Filmische Kritik an Klickjournalismus: Die fantastische Welt der Medien
Der Regisseur Bruno Dumont erzählt aus dem Leben einer selbstsüchtigen Moderatorin. Die ist mehr auf Sensationen als auf Seriösität aus.
France de Meurs (Léa Seydoux) ist das, was man eine Starjournalistin nennt. Eine Allrounderin ist sie noch dazu: Als Moderatorin ihrer eigenen Polit-Talkshow debattiert sie mit ihren Gästen über die Themen, die Frankreich unter den Nägeln brennen. Als Reporterin reist sie persönlich in die Krisengebiete der Welt, beweist vollen Einsatz beim Dreh von Reportagen in Gefechtszonen. Bei Presseterminen im Élysée-Palast fordert sie den französischen Präsidenten höchstselbst mit ihren unbequemen Fragen heraus.
Das zumindest ist das Bild, das sich die Öffentlichkeit von France de Meurs gemacht hat. Und die liebt sie dafür. Wie ein Popstar wird sie von der Bevölkerung verehrt, muss ständig Autogramme geben und für Selfies bereitstehen. Sie produziert nicht nur Nachrichten, sondern ist selbst regelmäßig Gegenstand der (Klatsch-)Presse.
Etwas Vergleichbares zu dem, was der Regisseur Bruno Dumont („Jeanne d’Arc“) in „France“ parodiert, gibt es in Deutschland zwar nicht, ein ähnlicher öffentlicher Rummel um Sandra Maischberger oder Maybrit Illner ist kaum vorstellbar.
Der Treffsicherheit der Kritik der Tragikomödie und ihrer Relevanz tut das aber keinen Abbruch. Denn die bedenklichen Entwicklungen, die Dumont anprangert, sind in der Medienlandschaft sehr wohl zu beobachten. In der titelgebenden Protagonistin werden sie mit großer Freude an der Übertreibung personifiziert.
„France“. Regie: Bruno Dumont. Mit Léa Seydoux, Blanche Gardin u. a. Frankreich/Italien/Deutschland/Belgien 2021, 134 Min.
Gastauftritt Macron
Worauf es France bei ihrer Arbeit eigentlich ankommt, wird gleich zu Beginn klargestellt, auf besagter Pressekonferenz mit Emmanuel Macron. Die Aufnahmen des französischen Präsidenten sind echt, Journalistin und Assistentin (Blanche Gardin) in Gegenschnitten allerdings nachträglich in die Szenerie eingefügt.
France’ Frage danach, ob Macron lediglich taub oder doch vor allem machtlos gegenüber den rebellischen Zuständen im eigenen Land sei, bringt das Staatsoberhaupt ins Schlingern. Für einen rein rhetorischen Einwurf, eine kalkulierte Provokation, über die man hoffentlich wie eine Sensation berichten wird, anstatt für eine Frage, die eine echte inhaltliche Antwort erfordert, hat sich France mithin entschieden.
Folgerichtig interessiert die Replik auch gar nicht: Anstatt zuzuhören, feiert sich das duo infernal über den Saal hinweg mit obszönen Gesten. In Momenten wie diesen zeigt Dumonts Film Anwandlungen einer Screwball-Komödie.
Weil die Gags vor dem Hintergrund der auf Seriosität bedachten Politwelt so absurd wirken, funktionieren sie so gut. Der Humor des Films verwässert jedoch niemals die bissige Haltung des Films, sondern trägt sogar zu ihrer Schärfe bei.
Kritik an klickorientiertem Journalismus
Und die richtet sich vor allem gegen eine nicht ungefährliche journalistische Tendenz, verstärkt quoten- beziehungsweise klickorientiert zu berichten. Gegen eine auf Sensation statt auf Aufklärung fokussierte Berichterstattung, die mitunter absichtlich verkürzt oder zuspitzt, um möglichst heftige Reaktionen zu erzielen. Gegen eine Berichterstattung, die sich auf Köpfe statt Inhalte fokussiert. Und ein Publikum, das sich genau für diese Art der Berichterstattung begeistern lässt.
Die erste Hälfte seines Films nutzt Dumont, um eine facettenreiche Karikatur einer solchen pervertierten Form des Journalismus zu zeichnen. Mal steigt France mit Geflüchteten in ein Schlauchboot. Angeblich, um aus nächster Nähe von den Risiken der Mittelmeerüberfahrt berichten zu können. Dass Journalistin und Team auf ein Luxusboot umgestiegen sind, sobald das Material gedreht wurde, bekommt – zumindest zunächst – niemand mit.
In der Sahelzone wiederum spricht sie in umkämpftem Gebiet mit lokalen Anführern der Tuareg und degradiert die Kämpfer dabei zu Statisten, indem sie sie dazu animiert, ihre Maschinengewehre zu schwenken oder grimmig in die Kamera zu blicken.
Mit den Mitteln der Satire führt Dumont vor Augen, wie leicht sich Bilder manipulieren und durch sie vermeintliche Wahrheiten schaffen lassen, wie politische Überzeugungen geprägt und Machtverhältnisse beeinflusst werden können.
Keiner Verantwortung bewusst
France selbst ist sich ihrer eigenen Verantwortung bis zu einem Verkehrsunfall allerdings nicht gewahr. Als sie den jungen Migranten Baptiste (Jawad Zemmar) mit dem Auto touchiert, scheint ihr überhaupt erst bewusst zu werden, dass ihr Handeln Konsequenzen hat.
Bald darauf kehrt sie nicht nur ihrem Beruf, sondern auch ihrer Zweckehe mit einem egomanischen Schriftsteller (Benjamin Biolay) und ihrem unausstehlichen Sohn (Gaëtan Amiel) den Rücken. Versucht sich an ehrenamtlicher Arbeit, versucht in einem Sanatorium zu sich selbst zu finden.
Doch je mehr sich „France“ in den privaten Angelegenheiten seiner Protagonistin verwickelt, desto behäbiger wird der Film. Die fehlende Tiefe seiner Protagonistin mag ein weiteres Statement Dumonts über die pragmatische Abgeklärtheit des Medienbetriebs sein, Interesse an ihrem Schicksal weckt ihre Austauschbarkeit nicht. Einzig Léa Seydouxs nuanciertes Spiel, das mehr Hintergründigkeit vermuten lässt, als ihr das Drehbuch zugestehen will, bindet weiterhin an France.
Als sich in der zweiten Hälfte plötzlich ein tragisches Ereignis an das nächste zu reihen beginnt, wirkt es, als würde der Film gar eine zweite Parodie, diesmal auf das Melodram, anstrengen. Damit wiederholt sich Dumont, der als Filmemacher eigentlich für seine ständige Neuerfindung bekannt ist, ausgerechnet in diesem Punkt: Statt das sorgsam aufgebaute Szenario zu einem pointierten Ende zu führen, verliert er seinen Fokus.
Dennoch: Eine heutigere, lustvollere und treffendere Abrechnung mit einer sich ausbreitenden Variante von Journalismus, die sich zuerst als Spektakel versteht, gibt es nicht.
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