Film „Under the Skin“: Typisch für überhaupt nichts
Ein Verleih wollte den auf Festivals bestaunten Film nur als DVD herausbringen, weil er in keine Kategorie passe. Dank einiger Cineasten kommt er ins Kino.
Dieser Film ist anders als andere Filme. Aber das ginge ja noch. Irritierender schon: Er ist auch anders als er selbst. Zum Beispiel ist er einerseits so: In einem Raum, der nichts als weiß ist, entkleidet eine nackte Frau mit ganz schwarzem Haar (Scarlett Johansson) eine wie tot auf dem Boden liegende andere Frau. Sie schlüpft in deren BH, Hose, Shirt und steigt in die hochhackigen Schuhe. Schnitt. Die nun angekleidete Frau aus dem ganz weißen Raum (immer noch Scarlett Johansson) bewegt sich durch eine Mall und beobachtet, was geschieht. Legt dick Lippenstift auf. Setzt sich ans Steuer eines Vans, fährt durch die Gegend, stoppt und spricht Männer an. Das ist aus dem Auto heraus superdokumentarisch gefilmt. Die Männer sprechen eine sehr schwer verständliche Sprache. Es ist Schottisch. Wir sind in Schottland. Schnitt.
Wir sind jetzt in einem Raum, der nichts als schwarz ist. Die bekleidete Frau beginnt, sich im Gehen zu entkleiden. Hinter ihr geht ein Mann, den sie, man sah das zuvor, in Schottland aufgelesen hat. Alles ist schwarz. Das ist nicht Schottland. Das ist aber auch nicht irgendwo anders. Das ist überhaupt kein realer Raum. Der Mann entkleidet sich auch, folgt der Frau. Man sieht Spiegelungen auf dem schwarzen Boden, dann sinkt der Mann in die Schwärze nach unten, Schritt für Schritt, während die Frau vor ihm auf der Spiegelfläche weiter vorangeht. Ihn trägt sie nicht, sie aber schon. Der nackte Mann, man sieht es, bevor er ganz einsinkt, hat eine Erektion. Es spielt auf der Tonspur ein aufgescheuchtes Streichorchester dazu.
Hie also Schottland, da schwarz. Auf der einen Seite: ganz realer Raum, mit versteckten Kameras gefilmt. Die Männer sind gar keine Schauspieler, sondern tatsächlich Passanten, die die Fahrerin nicht als Scarlett Johansson erkannten und erst nach den Dialogszenen ihr Einverständnis erklärten. Jetzt sind sie also in diesem merkwürdigen Film. Und auf der anderen Seite: Dieser ganz eigenartige Raum oder Nicht-Raum, die Schwärze. Man weiß nicht, was oder ob überhaupt irgendwas vom einen Raum in den anderen führt. Der eine so wirklich, dass es kaum wirklicher geht. Der andere der Inbegriff von Unwirklichkeit: Vorhölle, Tod, Dreamscape, Digitalsumpf.
Weil der Film nicht wirklich erklärt, was er ist, was er will und was das alles soll, reimt man sich etwas zusammen. Die sexy schwarzhaarige Frau (immer wieder staunt man ja selbst, dass das Scarlett Johansson ist) wird ein Alien sein. Mit dem Auftrag, schottische Männer erst zu verführen und dann in die Schwärze sinken zu lassen, wo sie sich aufblähen und dann zerplatzen und dann als wunderschöne Körperhüllenfiguren durch die Schwärze schweben, die dann eine Flüssigkeit ist.
„Under the Skin“. Regie: Jonathan Glazer. Mit Scarlett Johansson, Paul Brannigan u. a. USA/GB/CH 2013, 108 Min.
Später hat die schöne Frau auch einmal Sex und ist sehr irritiert. Sie wird von einem Motorradfahrer verfolgt. Sie will etwas essen. Sie geht in den Wald, wird fast vergewaltigt, es schneit, es brennt, man kann ganz zuletzt wenigstens den Titel des Films gut verstehen. Schnitt.
Kein Mainstream, kein Arthhaus
„Under the Skin“ lief auf Festivals und wurde bestaunt. Die Kritik war teils beeindruckt, teils sehr verwirrt, und teils hasste sie diesen Film. Aber es gab von Anfang an auch glühende Fans. Der Film war in den Kinos in Großbritannien und den Vereinigten Staaten zu sehen, war in Großbritannien kein Flop, in den USA ging er unter. In Frankreich verschwand er nach einer Woche wieder aus den Theatern.
