Film über männliche Sexarbeit: Schwul sind immer nur die Kunden
In Berlin bieten männliche Sexarbeiter ihre Dienste an. Filmemacher Biko Julian Voigts erzählt über deren Arbeit in seinem Kurzfilm „Boys Club“.
Ionel braucht Geld für sich selbst und noch mehr für seine schwangere Frau und seine Familie daheim in Rumänien. Deshalb prostituiert er sich in Berlin. „Die Leute hier“, sagt Ionel, „haben alle zu viel Geld.“
Wir sehen ihn in einer Bar mit einem älteren Herren schäkern, es werden vor allem Blicke getauscht, auch erste zaghafte Berührungen – und am Ende Geldscheine. Es gibt nur eine einzige Regel für seinen Job, wie Ionel auf Englisch erzählt: „Immer ficken. Nie gefickt werden.“
Das ist hier natürlich wörtlich gemeint, kann aber auch als Metapher verstanden werden. Und so sehen wir Ionel erst bei einem Handjob im Auto und später, wie er sich auf einem schummerigen Innenhof einen blasen lässt. Der Film zeigt ihn aber auch jenseits seiner Arbeit, bei der Körperpflege oder bei Liegestützen. Filmemacher Biko Julian Voigts thematisiert aber auch die Selbstzweifel des jungen Mannes in seinem Job.
„I’m not gay, you know“
Ionel nennt sich selbst einen „Rentboy“ – also einen Jungen, den man mieten kann, ein „Strichjunge“, wie man früher auf Deutsch gesagt hätte. Aber, und das ist wichtig für sein Selbstverständnis: „I’m not gay, you know.“ Denn schwul sind die anderen, seine Kunden.
Seine Geschichte, das macht der Film klar, steht beispielhaft für viele rumänische Jugendliche und junge Männer – oft Roma –, die in Schöneberg und anderswo ihre sexuellen Dienste anbieten. Es sind meist Migranten ohne deutsche Papiere, wie es im Abspann zum Film heißt. Die wenigsten von ihnen haben Zugang zu Hilfsangeboten – obwohl es diese gibt in Berlin. Gegen Ende wird auf Subway und Gangway hingewiesen, zwei Projekte, die Hilfen für Jugendliche und junge Männer wie Ionel anbieten.
Der 32-jährige Biko Julian Voigts studiert Werbung an der Filmakademie Ludwigsburg. „Boys Club“ entstand im Rahmen seines dritten Studienjahres mit einem Budget von 6.000 Euro. Voigts ist in Schöneberg aufgewachsen. „Ich liebe meinen Bezirk“, sagt er, „und bin gleichzeitig sehr dankbar für meine multikulturelle Erziehung, die sich aus Deutschland, Südafrika und Namibia speist. In Schöneberg ist viel Multikulti.“
Die Idee für seinen „Social Spot“ hatte Voigts bei einem Barbesuch im Nollendorfkiez. „Dort gingen männliche Sexarbeiter ihrem Job nach“, erzählt Voigts. „Es war überraschend, dass ich nichts von der Szene wusste, die quasi vor meiner Haustür stattfindet.“
Voigts arbeitete mit Subway zusammen
Recherche und Drehbuchschreiben nahmen rund fünf Monate in Anspruch. Voigts führte Interviews mit Sexarbeitern, aus den Gesprächen generierte er die Sätze, die Ionel im Film sagt. Außerdem arbeitete Voigts mit dem Projekt Subway und einem Sozialarbeiter zusammen. „Diese Treffen ermöglichten mir einen tieferen Einblick in die Welt der männlichen Sexarbeit“, sagt er. „Die Tabasco-Bar, die oft als Drehkulisse diente, wurde zu meinem zweiten Zuhause, und die Interviews mit den Jungs vor Ort lieferten wertvolle Perspektiven.“ Der gesamte Dreh erstreckte sich über fünf Tage.
Der Filmemacher war von den Widersprüchen im Männerbild der Sexarbeiter fasziniert: „Es ist interessant, dass sich der Protagonist des Films als Macho versteht, aber einen Beruf ausübt, der unter Machos geächtet ist“, sagt er. Aber weil er den Job nur mache, um seine Familie zu unterstützen, sei er „der Ernährer“ – was wiederum als männlich angesehen wird. „Das ist die Dualität des Lebens: Geld regiert. Und die Mittellosesten leiden darunter am meisten.“
Diese Spannung reizt den Filmemacher. „Für mich sind viele Dinge im Leben sehr viel komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheinen“, sagt Voigts. Das gilt natürlich auch und vor allem im Bereich der Sexarbeit. Deshalb hat er sich auf die Perspektive der Sexarbeiter fokussiert. Natürlich gebe es sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel in dieser Branche. Aber er will niemanden kriminalisieren.
Nur ein Zwischenstopp
Und der Satz mit dem „sich nicht ficken lassen“ kommt aus der Perspektive einer Person, die sich von der Gesellschaft verletzt und übergangen sieht. So gesehen fühlt sich der ausgebeutete Migrant Ionel ohnehin schon „gefickt“, um im Jargon zu bleiben. Am Ende des Films kehrt er per Anhalter zurück zu seiner Frau – der Job zum Geldverdienen war nur ein Zwischenstopp in ihrem gemeinsamen Leben.
„Boys Club“ ist damit ein wertvoller Beitrag zu einer längst fälligen Debatte über männliche Sexarbeit. Der Film bewegt sich im Spannungsfeld von Selbstbild, Gesellschaftsnormen und Parallelwelten.
Gut, dass Biko Julian Voigts aus seinem Kurzfilm eine Serie machen möchte. Dafür sucht er momentan Geldgeber und eine Produktionsfirma.
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