Fifa-Chef Gianni Infantino: Alles außer Kontrolle
Fifa-Präsident Gianni Infantino geht für seinen Job mit Verve aufs Ganze. Im März könnte er zum Verkäufer seiner eigenen Organisation gekürt werden.
Bei der Gelegenheit kam in dem erlesenen Kreis erstmals der mächtigste Mann des Fußballs zu Wort. Argentiniens Präsident Mauricio Macri, einst Vereinsboss des Erstligisten Boca Juniors, hatte die Idee bei einem netten Plausch mit Infantino, wie dieser später verriet, beim Weltwirtschaftsforum in Davos, einem anderen Elitenzirkel, ausgeheckt.
Die geschenkten Bälle sollten vermutlich das Einfache und das Unbedarfte symbolisieren („Wir wollen nur spielen“), mit seinen Worten unterstrich Infantino indes sein großes Sendungsbedürfnis. Die Wirtschaftsleistung des Fußballs, erklärte er den Staatschefs, entspreche der Wirtschaftskraft eines mittelgroßen Staates, und er verwies auf das noch brachliegende Potenzial des Fußballs jenseits Europas. „Vielleicht“, sagte er, „können wir eines Tages auch der G20 beitreten.“
Selbst wenn man das als Witz versteht, bleibt der Nachgeschmack von Größenwahn. An der Vorstellung seines Vorgängers Sepp Blatter gemessen, irgendwann einmal im Weltall Wettbewerbe austragen zu können, allerdings eine bodenständige Vision.
Gegenwind auch in den eigenen Reihen
Für den Moment war Gianni Infantino aber schon mit seiner Einladung nach Buenos Aires sehr glücklich. Er versicherte: „Wir fühlen uns geehrt, für sie ein glaubwürdiger und verlässlicher Partner zu sein.“ Diese Art von Krönung hätte für Infantino vermutlich zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können. Denn in diesem Jahr hat es der Fifa-Chef mit seinen Eigenmächtigkeiten so weit auf die Spitze getrieben, dass immer mehr Menschen den von ihm einst ausgerufenen Reformkurs der Fifa nur noch für tollkühne Propaganda halten. Der Gegenwind ist auch in den eigenen Reihen, insbesondere in Europa, stärker geworden.
Im Juni, als er auf dem Fifa-Kongress in Moskau kurz vor Beginn der WM wieder einmal in einer polyglotten Rede auf Italienisch, Französisch, Englisch, Deutsch und Spanisch von der „neuen Fifa“ schwärmte, von ihrer Integrität, Transparenz und ethischen Aufrichtigkeit, sprach ihn hernach ein Journalist auf ein Verfahren der Ethikkommission gegen die Generalsekretärin Fatma Samoura an.
Infantino lächelte und erwiderte mit einem Verweis auf seinen Kahlkopf: „Sie müssen immer das Haar in der Suppe finden.“ Mehr sagte er dazu nicht.
Gianni Infantino
Selten lässt er sich auf Kritik ein, viel lieber macht er sich Gedanken über die Motive von Kritik. Zu Beginn seiner Amtszeit sorgte die Anschaffung einer Matratze für 10.500 Euro auf Fifa-Kosten für viel Aufregung. Der Schweizer Boulevardzeitung Blick erklärte er kürzlich: „Bei solchen Anschuldigungen habe ich manchmal das Gefühl, dass es einigen Leuten halt auch nicht passt, dass ich als Sohn italienischer Gastarbeiter Fifa-Präsident geworden bin. Oder dass es nicht alle gerne sehen, dass meine Generalsekretärin eine Frau, schwarz und Muslimin ist.“
Anerkennung von höchster Stelle
Eine Erklärung, die erahnen lässt, wie viel Stolz der Sohn einer Kioskbesitzerin und eines Zeitungsausträgers empfunden haben muss, als er beim G20-Gipfel sprechen durfte. Und gern interpretierte der 48-Jährige seinen erstmaligen Auftritt bei den wichtigsten Staatschefs auch als Anerkennung seiner Reformanstrengungen von höchster Stelle.
Wie immer man das bewerten mag, eines steht fest: Gianni Infantino setzt neue Maßstäbe in der Kunst der Fifa-Präsidenten, sich jeglicher Kontrolle zu entziehen. Das ist umso erstaunlicher, als das am Tag seiner Wahl zum Präsidenten verabschiedete Reformpaket ihn stärker beschränkte als seine Vorgänger. Laut den neuen Fifa-Statuten soll der Präsident vornehmlich repräsentative Aufgaben ausüben, die entscheidungsmächtigere Position nimmt auf dem Papier die von Infantino bestellte Generalsekretärin Fatma Samoura ein, weil ihr die operativen Aufgaben übertragen werden.