Für Deutschland hatte der Filmverleih Senator die Rechte erworben. Er hatte aber wohl keine Ahnung, was für ein UFO er sich da ins Portfolio holt. Feelgood ist „Under the Skin“ nämlich nicht. Finanziell geht es Senator nach vielen Flops sowieso schlecht. Zögerte und kam zum Schluss, „Under the Skin“ nicht ins Kino zu bringen. Die Begründung: Das „ist ein Film für Liebhaber der Filmkunst, aber weder typischer Mainstream, noch typisches Arthaus“. Was ja sogar stimmt.
Er ist allerdings auch keine typische Filmkunst, so wenig wie ein typischer Experimentalfilm, obwohl er durchaus an Experimentalfilme erinnert. Er ist eben typisch für überhaupt nichts, weil er anders als alles andere ist. Egal, Senator glaubt, mit einem Kinostart seien nur Verluste zu machen. Es kam also, was kommen musste: Ankündigung eines Direct-to-DVD-Starts. Was mit Garantie dafür sorgt, dass ein Film beim größeren Publikum unbemerkt bleibt. Schnitt.
Auftritt Sebastian Selig. Ein Filmenthusiast, der in Berlin früher mal in der Kultvideothek Videodrom gearbeitet und lange für die dem „unterschlagenen Film“ gewidmete Zeitschrift Splatting Image geschrieben hat. Einer, dem im Kino gern das Herz voll ist, wovon ihm auf Facebook dann der Mund übergeht. Nervt ein wenig, ist aber auch eine ansteckende Begeisterungsmaschine.
Er war nach Frankreich gefahren, um „Under the Skin“ dort im Kino zu sehen: Herz war voll, Mund ging über, Empörung war groß: „Ausgerechnet einen solchen Film von solcher Wucht dem Kino vorzuenthalten, heißt dem Kino ganz konkret die Zukunft rauben. Heißt, es aufzugeben.“ Er schrieb Senator an, startete eine Facebook-Aktion „Under the Skin im dt. Kino, jetzt“. Kurz sah es so aus, als gäbe es die Option, dass Interessierte per Abstimmung den Film ins Kino in ihrer Stadt wählen. Das zerschlug sich.
Der Zuschauer ist blöd
Seligs Aktion hat in einschlägigen Kreisen durchaus Aufsehen erregt. Ausgerechnet von einem Mitarbeiter der AG Kino – der „Gilde deutscher Filmkunsttheater“ – bekam er freilich (natürlich nur privat) zu hören: „Die traurige Realität ist, dass der deutsche Zuschauer, zumindest in der Masse, tatsächlich ziemlich blöd ist.“ Das ist wohl die Arbeitshypothese vieler Arthouse-Kinos in Deutschland.
Was nicht in die Schubladen Mainstream oder Arthouse passt, findet außerhalb von Festivals kaum noch statt. So bekommt man, was international Aufsehen erregt, hierzulande oft nicht zu Gesicht. Die Verleiher interessieren sich nicht oder trauen sich nicht, die Kinos unternehmen nichts auf eigene Faust – und wenn doch, bleibt das Publikum in der Tat oft genug aus. Es ist nicht leicht zu sehen, wie man diesen Teufelskreis erfolgreich durchbricht.
Bei „Under the Skin“ scheint das nun zu gelingen. Auf niedrigem Niveau, aber immerhin. Das winzige kommunale Zebra-Kino in Konstanz machte den Anfang. Man bat bei Senator um eine Kopie – und bekam sie. Man baute sogar auf eigene Kosten eine Website für „Under the Skin“.
Es ist nicht der erste Fall von Eigeninitiative des Zebra-Teams, dessen ehrenamtliche Mitarbeiter zum größten Teil noch keine 25 Jahre alt sind. Es hat sich, wie Zebra-Mitarbeiter Marvin Wiechert erklärt, durchaus als Erfolgsrezept erwiesen, mit Filmen wie „Spring Breakers“ von Harmony Korine oder „Super“ von James Gunn gerade nicht aufs übliche Arthouse-Kino zu setzen: „Tatsächlich war das das Beste, was uns passieren konnte: Nach 15 Jahren fallender Besucherzahlen geht es seitdem jährlich mit den Besucherzahlen immer weiter aufwärts.“ Und das Publikum ist jung, anders als in den vielen 50-plus-Filmkunsttheatern in Deutschland.
Das Zebra blieb nicht allein. Nach dem Fantasy-Filmfest zeigen – aktueller Stand – zwanzig Kinos im deutschen Sprachraum den Film, man kann jetzt geradezu eine Karte der engagiertesten Filmkunsttheater danach zeichnen, in Österreich kam soeben das Wiener Gartenbaukino dazu. Das fsk, das den Film nach Berlin bringt, war mit seinem ästhetisch kompromisslosen Programm schon immer das kleine gallische Dorf unter den Kinos in Deutschland. Möge „Under the Skin“ ihm ein großer Zaubertrank sein.
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