Filmkomödie „Casting“: Die Figuren sind so präzise wie selten
Es beginnt wie ein Dogma-Film: Nicolas Wackerbarths „Casting“ weitet seine Filmbetriebssatire zur vielschichtigen Gesellschaftsparabel.
Casting ist mehr als ein Modewort, es ist zum Grundmodell alltäglicher Entscheidungsfindung geworden. „Gecastet“ werden nicht nur künftige Mitbewohner, fast jede Art von Bewerbung wird mittlerweile als Rollenspiel aufgefasst. Nicolas Wackerbarths „Casting“ holt den Zuschauer in der unglamourösen Gewöhnlichkeit dieser Situation ab – und führt sie einerseits zurück zu ihrem Ursprung am Filmset, baut sie andererseits aber aus zu einer wunderbar präzisen Parabel über heutige Macht- und Geschlechterverhältnisse.
Es beginnt wie eine Art Dogmafilm, Handkamera und abrupte Schwenks inklusive: Da wird Schauspielerin Almut (Ursina Lardi) von Assistentin Ruth (Milena Dreißig) für einen „Recall“ eingewiesen. „Du siehst gut aus!“, sagt Ruth zur Begrüßung, „wir gehen jetzt nur noch schnell in die Maske.“ „Wieso jetzt Maske?“, erwidert Almut und bleibt in der Tür stehen, „du hast doch gesagt, ich seh gut aus!“ Die Maskenbildnerin (Nicole Marischka) kommt ins Bild und meint, dass Vera, die Regisseurin, das so wolle.
Almut ist genervt. Die Kamera schwenkt über Gesichter der Anwesenden, die alle mehr oder weniger versuchen, die aufkommenden Spannungen zu überspielen. Eigentlich ist nichts passiert, und trotzdem hat Wackerbarth die Welt, in der sein Drama spielt, in faszinierender Klarheit etabliert. Da gibt es die Regisseurin Vera und ihre offenbar schwankenden Vorstellungen. Assistentin Ruth scheint eine geübte Vollstreckerin zu sein, die hemmungslos private Freundlichkeit für berufliche Manipulationen einsetzt, während die Maskenbildnerin besorgt die Stimmungswechsel verfolgt.
Die prekärste Rolle nimmt die Schauspielerin ein: Vordergründig dreht sich alles um sie, während es gleichzeitig doch um ihre Ersetzbarkeit geht. Weshalb im Lauf des Films Ursina Lardi von Marie-Lou Sellem, Corinna Kirchhoff, Andrea Sawatzki und schließlich Victoria Trauttmansdorff abgelöst wird, die alle in grandioser Unterschiedlichkeit weibliche Schauspieldiven verkörpern.
„Casting“. Regie: Nicolas Wackerbarth. Mit Judith Engel, Andreas Lust u. a. Deutschland 2016, 91 Min.
Nicht die naheliegenden Klischees
Zwischendurch erfährt man, dass hier eine Fernsehneuverfilmung von Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ realisiert werden soll. Die Rolle der Karin, Petras Schmerzverursacherin, übernimmt hier ein Karl, für den schon eine Besetzung gefunden ist.
Es ist bezeichnend für Wackerbarths Methode, dass er diesen Aspekt quasi beiläufig einführt. Eine bloße Parodie auf den deutschen Film- und Fernsehbetrieb hätte vielleicht damit aufgemacht: Fassbinder, und wie er heute im durchsubventionierten Anstalts-TV als Aushängeschild dafür dient, Kunst zu machen, während man ihn gleichzeitig mittels „Heterosexualisierung“ zurück in die Norm holt. Wackerbarth dagegen setzt den Fassbinder-Stoff subtil und damit respektvoll ein. Man muss, um „Casting“ zu verstehen, keine Fassbinder-Filme parat haben, aber der Film erinnert mit Nachdruck daran, welche reichen Resonanzräume sie bieten.
Das Drama, das Wackerbarth in „Casting“ unterdessen entfaltet, ist völlig unabhängig vom Stoff der „Bitteren Tränen …“ und gehorcht auch nicht den üblichen Klischees von Satiren übers Filmemachen. Weder ist Regisseurin Vera (Judith Engel) die hehre Künstlerin, die ihr Projekt vor den Kommerzinteressen ihres tumben Produzenten Manfred (Stephan Grossmann) retten muss, noch ist sie die Zicke, die ihrem dienenden Stab mit Launen auf die Nerven geht. Vielmehr ist sie beides, aber nie für lange Zeit, denn in „Casting“ sind die Dinge ständig im Fluss.
Kommentare zur Sexualität
Während sich die Schauspielerinnen abwechseln, von Vera und ihren Leuten mit interessanten Abstufungen in Ehrfurcht und Unterwürfigkeit begrüßt, spielt sich Anspielpartner Gerwin (Andreas Lust) mehr und mehr in den Vordergrund. Zuerst nur dafür engagiert, im Castingprozess den Petras gegenüber als Karl zu lesen, buhlt er bald selbst um den Part.
Doch in den schwankenden Machtverhältnissen der Drehvorbereitungen nimmt sein Schicksal kuriose Wendungen. Gerade als er glaubt, die nötige Aufmerksamkeit erregt zu haben, findet er sich umgeben von Frauen, die ihn mit Kommentaren zu seinem Körper und seiner Sexualität traktieren. Im Kontext der Setgeschichten, die im Zuge des Weinstein-Skandals die Runde machen, erscheint das fast als erfrischende Umkehrung der üblichen Konstellation – aber auch als hellsichtige Analyse des impliziten Sexismus des Filmemachens, bei dem Menschen in Augenschmaus verwandelt werden.
Obwohl Wackerbarth die leicht zu machenden Witze über eitle Schauspieler und besessene Regisseure vermeidet, ist ihm ein überraschend unterhaltsamer Film gelungen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Figuren so präzise wie selten in einem deutschen Drehbuch (verfasst zusammen mit Hannes Held) den schwammigen, stammelnden Nettigkeitston der aktuellen Umgangssprache treffen, in dem sich hinter einem harmlosen „Ist das okay für dich?“ weitreichende Übergriffe verstecken können.
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