Diese Art von Gewaltenteilung untergräbt Infantino aber geschickt, weil er maßgeblich auf die Personalauswahl Einfluss nehmen kann, wie er das etwa bei der Absetzung der gegen ihn ermittelnden Führung der Ethikkommission im Jahr 2017 machte. Cornel Borbely und Hans-Joachim Eckert mussten gehen. Anfang dieses Jahres forderte der Europarat die Schaffung eines externen Kontrollorgans für Verbände wie Uefa und Fifa. Vorausgegangen war ein Fifa-kritischer Bericht der luxemburgischen Abgeordneten Anne Brasseur, der unter anderem die eigenmächtige Besetzung von Schlüsselpositionen in der Fifa durch Infantino bemängelte.
Diejenigen, die Geschäfte machen wollen, lassen sich von der angeblichen Gewaltenteilung in der Fifa und vom Europarat schon gar nicht schrecken. Sie wissen, dass alle Macht von Infantino ausgeht. Deshalb haben sich einige diskret an den Mann aus Brig im Wallis gewandt. Sie wollten anonym bleiben, hatten jede Menge Geld, aber angeblich fast keine Zeit. 60 Tage, um genau zu sein. Mitte März hatte Infantino die geheime 25-Milliarden-Dollar-Offerte dem Fifa-Council präsentiert. Es gehe um den Verkauf von zwei noch zu schaffenden Turnierformaten, einer erweiterten Klub-WM und einer globalen Nations League, so hieß es damals. Die Geldgeber kämen irgendwo aus Asien und dem Nahen Osten.
Jede Menge Geld aus Saudi-Arabien
Das Angebot steht immer noch im Raum. Eine Taskforce der Fifa beschäftigt sich damit. Nächsten März bei der Fifa-Council-Sitzung in Miami soll eine Entscheidung fallen. Mittlerweile weiß man dank aus der Fifa geleakter Papiere einiges mehr. Neben den beiden Turnieren geht es auch um den Verkauf von Fifa-Rechten, von Digital- und Archivrechten bis hin zu Rechten zur Vergabe von Weltmeisterschaften. Dies alles soll unter dem Dach einer neu zu gründenden Firma geschehen, an der die Fifa 51 Prozent hält und als deren Aufsichtsratschef Gianni Infantino eingestellt wird. Und bei den beiden Großunternehmen, die in das Konsortium einsteigen wollen, fließt jede Menge Geld aus Saudi-Arabien.
Noch wiegelt man bei der Fifa ab. Es sei nur eine Idee von vielen gewesen. Der Ausverkauf der eigenen Organisation, er wäre der spektakulärste Versuch der Geldvermehrung in der Fifa-Geschichte. Gianni Infantino geht im wahrsten Sinne des Wortes aufs Ganze, um seine Macht abzusichern. Im Februar 2016 setzte er sich im Kampf um den Fifa-Thron vor allem deshalb überraschend gegen den favorisierten bahrainischen Kandidaten Scheich Salman bin Ibrahim al-Chalifa durch, weil er den nationalen Verbänden im Moment des größten moralischen Bankrotts des Weltverbands höhere Rendite versprach, als es der gescheiterte Sepp Blatter eh und je getan hatte. Die damals bereits avisierte WM-Erweiterung auf 48 Teilnehmer sollte das ermöglichen.
Dass dieses Versprechen im Widerspruch zu der vor seiner Wahl verabschiedeten Fifa-Reform und der damit verbundenen Entmachtung des Präsidenten verbunden war, zeigte nur von Anfang an, welch großer Spieler Infantino ist und wie gut er das reformresistente Fifa-System, in dem er groß geworden ist, verstanden hat.
Im Juni 2019 soll nun seine Wiederwahl auf dem Fifa-Kongress in Paris auch durch die Gewinnung neuer Geldquellen aus dem Nahen Osten abgesichert werden. Und damit diese noch reichhaltiger sprudeln, unternimmt Infantino derzeit alles, um Katar, dem Gastgeber der WM 2022, den verfeindeten Nachbarstaat Saudi-Arabien, Bahrain oder die Vereinigten Arabischen Emirate als Co-Gastgeber aufzuzwingen. Mit dem Mittel der um vier Jahre vorgezogenen Erweiterung der WM auf 48 Teilnehmer soll das gelingen. Der positive Nebeneffekt wäre, dass sich Infantino als politischer Brückenbauer feiern lassen könnte.
Angesichts der verfahrenen Situation im Nahen Osten scheint dies jedoch wenig realistisch. Jene, die bereits jetzt Gianni Infantinos Ende nahen sehen, weil er zu riskant spielt, sollten den Schweizer nicht unterschätzen. Über seine Wunschvorstellungen für die WM 2022 sagte er kürzlich: „Wenn es klappt ist es großartig, wenn es nicht klappt, ist es auch großartig.“ Infantino ist nahezu unschlagbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett