Finalist*innen des Berlin Art Prize: Was sich ändert
Über die Stadt Berlin verstreut werden neun Finalist*innen des Berlin Art Prize vorgestellt: Sie thematisieren den Wandel in der Kunst und im Leben.
Veränderung ist nicht gleich Veränderung. Sie kann einerseits reine Zu- oder Abnahme sein, eine Mengenveränderung, die den Kern nicht betrifft. Andererseits kann Veränderung echte Transformation bedeuten – Verwandlung. Es klingt pathetisch, zugegebenermaßen etwas zugespitzt, aber es geht schließlich um Kunst. Und es geht um einen Preis, der sich die Veränderung, die zweiter Art, zum Maßstab genommen hat.
In neun Ausstellungen an neun Orten werden die Finalist*innen des Berlin Art Prize vorgestellt, der seit 2013 verliehen wird. Alicia Reuter entwickelte den Preis gemeinsam mit Sophie Jung, Zoë Claire Miller und Ulrich Wulff. „Bei Vernissagen und Events sah man immer dieselben Leute“, erinnert sich Reuter, „das wollten wir ändern. Wir wollten mehr Diversität.“
Deshalb entwickelten sie ein eigenes Konzept: Die Künstler*innen bewerben sich anonym – ohne Lebenslauf oder Angaben zu Geschlecht und Herkunft. Eine Jury wählt zunächst nur auf Basis der Kunst aus. Erst in einer zweiten Runde erfahren sie bei Werkstattbesuchen Genaueres über die Künstler*innen.
In Runde drei kann jetzt auch das Berliner Publikum die Finalist*innen kennenlernen. Bis zum 27. September 2019 sind ihre Werke in kleinen Project Spaces vom Wedding bis nach Neukölln zu sehen. Man kann sich selbst ein Bild von dem machen, was der Berlin Art Prize erreichen will: ein stadtweites Netzwerk, das divers ist – künstlerisch und personell.
Berlin Art Prize 2019: Alle Ausstellungen geöffnet Donnerstag bis Sonntag 12–18 Uhr. Bis 27. September 2019. Preisverleihung 14. September 2019. Mehr Infos: www.berlinartprize.com
Die Veränderung, die sich der Preis auf die Fahnen geschrieben hat, ist auch ein Thema für die beteiligten Künstler*innen. Der bei „gr_und“ ausgestellte Esteban Rivera Ariza befasst sich in seinen Filmen mit der Angst des Menschen vor dem Tod und seiner Obsession mit der Konservierung. Er fragt: Wieso fürchten wir Veränderung? In einem Raum zeigt er vier seiner Kurzfilme. Kopfhörer ermöglichen es, ganz in die Klangwelt und die Geschichten einzutauchen.
So entfaltet das Gebäude im Zentrum des Films „Die Versteinerten“ eine unheimliche Wirkung. Es steht in winterlich verlassener Umgebung, darin nur leere Wandregale. Eine Stimme doziert über Kryonik – den Versuch, Körper durch Kälte zu konservieren und in Hunderten von Jahren wiederzubeleben. Die einzige Angst der Menschen: alleine aufzuwachen.
Rivera Ariza lotet die Grenze zwischen Realität und Fiktion, zwischen Wunschdenken und angstvoller Ahnung aus. Fragt man ihn, ob das, was seine Filme zeigen und erzählen, stimmt, antwortet er: „Ja, das ist alles echt, oder nicht?“
Imitation des Lebendigen
„Why are we mad?“, fragt Wieland Schönfelder in seiner Ausstellung im „Ashley“ dazu passend. Seine puppengroßen Figuren sind metallisch glänzende Roboter – halb Cowboy, halb Pinocchio. Manche verstecken sich in Zimmerecken, andere hängen von Podesten mitten im Raum. Sie interagieren mit der Umgebung, verändern sie. In einem Film konstatiert eine Figur: „I was born through imitation, but now I have made progress through distortion.“
Auch die reale Veränderung der Stadt ist Thema. Larissa Fassler zeigt bei „SMAC“ „Forms of Brutality“, denen die Gegend um den Moritzplatz unterworfen war und ist. Ihre wandfüllenden Karten erzählen schichtweise Stadtgeschichte. Fassler hat Archivmaterial, aber auch Baupläne aktueller Investoren benutzt und so die Zerstörung durch den Zweiten Weltkrieg, die Wachtürme aus DDR-Zeiten und neue Großprojekte zueinander in Bezug gesetzt. AirBnB-Preise werden in den typischen roten Sprechblasen angezeigt, Werbesprüche neben DDR-Propaganda. Auch Protestslogans wie „Oranienplatz bleibt!“ sind zu lesen. Daneben handschriftlich vermerkt: Alltagsbeobachtungen, die die Vielfalt des Viertels zeigen.
Eine ständige Aushandlung
Ada Van Hoorebekes Installation „Goods & Services“ bei „Kinderhook & Caracas“ setzt auf die Veränderung von Stoffen in der Produktion: vom Faden über den Stoff bis zum gebatikten Unikat. Mit Mustern bedruckte Papiere pflastern die Wände und den Boden, blau und gelb gebatikte Stoffstreifen, rote und weiße Fäden durchziehen den Raum.
Auf einem Steg werden Besucher*innen durch die Installation geführt wie durch eine Werkstatt. Bei genauerem Hinsehen kann man zwischen Stoff und Papier auch Autoteile entdecken. Fließbandarbeit und traditionelle Produktion – ist das eine wirklich nur reine Anhäufung, ein Zusammensetzen von Teilen und das andere qualitative Veränderung?
Bei allen Ausstellungen bleibt Veränderung eine unbeantwortete Frage, eine andauernde Aushandlung. So wie der Berlin Art Prize eine ständige Reevaluierung der Kunstszene sein möchte und immer wieder neue Verknüpfungen finden will. Wie das gelingen kann? „Kunst muss in der Stadt ein Raum bleiben, in dem man sich ausprobieren kann“, erklärt Reuter.
Alle Ausstellungen: Donnerstag bis Sonntag 12–18 Uhr. Bis 27. September 2019. Preisverleihung 14. September 2019. Mehr Infos: www.berlinartprize.com
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