Filmfestival Cannes: "Man sitzt immer am falschen Tisch"

Ein Interview-Termin auf einer Yacht: Christoph Hochhäusler erzählt davon, dass man auch als Regisseur Probleme hat, in Cannes die gewünschten Leute kennenzulernen.

Dinnierte mit "absurder Starpower": Regisseur Christoph Hochhäusler. Bild: Holger Albrich

Samstagnachmittag auf der Yacht, die Arte für die Zeit des Festivals gemietet hat. Eine der Hostessen saugt Staub, es regnet. "Unter dir die Stadt" läuft gerade zum zweiten Mal an diesem Tag ein paar Schritte entfernt in der Salle Debussy. Der Film erzählt von einer Amour fou im Milieu der Banker, er tut dies sehr verdichtet und absichtsvoll artifiziell. Manchmal verrätselt er sich, manchmal wirkt er ein wenig zu gesetzt. Christoph Hochhäusler gibt Interviews im 15-Minuten-Takt. Gerade ist er etwas nass geworden, da er fürs Fernsehen auf dem Deck der Yacht Rede und Antwort stehen musste.

taz: Herr Hochhäusler, vor fünf Jahren waren Sie mit "Falscher Bekenner" in Cannes, in diesem Jahr mit "Unter dir die Stadt". Wie ist es, einen Film hier zu zeigen?

Christoph Hochhäusler: Erst mal ist es ein großes Kompliment, weil man weiß, dass die Auswahl in Cannes stärker als bei anderen Festivals von Cinephilen getroffen wird, von Leuten, die wissen wollen, was gerade state of the art im Kino ist und wohin sich das Kino bewegt. Das ist das eine. Und dann gibt es die Realität des Festivals, die eher anstrengend ist. Die Berlinale ist ein Publikumsfestival, das ist hier anders. Man hat mit vielen gestressten, ungeduldigen Leuten zu tun. Und man selbst hat auch einen recht vollen Terminplan.

Geboren 1972 in München. In Cannes brachte er seine Filme "Falscher Bekenner" (2005) und "Unter dir die Stadt" (2010) heraus.

Was machen Sie denn, wenn Sie nicht gerade Ihren Film im Kino präsentieren?

Ich gebe Interviews und nehme offizielle Termine wahr, die wichtig sind, weil Geldgeber von uns beteiligt sind oder weil das Festival uns einlädt.

Zum Beispiel?

Gestern war ich auf einem Diner, das absurde Starpower versammelt hatte. Gilles Jacob hat uns eingeladen. Es waren da: Alain Delon, Claudia Cardinale, George Lucas, Martin Scorsese, Benicio Del Toro, Matthieu Amalric und so weiter. Großartige Leute, die man alle gern mal kennen lernen würde. Man lernt sie natürlich nicht wirklich kennen, weil man Platzkarten hat.

Man sitzt immer an einem anderen Tisch …

Genau. Am falschen Tisch, immer. Aber immerhin: Man hat sie mal gesehen und hat Ankedoten zu bieten.

Welche Auswirkungen hat denn die Teilnahme hier für die Rezeption in Deutschland?

Es ist ambivalent. In jedem Fall bringt es künstlerisches Prestige, und das strahlt auch nach Deutschland. Ob es wirklich die Arbeitsbedingungen verbessert, kann ich schwer sagen. Auf jeden Fall ändert sich nichts über Nacht. Es ist eher so, dass die Reputation zunimmt, und die nutzt einem dann, keine Frage.

Und an der Kinokasse?

So wie ich das deutsche Publikum kennen gelernt habe, hat es andere Kriterien. Es achtet nicht darauf, welche Preise ein Film auf welchen Festivals gewonnen hat. Die Deutschen gehen der Inhalte wegen ins Kino, in Frankreich ist es anders. Hier ist die Wahrnehmung sehr hysterisch, was Cannes betrifft. Daher gibt es ja auch die Hohepriester der Cinephilie - wenn die Weihrauch über einem Film verteilen, dann muss die ganze kulturelle Elite diesen Film gesehen haben.

In Ihrem Blog haben Sie kürzlich geschrieben: Filme wollen zwei, drei Helden haben und deren Geschichten erzählen, Filme tun sich deshalb schwer, ein System, konkret: das Finanzsystem, darzustellen. An Oliver Stones "Wall Street: Money Never Sleeps" lässt sich dieses Problem erkennen. Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich habe darüber viel mit meinem Ko-Autor Ulrich Peltzer gesprochen. Wir wussten von Anfang an, dass wir einen Film machen wollten, der über die private Geschichte hinausgeht. Wir waren nicht in der Lage, eine Form zu finden, in der mehr als eine Handvoll Hauptfiguren erzählt werden können. Also haben wir versucht, Metaphern zu finden, die Figuren künstlicher zu machen, zu Stellvertretern von größeren Zusammenhängen. Es ist ja kein realistischer Film, eher ein Märchen, mit dem man dann Aspekte dieser Bankenwelt oder auch der Finanzkrise diskutieren kann.

Können Sie das konkretisieren?

Eines der Dinge, die diese Industrie ausmachen, ist, dass sie voller unzuverlässiger Erzählungen ist. Die Karrieren und der Wettbewerb innerhalb der Firmen und das Verhältnis zum Kunden sind von so vielen Codes umstellt, dass sich eigentlich niemand auf den anderen verlassen kann. Und dieses Prinzip der unzuverlässigen Erzählung - jeder erzählt eine Heldengeschichte, die nicht wahr sein kann -, das haben wir ins Individuelle geholt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.