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Film in den DünenKammerspiel auf Norderney

Der Film „Nordstrand“ erzählt von der Begegnung zweier erwachsener Brüder, die durch die Gewalt in ihrem Elternhaus geprägt wurden.

Ein Spielort wie ein verwunschenes Schloss: In diesem Haus treffen sich zwei Brüder nach Jahren wieder. Bild: André Lex

BREMEN taz | Das einzige fantastische Element in diesem Film ist das Haus: ein kleines Einfamilienhaus zwischen Dünen direkt an der Nordsee – also eine Top-Immobilie. Dass diese viele Jahre lang unbewohnt vor sich hin rotten konnte, so dass sich eine mumifizierte Ratte unter dem Küchenschrank findet, ist kaum vorstellbar. Es wurde dort auch nie eingebrochen. Im Kinderzimmer steht noch der kleine Fernseher und im Wohnzimmerschrank stehen die Flaschen mit Hochprozentigem.

Der Spielort des Filmes „Nordstrand“ ist äußerst unplausibel, er wirkt fast wie ein verwunschenes Schloss. Aber er ist dramaturgisch sehr geschickt gewählt, denn so wie die inzwischen erwachsenen Protagonisten das Haus besuchen, in dem noch alles so aussieht wie in ihrer Kindheit, so setzen sie sich auch damit auseinander, was hier mit ihnen passiert ist und wie stark sie dadurch geprägt wurden.

Der dreißigjährige Marten hat seinen drei Jahre jüngeren Bruder Volker gebeten, in dem alten Ferienhaus ein Wochenende zu verbringen. Beide haben sich lange nicht gesehen, der Vater ist tot, die Mutter im Gefängnis. Was für ein Familiendrama sich in diesem Haus einst abgespielt hat, wird langsam im Laufe des Films enthüllt.

Der Whiskey im Glasschrank

Der Regisseur und Drehbuchautor Florian Eichinger ist gut darin, Hinweise zu pflanzen, Andeutungen zu machen und so Spannung aufzubauen. Doch die Grundkonstellation wird gleich in der ersten Rückblende deutlich: Als Kinder trinken die beiden Brüder heimlich ein wenig Whiskey aus einer Flasche, die dann viele Jahre später immer noch im gleichen Glasschrank steht. Die Eltern kommen von einem Spaziergang zurück, der Vater merkt, was passiert ist und zwingt die Jungen dazu, ein großes Glas mit dem hochprozentigen Alkohol zu trinken. Die Mutter versucht zaghaft, einzugreifen, doch der Vater schlägt ihr (und buchstäblich auch den Zuschauern) die Tür vor der Nase zu.

Es wird später noch einige, sehr kurze Rückblenden geben, die immer die Erinnerungen von Marten illustrieren. Denn er war der ältere Bruder, der zuließ, dass der jüngere Volker vom Vater gequält wurde. Dies scheint ihn tiefer verletzt zu haben als die Schläge und Demütigungen seinen Bruder. Zumindest arbeitet er sich an diesem Wochenende quälend an seinen Schuldgefühlen ab, während Volker nur ironisch und kalt über diese Zeiten spricht. Aber vielleicht ist das Trauma bei ihm ja immer noch so schmerzhaft, dass er nur mit Verdrängung darauf reagieren kann.

Das ist der Kernkonflikt dieses Psychodramas, das sich sehr konzentriert auf kleinem Raum und mit einer Handvoll Filmfiguren entfaltet – es ist also ein fast klassisches Kammerspiel. Rainer Wöss und Anna Thalbach sind als die Eltern nur in den Rückblenden zu sehen, Luise Berndt spielt eine frühere Freundin von Volker und Martina Krauel hat einen, dramaturgisch etwas zu mechanisch eingesetzten, Auftritt als die Pastorin des Nachbarortes, die den beiden Männern ihre Seelsorge fast aufdrängt.

Im Grunde ein Zweipersonenstück

Doch diese Auftritte sind nur Zwischenspiele. Im Grunde ist „Nordstrand“ ein Zweipersonenstück, in dem die beiden Protagonisten sich immer fordernder und existentieller miteinander auseinandersetzten. Martin Schleiß in der Rolle des Marten und Daniel Michel als Volker tragen den Film, weil sie immer natürlich spielen und nie ihre Emotionen ausstellen.

Regisseur Eichinger spricht selbst von den „autobiografischen Konstellationen und Erlebnissen“, die ihn inspiriert hätten und sein Film überzeugt vor allem dadurch, dass die Motivationen der Figuren gut glaubwürdig sind. Das Haus ist eine Metapher für das „innere Gefängnis“, in dem sich die Menschen für Eichinger „im schlimmsten Fall das Leben zur Hölle machen“ können. Deshalb öffnet er zum Ende hin auch den Raum und dreht eine Reinigung im Meer, die wie eine Katharsis wirken soll, in einer minutenlangen Totale, bei der die beiden Brüder in der Natur klein und unbedeutend wirken.

„Nordstrand“ ist der zweite Teil einer Trilogie, von der Florian Eichinger sagt, er untersuche darin das „Wesen der Gewalt“. Der erste Teil war der 2008 gedrehte „Bergfest“ und ebenfalls ein Kammerspiel. Gedreht wurde in einer Berghütte in den bayerischen Alpen. Martin Schleiß ist auch hier der Protagonist, aus dessen Perspektive ein Großteil der Geschichte erzählt wird. Als 25-Jähriger wandert er mit seiner Freundin in den Bergen und trifft in der Hütte der Familie unerwartet auf seinen Vater und dessen Geliebte.

Gedreht ohne Fördergelder

In diesem Film ging es eher um die Mechanismen psychischer Gewalt zwischen Eltern und Kindern. Eichinger produzierte den Film ohne Fördergelder und die Beteiligung eines Fernsehsenders, und er war dann zwar nicht unbedingt in den Programmkinos, aber mit Einladungen auf über 20 Festivals ein Erfolg. Der Film gewann Preise beim Falstaff Filmfestival in Großbritannien und beim Independent Film Festival in Houston.

Auf Norderney hat Eichinger nicht nur gedreht, weil der Kontrast zu den Alpen so reizvoll ist. Ohne das Filmfest Emden-Norderney wäre der Film vielleicht nie gemacht worden, denn dort reichte Eichinger 2011 sein Skript beim Wettbewerb um den Emder Drehbuchpreis ein. Bei diesem Wettbewerb tragen Schauspieler kurze szenische Lesungen aus den nominierten Werken vor. „Nordstrand“ wurde dann zwar nur lobend erwähnt, doch danach kam schnell eine Finanzierung durch die Filmförderungen Hamburg Schleswig-Holstein und Nordmedia sowie durch Radio Bremen zustande, durch die das Projekt in zwei Jahren erstaunlich flott fertig wurde.

ab 23. Januar im Abaton, Hamburg, und im Delphinpalast, Wolfsburg

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