Filmfestspiele von Venedig: Pinochet als Vampir
Lidokino 3: Bei den Filmfestspielen von Venedig geht es bei Pablo Larraíns „El Conde“ ans Ende der Welt. Es zeichnet den Werdegang des chilenischen Diktators Pinochet.
C hile ist ein Land, das von einem Geist heimgesucht wird: Augusto Pinochet. Vor 50 Jahren begann die Diktatur des Generals, der eine Schreckensherrschaft mit Morden und Folter ausübte. Da er zwar angeklagt, aus gesundheitlichen Gründen aber nicht vor Gericht erscheinen musste, kam es nie zu einer Verurteilung.
Dieses Erbe hat sich der chilenische Regisseur Pablo Larraín für seinen jüngsten Spielfilm „El conde“ vorgenommen, der bei den Filmfestspielen von Venedig im Wettbewerb läuft.
Pinochet lebt darin abgeschieden auf einer entlegenen Ranch, buchstäblich am Ende der Welt, genau genommen lebt er gar nicht richtig, er führt vielmehr ein Untotendasein als Vampir. Quer durch die Geschichte zieht sich seine Blutspur, beginnend im absolutistischen Frankreich Ludwigs XVI. Später zieht es ihn nach Südamerika, wo seine Wahl auf Chile fällt.
Den Werdegang Pinochets, als gebrechlicher Mann von Jaime Vadell gespielt, schildert eine Frauenstimme auf Englisch aus dem Off. Ansonsten sprechen die Figuren des Films in der Regel Spanisch, gegen Ende gibt es eine Auflösung, wer hinter der englischen Stimme steckt.
Satire in Schwarz-Weiß
Das Ganze präsentiert sich als Satire in Schwarz-Weiß, wobei man die Farbe eher als Grau in Grau charakterisieren müsste. Da es einigermaßen blutig in dem Film zugeht, erspart einem dies allzu explizite Darstellungen davon, wie dieser „Graf“ auf Jagd geht, um seinen Durst zu stillen.
Die Kinder Pinochets wollen dem Treiben ein Ende setzen, da ihr Vater ohnehin den Wunsch zu sterben geäußert hat. Eine Tochter lässt daher eine Nonne kommen, die, als Buchhalterin getarnt, einen Exorzismus an Pinochet ausüben soll. Diese Carmen (Paula Luchsinger) verhält sich bei ihren Untersuchungen jedoch immer unberechenbarer. Nicht ohne zuvor ein Inventar der kriminellen Aktivitäten Pinochets und der Verstrickungen seiner Familie zu erstellen.
Schrecken soll bei Larraín mit Schrecken ausgetrieben werden, ergänzt um eine Komik, deren Bitterkeit weniger wütend als zynisch wirkt. Die Abrechnung mit Pinochet gerät darüber etwas zahnlos.
Ehrenlöwe fürs Lebenswerk
Ebenfalls mit Witz und nicht weniger ernst im Anliegen geht die italienische Regisseurin Liliana Cavani in ihrem außer Konkurrenz gezeigten neuen Spielfilm „L’ordine del tempo“ (Die Ordnung der Zeit) vor. Die 90-jährige Cavani erhielt zur Eröffnung zudem einen Ehrenlöwen für ihr Lebenswerk, als erste Frau in der Geschichte des Festivals.
Die Laudatio auf Cavani hielt die britische Schauspielerin Charlotte Rampling, sie spielte in Cavanis „Der Nachtportier“ von 1974 eine KZ-Überlebende, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihrem früheren Peiniger und Geliebten wiederbegegnet. Die Handlung sorgte seinerzeit für einen Skandal, bis heute verstört Cavanis furchtloser Film – im positiven Sinn.
„L’ordine del tempo“ gibt sich weniger skandalträchtig. Vielmehr stellt Cavani darin, inspiriert vom gleichnamigen Sachbuch des Physikers Carlo Rovelli, eine Meditation über die Zeit an und wie sie von einzelnen Personen unterschiedlich wahrgenommen wird: Eine Gruppe von Freunden trifft sich in einem Haus am Meer zu einer Geburtstagsfeier. Als promovierte Altphilologin lässt Cavani eine ihrer Figuren zunächst über die Zeitbegriffe bei Euripides sprechen, danach geht es bald an die eigentliche Frage.
Enrico, ein Physiker, hat von einem Asteroiden erfahren, der sich mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Erde bewegt und mit hoher Wahrscheinlichkeit mit ihr kollidieren wird. Die Nachricht, die Enrico vor seinen Freunden anfangs noch verbirgt, löst verschiedenste Reaktionen aus, von Verdrängung bis zu folgenreichen Aussprachen unter den anwesenden Paaren. Der Sache wegen ist es ein Film, in dem viel geredet wird. Und die Fragen, die er verhandelt, bedürfen einiger Worte. Doch Komik gestattet Cavani genug.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken