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Fieldrecordingmusik von Emeka OgbohIm Dickicht der Großstadt

Emeka Ogboh dokumentiert die Metropole Lagos mit dem Album „6°30’33.372“N 3°22’0.66“E“. Die Musik basiert auf Feldaufnahmen um einen Busbahnhof.

Emeka Ogbohs Klangkollision erfordert und verlangt erhöhte Aufmerksamkeit Foto: Marco Krüger

„6°30’33.372“N 3°22’0.66“E“. Nach kurzer Verwirrung erkennt man doch, was sich hinter der komplexen Reihung aus Zahlen und Buchstaben, Titel des zweiten Albums des in Berlin-ansässigen nigerianischen Künstlers Emeka Ogboh, verbirgt. Es handelt sich um eine Koordinate – und sie verweist auf einen eigentümlichen Ort inmitten der ehemaligen nigerianischen Hauptstadt Lagos, den Busbahnhof Ojuelegba.

Dieser zentrale Verkehrsknotenpunkt, in einem Außenbezirk der nigerianischen Megalopolis, die mit 15 Millionen Einwohnern fast viermal so groß ist wie Berlin, ist der zentrale Umsteigeort. Hier entern jeden Tag Zehntausende Menschen die gelben Danfo-Busse, um zur Arbeit, zum Markt oder nach Hause zu kommen; es ist ein pulsierendes Herzstück, für die moderne Großstadt ebenso wie für das ärmliche Umland; in der angrenzenden Ayilara Street beginnt zudem Lagos’ größtes Vergnügungsviertel.

Emeka Ogboh, ausgestattet mit dem Instrumentarium des elektronischen Produzenten, schichtet für seine topografische Abtastung dieses charakteristischen Ortes Interviewausschnitte, Field-Recordings und Synthesizerklänge übereinander. Schon im Intro hört man den urbanen Lärmpegel: Hupen, Motorgeräusche, Stimmengewirr.

Die große Konfusion

Darüber spricht erst einer, dann zwei Männer auf nigerianischem Pidgin; einer Kreolsprache, deren Englisch ohne Vorkenntnisse kaum zu verstehen ist. Erst nach über einer Minute erkennt man das erste Wort, weil es in englischer Hochsprache geäußert wird: „Confusion“. Fortan wird es mehrfach wiederholt.

Das Album

Emeka Ogboh: „6°30’33.372“N 3°22’0.66“E“ (Danfotronics/Hardwax)

Es ist es offensichtlich, dass es sich hier um das alltägliche Durcheinander vor Ort handeln muss. Unzählige Fahrspuren und Haltebuchten, etliche Straßen, die von hier ihren Weg durch die Stadt ziehen, Busse, andere Fahrzeuge und Menschen. Wie das auch klingen kann, zeigt der 45-jährige Emeka Ogboh im zweiten Stück des Albums: „Wole“.

Die Leinwand für das folgende Gemälde wird durch einen pulsierenden Techno-Track gebildet, der zwar eine Kickdrum vermissen lässt, aber in seinen Percussion- und in den analog anmutenden Drum-Settings und dem schwirrend-verhallten Synth-Sprengsel trotzdem den Odem der großen Club-Kathedralen atmet.

Glocken, Umweltgeräusche, Stimmen

Darauf schichtet Ogboh eine Klangcollage aus Kirchenglocken, Umweltgeräuschen und Stimmen. Das mutet sehr zeitgemäß an; gerade seit dem Beginn der Coronapandemie haben sich etliche Produzent*innen, die normalerweise im Clubkontext zu Hause sind, solcher Klangexperimente angenommen: Ambient ist wieder en vogue.

Was Emeka Ogboh und sein Koordinatensystem von solcherlei Werken der letzten Monate unterscheidet? „6°30’33.372“N 3°22’0.66“E“ klingt ungeschliffen, scharf an seinen Kanten und eignet sich nicht als „Einrichtungsgegenstand“ für das Mittelschichtheim.

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Nein, diese Klangkollision läuft nicht im Hintergrund, sondern erfordert und verlangt wiederholt erhöhte Aufmerksamkeit. Auch wenn das Grundwabern womöglich eine trance­indu­zierende Wirkung haben könnte, reißen die Field Recordings immer wieder aus dem sanften Traum. Es geht um „Confusion“, wie die beiden Männer am Anfang bereits berichten. Und damit wären wir auch bei der zweiten Bedeutung des Wortes. „Confusion“ ist auch ein legendäres Album des Afro-Beat-Pioniers und nigerianischen Volkshelden Fela Kuti betitelt, der ebenfalls in Lagos beheimatet war.

Fela Kutis Manifest

Bereits 1975 erschien sein gleichnamiges Album und seine treibende Musik ist mehr als bloß ein Klassiker, das Manifest westafrikanischen Selbstbewusstseins. Kuti besingt hier die Metropole Lagos und vor allen Dingen eben jene Busstation von Ojuelegba.

So darf und muss „Confusion“ von Fela Kuti als (geistiger) Vorgänger dieser lebendigen, wilden, ausufernden Großstadtmusik betrachtet werden, Ogbohs eigenen musikalischen Lösungen und Wege hingegen sind vergleichsweise neu und eigenwillig. Selten wurde der Rhythmus einer Stadt so wenig entstellt – „6°30’33.372“N 3°22’0.66“E“ ist die Dokumentation eines modernen Afrikas zwischen Aufbruch und krachigem Stillstand.

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1 Kommentar

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Die Afrikaner haben richtig gute Musik!



    Leider ist das hierzulande nicht sehr bekannt.



    Mory Kanté - aus den 80er Jahren.



    Yeke Yeke - www.youtube.com/watch?v=bJNiMNUSrw8