Filmfestspiele von Cannes: Schlaflos in Busan
Cannes 9: Mord und Liebe in Korea, tragische Migration in Belgien, inszeniert von den Gebrüdern Dardenne. Endspurt beim Filmfestival in Cannes.
An der Croisette geht es zwar noch lebhaft zu, doch das nahe Ende der Filmfestspiele von Cannes macht sich allmählich bemerkbar. Im Palais herrscht merklich weniger Betrieb, unter den Besuchern grassiert eine Müdigkeit und der Wettbewerb ist nun zu gut zwei Dritteln vorüber. Große Favoriten sind bisher allerdings noch sehr Geschmackssache, wie es scheint.
Ein unter Kritiker:Innen besonders beliebter Beitrag ist „Decision to Leave“ des koreanischen Regisseurs Park Chan-wook. Die Geschichte eines Kriminalfalls in der Nähe von Busan, in dem der Kommissar sich in die Hauptverdächtige, die Witwe des Mordopfers, verliebt, verspricht auf den ersten Blick einen klassischen Film noir.
Da sind die rätselhafte Frau und der von Schlaflosigkeit geplagte Ermittler, der sich besinnungslos und ohne Rücksicht auf sein eigenes Privatleben in sie zu verlieben beginnt, und da ist die Erwartung, dass es für den Mann am Ende böse ausgehen wird: Womöglich hat die Verdächtige etwas zu verbergen, das dem Kommissar irgendwann zum Verhängnis wird.
Doch Park Chan-wook hat eine andere Erzählung im Sinn. Er konzentriert sich neben hochkomischen Darstellungen der Polizeiarbeit, abgezirkelten Interieurs und beeindruckenden Aufnahmen von steil aufragenden Felsen – das Opfer ist beim Bergsteigen abgestürzt – auf die scheinbar unmotivierte Beziehung des ungleichen Paars.
Dass man nicht recht herausbekommt, was die beiden aneinander finden, ist eines der Hindernisse, wenn man der Sache folgen will. Man hat zwischendurch den Eindruck, man sieht einer Romanze zu, die sich nicht ganz entscheiden kann, weil sie sich eigentlich dem Thrillergenre verpflichtet fühlt. So gleitet man beim Zuschauen stets ein wenig an der Sache ab, verliert den Faden. Ein Film, der es einem nicht leicht macht, mithin.
Einfacher hat man es hingegen bei den belgischen Filmemachern, den Brüdern Jean-Pierre und Luc Dardenne. Ihr Wettbewerbsfilm „Tori et Lokita“ folgt dem Schicksal eines Geschwisterpaars, das aus einem nicht näher benannten afrikanischen Staat nach Belgien geflohen ist. Tori (Pablo Schils), der kleine Bruder, hat eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, die ältere Lokita (Joely Mbundu) jedoch nicht. Ihr droht die Abschiebung. Um ihren Bruder nicht allein zurückzulassen, lässt sie sich darauf ein, für einen Drogenhändler in dessen am Stadtrand versteckter Cannabisproduktion zu arbeiten. Sie hofft so auf einen gefälschten Pass als Lohn.
Die Handlung ist, sonst wären es nicht die Brüder Dardenne, darauf angelegt, dass der Plan nicht aufgehen kann. Dass man sich trotz aller Erwartbarkeit auf das moralische Drama einlässt, ist vor allem dem flüssigen Zusammenspiel der Hauptdarsteller, die in „Tori et Lokita“ ihre ersten Filmrollen haben, zu verdanken. Interessant auch, dass alle der Hauptfiguren migrantisch geprägt sind. Bloß mit der anklagenden Eindeutigkeit ist es am Ende ein bisschen zu viel. Nicht zuletzt deshalb gab es bei der Premiere unter dem Applaus auch vereinzelte Buhrufe.
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