Filminstallation „Einen Frieden später“: Diese Liebe gab es nie

Elmar Hess erzählt in seiner Filminstallation „Einen Frieden später“ in Kiel von unserer Sehnsucht nach eindeutiger Liebe in Zeiten anhaltender Uneindeutigkeit.

Ein junges Paar an einem Tisch blickt sich in die Augen.

Hätte stimmen können: Die Geschichte von Hannah und Harald Foto: Elmar Hess, Einen Frieden später 2016 © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Harald Thomas und Hannah Ewers lernen sich zufällig kennen, so gehört sich das für die Liebe. Sie, beschäftigt bei der Hamburger Hafenbehörde, hat an diesem Tag irgendwann Anfang der 1960er-Jahre keine Lust am Schreibtisch zu sitzen. Also kommt sie mit auf Inspektion, es geht an Bord der „Frieden“, ein Frachtschiff der DDR-Handelsmarine, das regelmäßig nach Südostasien fährt, um dort Schwergut zu laden: 1957 in Dienst gestellt, 10.000 Tonnen schwer, Heimathafen ist Rostock, 152 Kilometer Luftlinie von Hamburg entfernt. Zur Mannschaft der „Frieden“ gehört der Seemann Harald aus Rostock, der später sagen wird: „Diesen Dienstag werde ich nie vergessen.“

Die beiden sehen sich, sie schauen sich an. Und dann passiert es: Sie sprechen miteinander, möchten nicht aufhören mit dem anderen zu reden, den sie zuvor noch nie gesehen haben, sie verabreden sich für den Abend, dann schlendern sie durch St. Pauli.

Über Jahre werden sie sich treffen, heimlich. Immer dann, wenn die „Frieden“ in Hamburg, im für die DDR nichtsozialistischen Ausland Station macht. Zwischendurch schreiben sie sich Briefe, handschriftlich: „Bitte schreibe mir, schreibe mir irgendeine Nachricht“, schreibt sie. „Noch 28 Tage, Hannah, dann bin ich in Hamburg, dann werden wir glücklich sein und voller Leben“, schreibt er.

So geht das, bis eines Tages Harald sich inmitten seiner Kollegen zu der Bemerkung hinreißen lässt, wenn sie das nächste Mal Hamburg anlaufen, wird er dort aussteigen, um diesmal zu bleiben und zwar für immer.

Die Staatssicherheit, die längst von ihnen weiß, unterbreitet ihm ein Angebot: Sie würde ihn laufen, ja gewähren lassen, wenn er im Gegenzug seine Geliebte aushorcht, ausspioniert und die so gewonnenen Erkenntnisse mitbringt und mit ihnen teilt. Er lehnt entrüstet ab, eine lange Haftstrafe folgt und es ist vorbei mit der Seefahrerei. Erst 1995, Harald hat seine Unterlagen in der Gauckbehörde eingesehen und einen Hinweis gefunden, macht er sich auf die Suche nach Hannah, die er schließlich in Tübingen finden wird.

Glückliche Tage

Das ist die Geschichte, die uns Elmar Hess in seiner umfassenden, begehbaren Filminstallation „Einen Frieden später“ nahebringt, zu sehen in der Stadtgalerie in Kiel. Hess verknüpft dabei diese Ost-West-Liebesgeschichte mit den großen Umbrüchen des vergangenen Jahrhunderts. Auf großen Filmleinwänden flackern Schnipsel aus Wochenschauen, Nachrichtensendungen und Dokumentationen: Goebbels brüllt, Ulbricht sächselt, Arbeiterchöre schmettern Arbeiterlieder, Soldaten marschieren auf und rennen bald in den Tod.

Man sieht die brennende Reichshauptstadt Berlin, man sieht wie die Mauer gezogen wird und wie Menschen auf diese klettern, auf diese einhämmern. Man sieht all die Bilder, die unser kollektives Bildgedächtnis ausmachen und weiß sofort, was gemeint ist. So wie man sich ausmalen kann, wie das sein muss, wenn man als Paar ein paar Tage glücklich verbracht hat und nun soll das für Wochen und Monate wieder vorbei sein.

„Elmar Hess: Einen Frieden später“: bis 27. Mai, Stadtgalerie Kiel

Denn immer wieder kehrt Hess zu seinem deutsch-deutschen Liebespaar zurück, lässt uns an ihrem privaten Leben wie Glück und Unglück teilhaben. Der Besucher steht dann vor Vitrinen, in denen er Dokumente aus ihren beiden deutschen Leben versammelt hat: das blaue Hemd, das Harald trug, als er ein junger Pionier war, und die Urkunde zur Jugendweihe; die Autogrammkarte von Elvis Presley, die Hannah sicherlich sorgsam verwahrte und die Hülle eines Beatles-Albums.

Wir blicken auf die unscharfen, leicht verwackelten Fotos, die aber auch so genug Aussagekraft zu haben scheinen: Da küssen sich zwei und werden dabei beobachtet. Wir schauen auf das aufgeschlagene Telefonbuch von 1995, gespickt mit hastigen Notizen, um Harald durch das nun wiedervereinte Deutschland zu führen, als er sich auf die Suche nach Hannah macht.

Nur gibt es zwischendurch Momente, wo man aus dem Tritt kommt. Wo man beim Schauen und beim Verfolgen der Geschichte irritiert ist. Die schönen, großen Schwarzweiß-Abzüge, die die beiden in den wertvollen und glücklichen Momenten ihres Lebens zeigen und die sehr exponiert an den Wänden hängen, wirken doch so, als hätte man die beiden hineinkopiert.

Immer wieder Unstimmigkeiten

Und folgt man den Tondokumenten, in denen vorzugsweise Harald als berichtender Erzähler spricht, merkt man hier und dort, dass die Chronologie der Ereignisse so nicht stimmen kann; jedenfalls nicht so, wie sie uns erzählt wird.

Und die Hamburger Hafenbehörde, die Harald immer wieder benennt, die hieß doch nicht schon in den 1960er-Jahren 'Port Authority’, das ist doch ein Wort aus weit jüngeren Jahren! Und dann ist da dieses Foto, ein Schnappschuss, eine abendliche Ansicht des Hamburger Hafens, ein Dokument ihres Schmerzes, sie bleibt, er fährt, dabei wollen sie beide, dass sie zusammen bleiben – und im Hintergrund sieht man die Elbphilharmonie.

Harald und Hannah hat es nie gegeben. Hess hat vielmehr Schauspieler engagiert, die in die Rollen geschlüpft sind, die sich Hess während eines Residenzstipendiums in Rostock ausgedacht hat. Alles, die Geburtsurkunden der beiden, ihre Briefe, die abgestempelten Protokolle der Stasi, die Gerichtsakten, die je ihr Dasein bezeugen, Hess hat diese Dokumente, die tatsächlich Exponate sind, in seinem Atelier fein säuberlich und eben täuschend echt produziert.

Mit dieser Information, die man spätestens in der kleinen Ausstellungsbroschüre nachlesen kann, stürzt nun alles zusammen und auch nicht.

Eine Enttäuschung?

Denn man kann es sich jetzt schnell einfach machen und Hess’Projekt kalten Herzens als eine Arbeit über die Fragwürdigkeit nacherzählter Geschichten einordnen und gedanklich abheften; als Beleg, wie schnell es einem Künstler mit einem Mix aus einer emotional gut ausgesteuerten Liebesgeschichte und perfekt eingesetzten Medien gelingt, uns grundlegend zu täuschen und auch zu enttäuschen. Die Aufdeckung dieses Vorgehens inklusive.

Aber so einfach will uns der Künstler nicht davonkommen lassen. Denn mag seine Ausstellungsarbeit ein Plädoyer für das Misstrauen gegenüber allem medial gestützten Erzählens und Berichtens sein, das so schwer auszuhalten ist, eine fundierte Analyse zum Nacherleben, wie bereitwillig wir einer vornehmlich privaten Geschichte Glauben schenken und daraus unsere Gedankenschlüsse über Geschichte als Historie ziehen – so löst sich davon unbeeindruckt die Geschichte von Harald und Hannah nicht spurlos auf.

Denn quasi trotz allem Wissens, das ernüchtern und aufklären soll, schiebt sich nun immer mehr Nicht-Erzähltes ins Zentrum der zugleich so bilder- und filmgewaltigen Ausstellung: Was hat Hannah gemacht und gedacht, als Harald nicht wieder auftauchte? Was geschah mit Harald, als seine Haftzeit endete? Wie war das, als die beiden in Tübingen wieder aufeinandertrafen?

Und nicht zuletzt: Wie gelingt es Hess eigentlich, dass wir Harald und Hannah so unbeeindruckt treu bleiben? Weil es gewiss eine solche Liebesgeschichte gegeben hat und gegeben haben muss – an anderen Orten und mit anderen Personen. Plus einem Gegenüber als großem Gegenspieler, der vieles, manchmal alles verhindert und dessen Tage zugleich von Anfang an gezählt sind.

So bleibt: Trotz allem Schmerzes und aller Enttäuschung – man wünscht es Harald und Hannah, dass sie sich kennengelernt hätten.

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