Film „Mitternachtskinder“: Nichts als Illustration
Wieder einmal eine schwierige Literaturverfilmung: Deepa Mehta bleibt gegenüber Rushdies „Mitternachtskinder“ leider viel zu ehrfürchtig.
Die Regisseurin tappt in die Falle: Deepa Mehta behandelt ihre Vorlage, Salman Rushdies Durchbruchsroman „Mitternachtskinder“, als den Klassiker, der er ist, und also mit viel zu viel Respekt. Dass Sir Salman selbst das Drehbuch verfasst hat, hilft sicher nicht, denn er ist ja länger schon zu nicht geringen Teilen sein eigener Ruhm- und Nachruhmverwalter.
Vor allem aber verfilmt Mehta den Roman als Werk für sich und schneidet ihn damit komplett ab von seiner Rezeption und umstürzenden Wirkung auf den postkolonialen Diskurs. Sie tut so, als habe es den Donnerschlag niemals gegeben, den das Buch des damals ganz unbekannten indisch-englischen Autors bei seinem Erscheinen im Jahr 1981 ausgelöst hat.
Was dann aber bleibt, ist ein Museumsstück in schön bunten Farben, handwerklich braver magischer Realismus in der Phase der Akademiemalerei. „Mitternachtskinder“ erzählt fünf Jahrzehnte indischer Geschichte als eigenwillige Allegorie. Von den Kapriolen des Buches, auch von seinem alles andere als respektvollen Ton ist in Deepa Mehtas gediegenem Ausstattungskino freilich kaum etwas übrig.
Regie: Deepa Metha. Mit Satya Bhabha, Rajat Kapoor u. a. Kanada/Großbritannien 2012, 146 Min.
Vielmehr hat Rushdie in seiner Geschichte nicht nur ordentlich aufgeräumt, sondern sie mit entschiedenen Ergänzungen und Strichen zu einer Darstellung der indisch-pakistanischen Entzweiung arrondiert. Während im Roman der in behüteten Verhältnissen aufwachsende Saleem Sinai der Protagonist ist, erhält im Film sein mit ihm kurz nach der Geburt ausgewechselter Gegenpart Shiva mehr Gewicht. Vor allem im Widerstreit haken die beiden wichtige Kapitel indisch-pakistanischer Geschichte des 20. Jahrhunderts ab.
Saleem Sinai, das Mitternachtskind, versammelt (oder halluziniert) zur Geisterstunde alle anderen in der Minute der indischen Unabhängigkeit geborenen Kinder. Nicht ohne melodramatische Momente, aber nie in besonderer Nähe zur Bollywoodform, inszeniert Deepa Mehta das Auf und Ab der privaten Schicksale und Saleems Schizogeschichte.
Der mal schönen, mal enervierenden Beliebigkeit des Rushdie’schen Romanfabulierens gebietet der historiografische Auftrag nun immerzu Einhalt. Eigene Bildfantasie ins Kraut schießen zu lassen und so oder anders eine ästhetische Entsprechung zum Roman zu entwickeln, hat sich die Regisseurin sichtlich verboten. Die Bilder bleiben darum Einstellung für Einstellung Illustration. Weder die Literatur noch das Kino haben mit dieser Verfilmung etwas gewonnen.
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