Fideler Bühnenzauber: Verdrömelte Leben und ein Laufband

Postpunk Rocko Schamoni inszeniert in Oldenburg sein Buch „Fünf Löcher im Himmel“ und unterläuft dabei die Erwartungen des Publikums

Es ist eine herzallerliebste Typenparade: Paul trägt schwer an seinem „Sack voller vergammelter Träume“ Foto: Stephan Walzl

Harmonisch gelingende Lebensentwürfe sind etwas für Langweiler. Rocko Schamoni interessieren Widersprüche. Auf kraftstrotzenden Akkorden des Gelingens und mit schrundigen Melodien des Scheiterns erzählt er gern von der Vergänglichkeit der Dinge. In seiner Musik. Und nun ganz konkret auch vom scheiternden Aufbegehren gegen das sterbenslangweilige Altern: in seinem neuen Roman „Fünf Löcher im Himmel“, in dem er erstmals alles vermeidet, was auf schlichte Pointen hinausläuft.

Wenn der Autor aber nun selbst den zusammen mit Marc-Oliver Krampe dramatisieren Text inszeniert, haben viele doch eine Kostproben-Revue seiner Begabungen erwartet: Ist der kokett fabulierende Literat doch auch als Postpunk schlagernder Musiker bekannt geworden, als Scherzkeks des Humorkollektivs Studio Braun, Golden-Pudel-Club-Betreiber in Hamburg und politischer Aktivist der Satire-Fraktion „Die Partei“. Er hat zudem lässig dilettantische Radikal-Ulk-Abende am Deutschen Schauspielhaus mitverantwortet.

Aber am Staatstheater Oldenburg unterläuft Schamoni die Erwartungshaltungen und überrascht mit Tragödien-Ernst, einem Sutsche-piano-Tempo des Spiels sowie einer herzallerliebsten Typenparade, die das Ensemble da vorführt.

Zu alt, um jung zu sterben

Im Mittelpunkt steht Paul, nein, geht Paul – nämlich gegen die Laufrichtung eines Förderbandes. Als Obdachloser trägt er schwer an seinem „Sack voller vergammelter Träume“. Traurig, zu alt, um jung zu sterben. Bummelt er so weiter, kommt er nicht vom Fleck, nicht raus dem Trott seiner Gegenwart. Einfach stehenbleiben? Dann würde ihn die Laufbandmechanik von der Bühne befördern. Also steigt er aus, vom Band herab, nimmt seine Das-kann-doch-alles-gewesen-sein-Stimmung als Anreiz, um mal in seiner Vergangenheit anzurufen.

Bei der ersten großen Liebe. Katharina (Diana Ebert). Verliebt, verlobt, verheiratet war er mit ihr bereits während der Schultheateraufführung vom „Werther“. Dann aber wurde der Liebeskummerselbstmord seines Nebenbuhlers bei Goethes Lotte und der Lotte-Darstellerin Katharina nicht nur so als ob, sondern mit einer tödlich geladenen Pistole gespielt. Mord! Wer war es? Paul jedenfalls musste dafür in den Knast.

„Anschließend ist alles nur noch schief gelaufen“, sagt er. Was genau schief gelaufen ist, erzählt er nicht. Nur das Romanzen-Aus wird als Argument artikuliert. Katharina hilft nicht weiter, wimmelt den Rechercheur seiner verlorenen Zeit am Telefon ab. Paul verkriecht sich in das Tagebuch seiner Jugend.

Warum das so wichtig ist, erklärt sich aus Schamonis Verhältnis zum Schicksal. In einem Interview mit dem Wiener Kurier hat er auf die Frage, ob er an Vorbestimmung glaube, gesagt: „So wie du aufwächst, so wie man zu dir ist, so wird dein Leben später auch sein. Du bist aus deinen Bedingungen gemacht.“ Schamoni konfrontiert also die schmuddelige Seniorengestalt (Thomas Birklein) mit seiner eigenen feschen Jungsgestalt (Rajko Geith). Höhepunkt der Aufführung ist, wenn beide Darsteller als ihre Spiegelbilder die Schnittmenge von dem suchen, was Paul wollte und wurde. Und nichts finden.

Schamoni verliert sich fortan in den Möglichkeiten, bildschönes Stadttheater zu machen. Aparte Filmprojektion laufen stets als Handlungsortsimulationen. Als Paul „Bei Pocke“ einkehrt, eine zum Leertrinken letztmalig geöffnete Absturzkneipe, beginnen endlose Interaktionsmätzchen der Säufer-Darsteller auf der Bühne mit den Säufer-Darstellern auf der Leinwand. Am verkaterten Morgen danach geht es gleich wieder um die verpassten Möglichkeiten des verdrömelten Lebens. Die Schamoni aus Pauls Kopf frisch auf die Bühne holt, aber eben weiterhin nur im Singular: immer nur Katharina.

Verliebtheitskitsch als Antrieb für Alte-Männer-Sentimentalitäten. Bevor es vollends peinlich wird, wechseln Pleitewirt Pocke und Pleiteliebhaber Paul das Genre. Gehen on the road mit Pockes Nissan-Datsun-Oldtimer auf Bonnie-und-Clyde-Tour, um nach und nach alle psychischen, ethischen Behinderungen zu entsorgen und um „frei, vogelfrei“ zu werden. Es beginnt mit Lebensmittelklau und Prellen der Tankzeche.

Die Inszenierung sollte nun ihr biederes Setting aufbrechen, wenn es ihr wirklich ernst wäre mit dem wachsenden Aufbruchsgebahren. Schamoni aber hebt nur mahnend den Zeigefinger, es mit der Entgrenzung nicht zu doll zu treiben – lässt Pocke den Banküberfall wider die akute Pleitegefahr nicht überleben. Auf der verzweifelten Suche danach, worum es an diesem Abend geht, bleibt nur eine weitere Interpretationsmöglichkeit in Erinnerung: Zwei springerstiefelige Dumpfbacken versuchen Kneipengäste zu demütigen und sind nur durch Vorhaltung einer Waffe davon abzubringen. Sie werden selbst entblößt in einer Jauchegrube versenkt. Lerne: Gegen rechts hilft nur Gewalt?

Nicht fundiert genug

Wenn solche politischen Themen wirklich Schamonis Anliegen sind, müsste er sie schon etwas fundierter auf der Bühne verhandeln – und auch für Pauls Niedergang biografisch etwas tiefer graben. Tut er alles nicht.

Schick, sehr schick sieht das inhaltliche Nichts aus. Reizvoll irritierend nur Punk-Shouter und Schamoni-Kumpel Jens Rachut als Vogelmann im Sittich-Kostüm. Knatternd piepend verfolgt er das Geschehen. Und schließt irgendwie daraus, das heillose Elend unserer Zeit gesehen zu haben, ruft seine gefiederten Freunde auf, nun die Apokalypse einzuleiten. Was abstrus wirkt, da die Inszenierung dafür keine Argumente geliefert hat. Aber immerhin spendiert dieses Finale dem Biedersinnabend einen Funken Lebendigkeit, der vom Bühnennebel allerdings gleich wieder gelöscht wird.

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