. Allerdings meldet sich der Insolvenzverwalter: "Künftig zahlst Du die Raten an mich."

Die Sparkassen sind gerade hoch im Kurs, weil sie für Sicherheit stehen. Das geht aber oft zu Lasten der Rendite. Im Angebot: Eine Ausbildungsversicherung fürs Kind mit 2,25 Prozent. Was ist davon zu halten?

Da verdient tatsächlich zuallererst der, der die Versicherung verkauft. Diese Pakete gibt es aber schon seit langem. Und viele haben sie gekauft. Da kommen zwei Dinge zusammen: Ein Bank- und Versicherungssystem, dass seine Leute dafür bezahlt, den Kunden jeden Müll anzudrehen. Und Kunden, die sich zwar intensiv mit ihrem neuen MP3-Player oder Flachbildschirmfernseher beschäftigen, jedoch nicht mit der Frage, wo sie ihr Geld anlegen.

Die Verbraucher sind selbst schuld an ihrer Misere?

Nee, und die Leute, die das verkaufen, sind moralisch zwar keine Heiligen, aber sie werden von ihren Vorständen dazu angehalten, die Finanzprodukte unter die Leute zu bringen. Das sind die Vorstände, die sich dann rühmen, eine tolle Rendite eingefahren zu haben. Sie sind die Täter.

Ein konkretes Beispiel: Wer hat die schrottigen Lehmann-Zertifikate verkauft, wer hat sie gekauft - und wer hat daran verdient?

Verkauft haben diese die Citi-Bank, die Dresdner Bank, und die Sparkassen. Verdient haben daran die Citi-Bank, die Dresdner Bank und die Sparkassen. Verdient hat wahrscheinlich auch Lehmann. Und das Geld verloren haben die Anleger.

Wie kann man Anleger vor schlechten Bankberatern schützen?

Das einfachste wäre, wenn man bei den Finanzprodukten drauf schreibt, wer was verdient. Jeder muss wissen: Bankberater sind Bankverkäufer. Ihre Provisionen liegen bei einigen Prozent. Man muss sich mal vorstellen: In Deutschland sind für 120 Milliarden Euro Zertifikate verkauft worden. Oft mit der Aussage: "Da kann gar nix passieren".

Wieso dürfen die beraten, die davon profitieren?

Das ist in unserem Kapitalismus so üblich, das ist im H&M-Laden nicht anders.

Es gibt eine Finanzaufsicht, warum gibt es keine Berateraufsicht?

Die Finanzaufsicht hätte eigentlich die Prospekte von 400.000 Zertifikaten, die es hierzulande gibt, angeguckt haben sollen. Theoretisch müssen auch die Berater schon heute haften für falsche Beratung. Das Problem: Das muss man ihm nachweisen.

Was tue ich genau?

Wenn man bei der Bank war und sich ein Lehmann-Zertifikat aufschwatzen lassen hat, dann sammelt man erstmal seine Unterlagen, macht ein Gedächtnisprotokoll von den Beratungen. Dann geht man zur Verbraucherzentrale oder zum Anwalt. Das Blöde: Wenn die Summe klein ist, dann ist der Anwalt häufig teurer, als die spätere Wiedergutmachung. Und: Kaum einer hat Zeugen, wir nehmen allenfalls einen Ehepartner mit zur Bank, der als befangen gilt, aber selten einen Freund. Dabei geht man besser zu zweit zur Bank, wenn es um größere Geldsummen geht.

Warum haben die Verbraucherschützer nicht eingegriffen?

Die Verbraucherschützer haben immer vor Zertifikaten gewarnt. Vor anderthalb Jahren hätte sich allerdings niemand vorstellen können, dass Lehmann pleite geht. Der Grund für die Bedenken war ein anderer: Zertifikate sind so kompliziert, dass niemand durchsteigt. Selbst die Verkäufer nicht. Und genau deshalb hat sich auch niemand mit den Warnungen auseinander gesetzt.

Warum sind denn alle so überrascht, wenn es einen Crash gibt?

Dieser Crash ist der größte seit 1929. Es sind aber nicht mehr viele da, die die damalige Weltwirtschaftskrise erlebt haben. Alle haben geglaubt, dass unser System funktioniert. Wer kennt sie nicht diese Erzählungen aus den USA, von Freunden, die vor zwei Jahren ein Haus gekauft haben für 200.000 US-Dollar. Dann war es irgendwann schon 300.000 Dollar wert und später 500.000. Die Bank bot neue Kredite. Davon ließen sich noch ein Auto und die Collegeausbildung der Kinder finanzieren. Das hat niemand hinterfragt. Dann fiel plötzlich der Wert - und die Banker wollten das Geld zurückhaben.

Es lag nur an kapital falscher Wahrnehmung?

Nun, es gab auch die freundlichen Iren, die den Bankern alles möglich gemacht haben. In Irland mussten die weltweit agierenden Banker kaum Informationen über ihr Geschäftsgebaren liefern. Der scheidende Manager der Depfa-Bank, die die Hypo-Real-Estate ins Straucheln gebracht hat, bekam vor einem Jahr zum Beispiel noch einen goldenen Handschlag - mit 100 Millionen Euro.

Die Süddeutsche hat bereits gefordert, den Börsenticker im Fernsehen abzuschalten, damit der Hype ein Ende hat und der Realismus kommt.

Statt weniger Informationen zu liefern, sollte es mehr geben. Man muss etwa die Frage aufwerfen, wie jemand 25 Prozent Eigenkapitalrendite erwirtschaften will. Schließlich lernt man schon im ersten Studienjahr der Volkswirtschaft, dass in einem funktionierenden Markt die Rendite gegen Null tendieren sollte.

Bis zum Studium schaffen es aber nicht alle.

Jeder kann sich die Frage stellen: Womit wird das Geld verdient? Fünf Minuten Volkshochschule zur Wirtschaft immer vor den Nachrichten, das fände ich gut.

INTERVIEW: HANNA GERSMANN

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